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# taz.de -- Nachlese zur Wahl in Österreich: Die andere Hälfte des Landes
> Norbert Hofer hat die Wahl verloren, dennoch haben viele für den
> FPÖ-Kandidaten gestimmt. Was hat sie dazu veranlasst? Drei Porträts.
Bild: Nicht wenige haben ihn gewählt
Lukas Bekiaris schiebt den zusammengerollten Perserteppich vor dem Esstisch
zur Seite und setzt sich. Seine Wohnung ist eingerichtet, aber mit
keinerlei Dingen, von denen man auf den Menschen schließen könnte. „Ich
nutze diese Wohnung nicht oft“, sagt er. Durch die Fensterfront im
Wohnzimmer hat man einen atemberaubenden Blick über Wien, das Hochhaus hat
34 Stockwerke und liegt im Stadtteil Donau-City. Es ist erst nachmittags
und dämmert schon.
Bekiaris ist 27 Jahre alt, er hat eine Zeit lang Jura studiert, aber nicht
beendet. Dann studierte er Jazzgesang am Wiener Konservatorium und studiert
aktuell „Europäische Wirtschaft und Unternehmensführung“ an einer FH. „…
Zukunft möchte ich ins Familienunternehmen einsteigen, dafür brauche ich
eine wirtschaftliche Ausbildung“, erklärt er. Das Familienunternehmen
besteht aus mehreren Firmen, eine davon eine Immobilienverwaltung.
Für ihn war schnell klar, dass er Norbert Hofer wählen würde. „Im ersten
Wahlgang dachte ich, dass der ÖVP-Kandidat Andreas Khol am geeignetsten für
das Amt wäre, aber das wäre eine verlorene Stimme gewesen“, sagt Bekiaris.
Van der Bellen kam als Präsidentschaftskandidat für ihn nicht infrage.
„Meiner Meinung nach ist er ein Heuchler. Ein Populist, der Norbert Hofer
Populismus vorwirft“, sagt Bekiaris. Er kaufe ihm nicht ab, dass er
unparteiisch sei, immerhin lasse er sich von Grünen und Kommunisten
unterstützen. „Vor sechs Jahren hat er gesagt, die Grünen sind eine
Ausländerpartei, jetzt wirbt er mit Heimat auf seinen Plakaten.“
Die FPÖ schätzt Bekiaris nicht als rechtsextrem ein. Auch wenn es bestimmt
schwarze Schafe in der Partei gebe, könne man davon nicht auf alle Wähler
schließen. „Ich bezeichne doch auch nicht jeden Grünen als linksextrem,
wieso macht man es dann andersherum? Man pauschalisiert, hetzt und grenzt
FPÖ-Wähler teils sehr aggressiv aus. Das ist doch genau das, was man der
FPÖ vorwirft.“ Bekiaris war mal in einer Burschenschaft, die linken
Proteste und linksextremen Ausschreitungen kennt er vom Akademikerball. Er
sei dann im Studium ausgetreten, als er seine Freundin kennenlernte, dieser
„Freundschaftsverein“ sei eher etwas für Jugendliche.
„Hofer stand den ganzen Wahlkampf über für mehr Demokratie, für direkte
Demokratie – es war doch seltsam, dass es dann hieß, er würde die
Demokratie ins Wanken bringen“, sagt Bekiaris. Er wünscht sich eine bessere
Asylpolitik, eine bessere Integration und Aufteilung von Flüchtlingen.
„Wenn die Leute sich anpassen können, ist das okay, ich habe nichts gegen
Ausländer – das wäre auch absurd, mein Vater ist Grieche“, sagt er. Den
FPÖ-Chef Strache wünscht er sich nicht als Kanzler, der sei ihm in seinem
Auftreten schon zu extrem.
***
Markus Vorzellner wohnt in Wien-Floridsdorf in einem kleinen gelben
Mehrfamilienhaus mit grünen Fensterrahmen – Farben, wie man sie vom edlen
Schloss Schönbrunn kennt. Hier im nördlichsten Bezirk von Wien kann man
zwischen Einfamilienhäusern und Sozialbauten bereits aus Wien heraus auf
grüne Hügel blicken. Vorzellners Arbeitsstudio im Dachgeschoss liegt über
seiner Wohnung, in der er mit seiner Frau lebt. Im Studio steht ein
schwarzer Konzertflügel mitten im Zimmer, eine Wand ist durch ein volles
Bücherregal verdeckt. Er bietet Most aus dem Weinviertel an.
Der 52-Jährige ist in Wien geboren und Pianist, er arbeitet als Vocalcoach
und Opernkorrepetitor – er ersetzt in Proben also das Orchester. „Ich
schaue aber immer, dass mir genug Zeit bleibt, auch andere Dinge zu machen
– ich habe mich viel mit Geschichte und Philosophie beschäftigt,
Musikwissenschaft und Germanistik studiert.“
Auf seine Bibliothek ist er stolz, da stehen Bücher über mittelalterliche
Musik, über Könige, Dirigenten und Mythologie, aber auch Adolf Hitlers
„Mein Kampf“, ein Buch, das er gleich selbst anspricht, nicht dass es
falsch verstanden werde, er habe sich viel mit dieser Zeit beschäftigt.
