# taz.de -- Millennials und Zoomer: Neue deutsche Jugend | |
> Klima und Krieg verängstigen junge Leute. Sie übernehmen Verantwortung, | |
> wollen die Welt retten und für die Fehler der Alten geradestehen. | |
Bild: Die heutige Jugend ist empfindlich – und sorgt sich | |
Dies wird kein gerechter Text, beschäftigt er sich doch mit etwas, das es | |
nur als Behauptung gibt: DIE JUGEND. Überdies meint er von dieser nur den | |
kleinen, tonangebenden Teil, den die tonangebenden Medien favorisieren: | |
junge Erwachsene, die im sogenannten globalen Norden daheim sind, keine | |
existenziellen Geldsorgen, Abitur gemacht, studiert haben und die Welt | |
besser machen wollen – also diejenigen mit einer Einstellung, die man | |
früher „irgendwo links“ einsortierte. | |
Mittlerweile ist die Einstellung zur „Haltung“ und das „Irgendwie links“ | |
zum Mainstream mutiert, zur veröffentlichten Mitte: Man hat jetzt so zu | |
sein. „Wir wollen es doch alle richtig machen in diesem falschen Leben“, | |
behauptet etwa munter-resignativ ein junges Stimmchen im Radio, während ich | |
diese Zeilen schreibe. Und wäre es nicht sogar notwendig, ungerecht zu | |
sein, um Gerechtigkeit zu schaffen? Junge Linke früher haben das für sich | |
in Anspruch genommen – wo gehobelt wird, fallen Späne. | |
Aber die heutige Jugend ist empfindlich – und sorgt sich. Eine aktuelle | |
[1][Studie der Bertelsmann-Stiftung] offenbart, wie krisengeplagt und | |
ängstlich schon die 12- bis 18-Jährigen sich fühlen. „Sehr große Sorgen“ | |
wegen Krieg und Klima hat fast die Hälfte. Über 60 Prozent befürchten | |
Wohlstandsverluste wegen steigender Energiepreise und Inflation. Sogar 68 | |
Prozent der 24- bis 29-Jährigen bereitet der Krieg in Europa laut der | |
Studie „Jugend in Deutschland“ Sorgen, dicht gefolgt vom Klimawandel mit 55 | |
Prozent. | |
In einem Klima der Sorge wird nicht gehobelt – es wäre ungehobelt. Es wird | |
gefeilt, und zwar akribisch. Selbst einem Klimaradikalen wie dem kürzlich | |
wegen „Nötigung“ verurteilten [2][20-jährigen Nils R]. scheint der eigene | |
Aktivismus unangenehm – er wolle gar nicht stören, versicherte er. Zwar hat | |
er sich ziemlich störend auf Autobahnauffahrten festgeklebt, aber nicht aus | |
Spaß am Zoff: „Ich weiß nicht, was ich sonst machen soll, um die nötige | |
Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken.“ | |
## Spartanisch und tiefstapelnd | |
Die Jugend ist aufmerksam und fordert die ganze Welt auf, ihr darin zu | |
folgen, möglichst jedem Menschen (und auch jedem Tier und jedem Grashalm) | |
gerecht zu werden, zumindest theoretisch. Was einst ihr Vorrecht schien – | |
rücksichtslos ausbrechen, aus sich herausgehen, ins Freie, Offene, Weite, | |
Großspurige, Übersteigerte, auch ins Ungenaue –, ist verwirkt. Die | |
Vorgängergenerationen haben es verbockt. | |
Wenn die Erde brennt, ruft man nicht: Feuer! Sondern: Löschen. Nicht: Wir | |
sind grandios! Sondern: Wir sind die Guten. Nicht: Lasst uns in den Himmel | |
wachsen! Sondern: Wir müssen uns so klein wie möglich machen, damit | |
überhaupt noch etwas wächst. Während meiner Mutter, zum Beispiel, keine | |
Wohnung groß genug sein konnte, um nur ja nicht spießig zu sein, ist für | |
Angehörige der Generation meiner Kinder ein [3][Tiny House] das höchste der | |
