| # taz.de -- „NSU 2.0“-Drohschreiben: Weitere Politikerinnen betroffen | |
| > Nach der Hessin Janine Wissler erhielten zwei weitere Linke-Abgeordnete | |
| > in Berlin Drohbriefe. Wieder enthalten sie Daten, die nicht öffentlich | |
| > sind. | |
| Bild: Nicht allein betroffen: Janine Wissler im hessischen Landtag mit Innenmin… | |
| Berlin/Frankfurt am Main taz | Die aktuelle „NSU 2.0“-Drohschreibenserie | |
| weitet sich aus. [1][Nach der hessischen Linken-Fraktionschefin Janine | |
| Wissler] erhielten nach taz-Informationen zuletzt auch die | |
| Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner und die Linken-Fraktionschefin | |
| im Berliner Abgeordnetenhaus Anne Helm Drohschreiben desselben Absenders. | |
| Auch darin waren persönliche, öffentlich nicht bekannte Informationen | |
| erhalten. | |
| Wissler hatte [2][bereits Mitte Februar ein erstes Schreiben erhalten, das | |
| mit „NSU 2.0“ unterzeichnet war]. Darin sind Nazi-Parolen und Drohungen | |
| enthalten. Der Absender benannte auch persönliche Kontaktdaten der | |
| Linken-Politikerin. Wissler wandte sich darauf an die Polizei, die | |
| feststellte, dass ihre Daten kurz zuvor von einem Polizeicomputer in | |
| Wiesbaden abgerufen wurden. | |
| Ein Beamter wurde ausfindig gemacht, bestreitet laut Spiegel-Informationen | |
| allerdings die Datenabfrage. Demnach hätten andere Polizisten über seinen | |
| Account die Suche getätigt. Der befragte Beamte wird in den Ermittlungen | |
| nur als „Zeuge“ geführt. Eine Durchsuchung seines privaten Computers soll | |
| es nicht gegeben haben. | |
| ## Auch die Linken-Politikerinnen Renner und Helm betroffen | |
| Bereits eine Woche nach dem ersten Schreiben im Februar hatte Wissler ein | |
| zweites bekommen. Zwei weitere „NSU 2.0“-Drohmails folgten vor wenigen | |
| Tagen. Diese gingen nun parallel auch an weitere Absender, darunter Martina | |
| Renner und Anne Helm. Alle drei Linken-Politikerinnen werden in den | |
| Schreiben persönlich adressiert und ihnen ein „Todesurteil“ ausgesprochen. | |
| Dazu werden auch persönliche, öffentlich unbekannte Daten aufgeführt. | |
| Die drei Politikerinnen sind allesamt bekannt für ihr Engagement gegen | |
| Rechtsextremismus. Wissler und Helm äußern sich aktuell nicht zu den | |
| Bedrohungen. Renner machte den Ermittlern schwere Vorwürfe. „Das LKA Hessen | |
| hat bei der Aufklärung der Drohserie bisher komplett versagt“, sagte sie | |
| der taz. „Es ist ein schweres Versäumnis von Innenminister Beuth, sich erst | |
| jetzt um die Morddrohungen gegen engagierte Frauen zu kümmern.“ | |
| Auch Helm sagte: „Das Vertrauen in die hessischen Behörden ist nachhaltig | |
| zerstört. Deshalb sollte die Bundesanwaltschaft das Verfahren an sich | |
| ziehen.“ Die Inhalte der Drohschreiben zeigten zudem, dass der oder die | |
| Täter Zugang zu Quellen von sensiblen Daten und Verbindungen nach Berlin | |
| hätten. | |
| Das LKA Hessen äußerte sich vorerst nicht zu dem Vorgang. Die | |
| Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main lehnte eine Stellungnahme aufgrund der | |
| laufenden Ermittlungen ab. Auffällig: In den aktuellen „NSU | |
| 2.0“-Drohschreiben wird wiederholt Bezug auf Berichte zu | |
| Ermittlungsmaßnahmen gegen Polizisten im Rahmen der Drohserie genommen. Von | |
| den Absendern werden diese Ermittlungen immer wieder kritisiert. | |
| ## Innenminister schließt rechtes Polizeinetzwerk nicht mehr aus | |
| Schon seit August 2018 hatte [3][die Frankfurter Anwältin Seda | |