Vorzellner besitzt auch Irene Harands „Sein Kampf“, die Antwort auf Hitler
und viele Bücher zur jüdischen Geschichte. Sein Freund Rudolf Gelbard wurde
1942 mit zwölf Jahren ins KZ Theresienstadt deportiert. „Mit den
einschlägigen Fans von Hofer, die den Holocaust leugnen – also nein, mit
diesem Gesindel will ich wirklich nichts zu tun haben“, sagt er und zögert,
wohl weil er sich sonst gewählt ausdrückt.
Dass er in der Bundespräsidentenwahl Hofer wählen würde, war für den
Wechselwähler trotzdem bald klar. „Das war kein einfacher Prozess, weil ich
Alexander Van der Bellen früher geschätzt habe“, sagt er. „Doch ich sehe
bei ihm die bedenkliche Entwicklung, dass er für ein zentral gesteuertes
Europa einsteht, das die einzelnen souveränen Staaten Europas entmachten
soll. Van der Bellen hält das Vetorecht der EU-Staaten für überflüssig. Und
das halte ich für undemokratisch“, erzählt er und bezieht sich auf eine
Rede des Kandidaten im Wiener Haus der EU im März.
Norbert Hofer ist dem Musiker eigentlich „von Herzen unsympathisch, und ich
denke auch nicht, dass er der intelligenteste Mensch ist“. Trotzdem würde
er ihn auch aus dem Grund wählen, weil Van der Bellen noch keine Antwort
auf die „Islamisierung“ Europas gegeben habe.
„Verträgt sich das mit unseren europäischen Grundrechten, der
Religionsfreiheit? Darüber muss man sich Gedanken machen“, sagt Vorzellner.
Doch dass Van der Bellen mal gedroht hatte, die FPÖ nicht als Regierung zu
vereidigen, hält er ihm vor. Das heiße, mit zweierlei Maß messen.
***
Philomena Buchhas spaziert mit ihrem Einkaufskorb in der Hand über den
Wiener Stephansplatz, es weht ein kalter Wind über den grauen Granitboden.
Früher war hier, wo nun Menschen ihre Weihnachtseinkäufe erledigen, ein
Friedhof. Die hautfarbenen Strümpfe blitzen beim Gehen unter dem dunklen
Rock und Mantel hervor. Im Café angekommen nimmt sie ihr kariertes Kopftuch
ab, eine kleine Erinnerung daran, dass diese Kopfbedeckung auch in
Österreich mal sehr verbreitet war. Ihre weißgrauen Haare sind zu einem
Dutt gesteckt, ein feines Haarnetz hält die Strähnen zusammen.
„Ich werde nächstes Jahr 80“, sagt Philomena Buchhas auf die dazugehörige
Frage und strahlt. Sie wirkt jünger. Ihr Lachen scheint danach so lange auf
ihrem faltigen Gesicht zu verweilen, dass man nicht umhinkommt sich zu
fragen, ob sie noch böse schauen könnte, wenn sie es denn wollte.
Philomena Buchhas ist pensionierte Lehrerin und sozial sehr engagiert. „Ich
bin bei den Samaritern, wir sammeln Waren für die Roma in Rumänien,
Slowakei und Südungarn. Ich bin außerdem Organistin und im Kirchenchor“,
erzählt sie stolz. Geboren wurde sie in Gloggnitz, in Niederösterreich, wo
sie auch heute noch lebt. An einer Hauptschule in der Nähe unterrichtete
sie Deutsch, Musik und Bildnerische Erziehung und aus der Not heraus auch
Mathematik. „Das war damals nicht üblich, diese Fächer zu kombinieren, aber
die Schüler haben davon profitiert, ich konnte Mathematik viel
anschaulicher erklären“, erzählt sie.
„Für mich war von Anfang an klar, dass ich Norbert Hofer wählen würde. Ich
kenne einige Grüne und die leben einfach nicht, was sie vorgeben zu sein.
Sie werfen ihre Zigaretten auf den Boden, fahren überall mit dem Auto hin
und lassen den Motor laufen.“ Deswegen fühle sie sich abgestoßen von den
Grünen. „Für mich war klar, dass Norbert Hofer der Richtige ist. Ich habe
Bekannte, die in seiner Heimatgemeinde Pinkafeld leben. Für sie ist er ein
Vorbild. Er geht jeden Sonntag in die Kirche.“ Auf Hofers Plakaten stand
zuletzt „So wahr mir Gott helfe“, das hat sie beeindruckt, dass er Gott
miteinbezieht und die Werte vertritt, die er auch lebt.
Philomena Buchhas ist selbst sehr engagiert in der Kirche, hat sich immer
bemüht, Kranken und Armen zu helfen. Sie findet, dass das Geld für diese
Österreicher da sein muss, nicht für die Ausländer, die ins Land kommen. Es
sei schwieriger geworden, den jungen Leuten Ausbildungsplätze zu besorgen,
erzählt Buchhas. Sie hat eine rote Mappe mitgebracht. Darin liegen
FPÖ-Werbesendungen und Ausschnitte aus den Gratis-Boulevardzeitungen
Österreich und Heute, etwa Berichte über Pfarrer, die eine Wahlempfehlung
für Hofer aussprechen. Diese beiden Zeitungen liest sie regelmäßig, sagt
sie, einen Fernseher besitzt sie nicht.
6 Dec 2016
## AUTOREN
Saskia Hödl
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