Gefühle. | |
Während die 1968er „die da oben“ angriffen und gegen autoritäre Belehrung | |
rebellierten, belehren die 2020er die Alten von oben herab, das Licht | |
auszuschalten, achtsam zu sprechen und das Fahrrad zu benutzen. Während | |
einst die Stürmer drängten, stürmt heute nur die Klimakatastrophe, und die | |
Jugendlichen bedrängt das schlechte Gewissen. | |
Sie drehen den Spieß um und fühlen sich verpflichtet, all das zu verdammen, | |
von dem sie zehren: Wohlstand, Privilegien, Bildungsbürgerlichkeit, | |
[4][Überfluss, überhaupt das Zuviel], das überall lauert, droht, lockt. | |
Freiheit ist für sie gleichzusetzen mit Gier, Ausbeutung, | |
Menschenfeindlichkeit. Also fordern sie Einschränkungen – und gehen, sich | |
selbst einschränkend, schon mal voran. | |
Und davon aus – hier zumindest haben sich jugendliche Egozentrik, der Hang | |
zur Übertreibung und altersgemäßer Größenwahn erhalten –, dass die | |
Gesellschaft sich verändert, wenn sie sich fleißig selbst verändern. Nur: | |
Diese Veränderung ist nicht irgendwann abgeschlossen und dann wäre man | |
damit durch – es handelt sich um einen permanenten, „mega“-anstrengenden | |
Prozess. Er erfordert Selbstvergewisserung bei jedem Schritt, bei jedem | |
Wort, bei jedem Gedanken, bei jedem Gefühl, als wäre die gute Gesellschaft | |
nur über das gute Ich zu haben. | |
## Gruppendynamische Disziplin | |
Wo früher das Private politisch war, soll heute die eigene Identität, ja | |
der Körper als solcher politisch wirken. Das Selbst ist unmittelbar | |
betroffen und im Einsatz, befindet sich ohne Unterlass im Kampf für mehr | |
Gerechtigkeit. „Wer bin ich?“, wird da eine eminent politische Frage – und | |
wer sich zu einer Opfergruppe zählen darf, geht mit leichterem Gepäck. | |
Derlei Welt- und Selbstwahrnehmung lässt keinen Standpunkt außerhalb gelten | |
und macht es unmöglich, von sich selbst abzusehen. | |
Das handelnde oder auch nur atmende, essende, sexuell tätige Subjekt wirkt | |
total, es darf keine andere Rolle einnehmen oder Meinung vertreten als die, | |
mit der es jederzeit identisch zu sein hat. Der Kollateralschaden dabei: Es | |
hat sich ausgespielt, es gibt nichts mehr zu lachen, noch vor dem Planeten | |
verendet der Humor. Jeder Ort wird Kampfplatz, die Schule, die Bühne, | |
Medien, Musik, Kultur, Sport. Alle Fortbewegung zur durchgeplanten Aktion. | |
Jeder Kauf ist das Ergebnis grundsätzlicher ethischer Erwägungen, muss | |
total zum moralisch durchgestylten Ich passen. Wer sich einmal entschieden | |
hat, „Verantwortung zu übernehmen“ und damit „einen Unterschied zu mache… | |
kommt aus der Nummer nicht mehr raus, bleibt in sich als | |
UnterschiedsmacherIn, als VerantwortungsmanagerIn gefangen. | |
Wahrscheinlich trägt jede Befreiungsbewegung den Keim zur | |
(Selbst-)Unterdrückung schon in sich, aber der Identitätsterror, dem die | |
Jugend heute sich und die Menschheit unterwirft, kürzt den Weg zum | |
Totalitären ab, indem sie freie Bewegung erst gar nicht zulässt. Sie muss, | |
extrem globalisiert, hier an Afrika denken, muss jetzt die Ungeborenen im | |
Blick haben, muss, allzeit bereit zur Selbstbezichtigung, die gesamte | |
Unrechtsgeschichte ihrer „weißen“ Privilegien berücksichtigen. | |