| Başay-Yıldız, die im Münchner NSU-Prozess Opferfamilien vertrat, wiederholt | |
| Drohschreiben eines „NSU 2.0“ erhalten]. Auch diese erhielten persönliche | |
| Daten, etwa von ihren Familienmitgliedern. Zuvor waren Daten von | |
| Başay-Yıldız auf einem Frankfurter Polizeicomputer abgerufen worden. Der | |
| Absender ist bis heute nicht ermittelt, die Schreiben wurden offenbar aus | |
| dem Darknet versandt. | |
| Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) zeigte sich am Donnerstagnachmittag | |
| erbost, dass er im Fall Janine Wissler vom LKA Hessen erst am Mittwoch über | |
| die Datenabfrage von einem Polizeicomputer im Februar informiert wurde. | |
| Dies sei angesichts der Bedeutung des Vorgangs „völlig inakzeptabel“. Er | |
| habe weiter keine Belege für ein rechtes Netzwerk in der hessischen | |
| Polizei, erklärte Beuth. Die erneute Datenabfrage aber „nährt den Verdacht�… | |
| eines solchen. Die hessische Polizei dürfe nun nichts unversucht lassen, | |
| „diesen Verdacht zu entkräften“. | |
| Beuth will nun einen Sonderermittler einsetzen, der die Ermittlungen zu den | |
| Drohmails federführend übernehmen und direkt an den | |
| Landespolizeipräsidenten berichten soll. Auch soll künftig jeder Polizist | |
| bei Datenabfragen in den polizeilichen Systemen einen dienstlichen Grund | |
| dokumentieren müssen. | |
| Basay-Yildiz kritisierte am Freitag Beuth und zeigte sich „verwundert“ über | |
| die Erklärung des Innenministers. Anders als die hessische LKA-Chefin | |
| Sabine Thurau habe sich dieser „nie bei mir und meiner Familie gemeldet“. | |
| Thurau habe dagegen den persönlichen Kontakt gesucht und ihr Kind, das | |
| weiter massiv bedroht werde, seit nun anderthalb Jahren geschützt, so die | |
| Anwältin. „Sie hat nicht die Öffentlichkeit wie der Innenminister oder | |
| andere politische Akteure gesucht, die leere Versprechungen ausgesprochen | |
| und sich nie wieder gemeldet haben, sondern tatsächlich etwas getan.“ | |
| Anders als Martina Rennner und Anne Helm kritisiert Basay-Yildiz das | |
| Landeskriminalamt nicht. Trotz aller struktureller Probleme habe die Arbeit | |
| von Thurau und des LKAs Vertrauen in die Polizei geschaffen, sagte die | |
| Anwältin. Dies sollte nun „nicht aus politischen Gründen von Herrn Beuth | |
| torpediert werden“. | |
| ## Politik ist alarmiert | |
| Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) Seehofer [4][nannte die | |
| Bedrohungen von Wissler „vollkommen inakzeptabel“]. Der Vorfall müsse | |
| „rücksichtslos aufgeklärt“ werden. Linken-Parteichef Bernd Riexinger warf | |
| den Behörden derweil vor, Politikerinnen seiner Partei nicht ausreichend zu | |
| schützen. „Ich bin schockiert darüber, dass meinen Kolleginnen in der | |
| Vergangenheit zu keinem Zeitpunkt Polizeischutz angeboten wurde“, sagte er | |
| der Rheinischen Post. | |
| Grünen-Chefin Annalena Baerbock forderte, dass unabhängige Wissenschaftler | |
| verfassungsfeindliche Tendenzen bei den Sicherheitsbehörden untersuchen. Es | |
| gehe nicht um einen Generalverdacht, die allermeisten Mitarbeiter seien | |
| „ohne jede Frage verfassungstreu“, sagte Baerbock der Deutschen | |
| Presse-Agentur. Aber wenn es [5][immer wieder rechtsextreme Vorfälle in den | |
| Sicherheitsbehörden] gebe, die Zugang zu Waffen und sensiblen Daten hätten, | |
| müssten diese Umtriebe aufgedeckt, analysiert und konsequent geahndet | |
| werden. | |
| 10 Jul 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
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