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# taz.de -- Junge Menschen und Arbeit: Freizeit statt Bullshit
> Fleißig genannt zu werden ist oft ein Synonym für Überstundenmachen.
> Unsere Autorin hat keine Lust mehr darauf. Wertvoll ist für sie vor allem
> Zeit.
Bild: Zeit ist wertvoll – wozu sie also im Büro verbringen?
Manchmal frage ich mich, woran man merkt, dass man alt ist. Für meine
Kinder bin ich jetzt schon steinalt. Für manche berufliche Chancen, für
viele Stipendien etwa, bin ich zu alt mit meinen 37 Jahren. Für viele
Stipendien, für die ich nicht zu alt bin, [1][bin ich zu Mutter.]
Ich fühle mich gar nicht mehr so jung. Könnte mit diesem Elternsein zu tun
haben. Viele Leute sagen trotzdem „junge Frau“ zu mir. Letztens wurde ich
sogar nach meinem Ausweis gefragt, als ich eine Flasche Wein kaufen wollte.
Per Definition bin ich Millennial. Und ob ich mich jung fühle oder nicht,
ich bin auch Teil [2][dieser „jungen“ Menschen], die „nicht mehr arbeiten
wollen“. Sofern arbeiten heißt, in – oft unterbezahlten –
[3][(Bullshit-)Jobs] 40 Stunden abzusitzen, neben irgendwelchen
grenzüberschreitenden Arbeitskolleg*innen, die es nie geschafft haben, sich
eine Persönlichkeit außerhalb ihres Berufes zuzulegen.
## Finanzieller Aufstieg fast unmöglich
Sofern es heißt, über die Arbeitszeit hinaus die obligatorischen, aber
unbezahlten und oft vermeidbaren Überstunden zu leisten, damit einen jemand
nach ordnungsdeutscher Art „fleißig“ und „engagiert“ nennt, wenn eigen…
gemeint ist, dass man hervorragend auszubeuten ist, weil man nie gelernt
hat, seine Grenzen zu wahren, in einer Gesellschaft, in der Persönlichkeit
mehr über den Beruf definiert wird als über den Charakter.
Es ist nicht so, dass ich mich nie habe ausbeuten lassen. Ich hatte nie
Geld, deshalb viele schlechte Jobs und ein paar gute. Die guten waren alle
schlecht bezahlt und auslaugend, am Ende also auch schlecht. Auf Dauer
leidet die Gesundheit. Wenn nicht sofort, dann, wenn man in der Altersarmut
hängt, weil man sein Leben lang unbezahlt „fleißig“ war und „engagiert�…
Ich glaube, viele Leute haben verstanden, dass es kaum noch möglich ist,
finanziell aufzusteigen. Dass viel Geld zu haben, wenn man stirbt, auch
keinen Sinn ergibt, wenn man selbst nie gelebt hat. Und dass die letzten
Gedanken auf dem Sterbebett eher nicht sein werden: „Hätte ich bloß mehr
Wochenstunden im Büro verbracht.“
## Kopf schütteln
Ich musste erst lernen, dass meine Zeit wertvoll ist. Kinder führen die
eigene Vergänglichkeit eindrücklich vor Augen. Ich musste lernen, dass ich
mit Leuten, die erben werden, und ihrer Gratisarbeit nie mithalten werde
können. Dass für mich Freizeit einen höheren Stellenwert haben muss, um
zufrieden sein zu können mit den Beziehungen, die ich führe.
Ich gratuliere allen, die all das schon ab dem Berufseinstieg wissen. Die
Ausdauer und finanzielle Mittel haben, das durchzuziehen. Ich kann nicht
garantieren, dass ich nie wieder nach Feierabend „engagiert“ sein muss. Ich
hab Rechnungen zu bezahlen. Aber ich versuche es.
Ich hoffe, meine Kinder werden irgendwann über die Messung von beruflichem
Engagement in stündlicher Anwesenheit so sehr den Kopf schütteln wie wir
heute darüber, dass man früher in Krankenhäusern geraucht hat.
11 Oct 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Saskia Hödl
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