## Streiten nur piano | |
So trägt die Jugend schwer an einer Verantwortung für gestern, heute und | |
morgen, alles gleichzeitig, woraus sich eine rührende, jedoch auch | |
beklemmend notwendige Hybris ergibt – denn wer sonst könnte es richten? Die | |
trägen, bequemen, immer neue Gründe gegen Veränderung erschwurbelnden Alten | |
wohl kaum. Die sozialdigitale Gesinnungskontrolle bedingt zusätzlich, dass | |
kaum ein junger Mensch noch „über die Stränge schlägt“ – die Fesseln l… | |
er sich ja selbst an. | |
Da brüllt keiner los, jedes Gespräch verläuft fotogeshoppt, wohltemperiert, | |
bedacht. Die jungen Frauen dürfen nicht mal mehr, wie ihre Vorfahrinnen, | |
nach Herzenslust [5][gegen „die Männer“ wettern], denn diese gibt es nicht | |
mehr – wer was jeweils in welcher Form und Ausprägung ist, gilt es immer | |
neu abzuklären, samt Pronomen und Verletzungspotenzial. Statt Befreiung ist | |
daher Begrenzung angesagt – auch sprachlich. | |
So führt ironischerweise gerade die weltrettende Selbstüberschätzung zur | |
Einengung des Selbst. Sinnfrei rumspinnen? Unvorsichtig sein? Besser nicht, | |
es könnte jemanden verletzen. Tollkühn in die Kurve rasen? Geht auch | |
irgendwie nicht, wenn der [6][Planet im Sterben] und der Dürrehunger | |
Afrikas, in direktem Kausalitätszusammenhang zu Konsum und | |
Kolonialgeschichte, direkt um die Ecke liegt. | |
Also lieber vorsichtig sein und jedes Wort, ja jede Geste abwägen und fein | |
säuberlich einteilen in „gut“ und „böse“. Statt auf die Moral zu sche… | |
wird moralisiert. Und mit der pandemischen Erfahrung, dass sogar der eigene | |
Atem hochgefährlich sein kann, scheint das Risiko, völlig Unbekannten | |
unbeabsichtigt zu schaden, nur noch größer. „Lasst uns handeln, als ob | |
unser Leben davon abhängt. Denn das tut es“, heißt es bei „Die Letzte | |
Generation“. | |
## Zu viel Informationen | |
Auch wenn es sich hier um die radikale Speerspitze des Klimaaktivismus | |
handelt, fasst dies gut das Programm aller zusammen. Veränderung ist kein | |
Spiel, kein Experiment, keine Frage des persönlichen Mutes oder der | |
Bereitschaft – sie ist persönliche wie kollektive Pflicht. Und am Ende ist | |
da viel Angst. Der Weltuntergang droht – und jetzt auch noch der Krieg. Die | |
jungen Menschen haben noch nie etwas wirklich Schreckliches erlebt, aber es | |
wird überall an die Wand gemalt. | |
Sie sind überinformiert. Und sie fühlen sich ständig schuldig. Für alles. | |
Die Jugend muss für alle Vorgängergenerationen büßen, also missioniert sie | |
belehrend durch die Gegend, bastelt mit unangreifbarer, | |
argumentationssatter Freundlichkeit an Mikrosprechakten herum – „äh, | |
Entschuldigung“ – ganz weich, behutsam und dabei immer so die Stimme nach | |
oben geschraubt, als wäre schon der Punkt am Ende des Satzes zu hart – „nur | |
zur Info, ich denke, das sagt man so nicht“. | |
Bloß nicht anecken, ist anstößig genug, das Leben. So wird ein | |
sozialpädagogischer Dauerworkshop draus: „Komm schon, wir wollen doch alle | |
dasselbe, arbeiten wir gemeinsam daran!“ Eine Generation von Lehrkräften, | |
die, wenn sie auf den innereuropäischen Flug zum Individualurlaub nicht | |
verzichten mag, ihr kollektiv schlechtes Gewissen im Handgepäck mitnimmt | |
und drei vegane Rosenkränze betet, um es wiedergutzumachen. | |
Und weil alles so unübersichtlich ist, bleibt sie unter sich, umgibt sich | |
mit Menschen, die genauso reden und aussehen wie sie selbst: irgendwie | |
links und latent queer. Wer frisch aus der Kleinstadt nach Berlin kommt, | |
setzt sich in ein Café in Neukölln, um zu gucken, wie es richtig geht. Oder | |
sucht sich bei Pinterest seinen korrekten linken Stil zusammen. | |
Denn auch wenn man weiß, dass man es im Grunde nur falsch machen kann, wird | |
Fehlerfreiheit durchaus angestrebt: die weiße Weste überm kontrollierten | |
Bunt, das fleckenlose Leben, moralisch unangreifbar – und gleichzeitig sich | |
noch im Schlaf der eigenen Privilegien bewusst, tröstende Umarmung als | |
Übergriff abwehrend, die Schuldgefühle vor der Brust wie einen glänzenden | |
Orden. Zumindest die Widersprüchlichkeit wirkt vertraut – und fast schon | |
wieder tröstlich. | |
4 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2022/augus… | |
[2] /Prozess-gegen-Autobahn-Blockierer/!5875268 | |
[3] /Tiny-Houses-im-Norden/!5664011 | |
[4] /Volkswirt-ueber-Postkonsumgesellschaft/!5849335 | |
[5] https://www.youtube.com/watch?v=GK51vq95j1s | |
[6] /Schwerpunkt-Klimawandel/!t5008262 | |
## AUTOREN | |
Katharina Körting | |
## TAGS | |
Millennials | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Erderwärmung | |
Letzte Generation | |
Schwerpunkt Fridays For Future | |
Millennials | |
Berlin Kultur | |
Zukunft | |
Kolumne Kinderspiel | |
Letzte Generation | |
Russland | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Grüne Berlin | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Wie „Gen Z“ über „Millennials“ denkt: Viel zu bemüht | |
„Millennials“ und „Generation Z“ benutzen soziale Medien sehr | |
unterschiedlich. Unsere Autorin beobachtet die feinen Differenzen bei den | |
Altersgruppen. | |
Kulturwinter in Berlin: Ohne Moos was los | |
Der Senat führt eine Jugendkulturkarte ein. Damit bekommen junge Menschen | |
50 Euro als Guthaben für kulturelle Erlebnisse. | |
Nachhaltiges Handeln: Mehr Mitleid für das Zukunfts-Ich | |
Viel von dem, was wir heute konsumieren, wird uns später fehlen. Würden wir | |
einen Nachbarplaneten nachhaltiger behandeln als unsere eigene Zukunft? | |
Junge Menschen und Arbeit: Freizeit statt Bullshit | |
Fleißig genannt zu werden ist oft ein Synonym für Überstundenmachen. Unsere | |
Autorin hat keine Lust mehr darauf. Wertvoll ist für sie vor allem Zeit. | |
1.400 Anzeigen wegen Straßenblockaden: Rechtsstaat vs. Letzte Generation | |
Immer mehr Verfahren gegen Klima-Aktivist*innen nach Straßenblockaden, | |
meist wegen Nötigung: Grüne kritisieren vorschnelle | |
Law-and-Order-Forderungen. | |
Rekordgewinne bei Gazprom: Waffen im Wirtschaftskrieg | |
Normalerweise ist es nicht im Sinne eines Monopolisten wie Russland, dem | |
Käufer zu schaden. Aber die Zeiten sind unnormal. Gas ist eine Kriegswaffe. | |
UN-Klimaziele vor dem Scheitern: Richtung 2,7 Grad Erderwärmung | |
Alarm bei der UNO: Die Klimapolitik ist weit vom 1,5-Grad-Ziel entfernt. | |
Die G20 könnten viel bewirken, sind aber zu langsam. | |
Podcast „Die Querulant_/:*innen“: Boomer und Millenials | |
Die Querulantinnen sprechen mit Leonie Bremer und Renate Künast über den | |
Zwist der Generationen und über das Klima. |