# taz.de -- Militärsprecher zum Krieg in Gaza: „Diesmal zu Ende bringen“ | |
> Der Angriff am 7. Oktober war ein „Mini-Holocaust“, sagt Arye Sharuz | |
> Shalicar. Dass in Gaza jetzt so viele Menschen sterben, sei allein Schuld | |
> der Hamas. | |
Bild: Israelische Soldaten kurz vor der Invasion des Gazastreifens | |
taz: Herr Shalicar, wann wird der Krieg in Gaza enden? | |
Arye Sharuz Shalicar: Die Hamas könnte den Krieg sofort beenden, wenn sie | |
die Waffen niederlegt und die Geiseln freilässt. Aber ich nehme an, er wird | |
noch eine Weile dauern. | |
Die israelische Armee hat in Gaza in rund zehn Wochen über 19.000 Menschen | |
getötet. Warum kostet dieser Krieg so viele Opfer? | |
Niemand kann diese Zahlen derzeit verifizieren. Wir haben fast einen Monat | |
gebraucht, um zu überblicken, wie viele Menschen die Hamas bei ihrem | |
Angriff am 7. Oktober getötet oder entführt hat. In Gaza herrscht eine ganz | |
andere Situation, und wir haben in den letzten zweieinhalb Monaten über | |
7.000 Terroristen getötet. | |
Wenn das stimmt, wären das immer noch 12.000 tote Zivilisten. Ist das | |
verhältnismäßig? | |
Jeder tote Zivilist ist einer zu viel. Schuld daran trägt aber allein die | |
Hamas: Sie hat am 7. Oktober die Waffenruhe gebrochen. Wir haben das Recht, | |
uns zu wehren, und laut Völkerrecht ist jeder Ort, von dem aus geschossen | |
wird, ein legitimes Ziel. Das heißt nicht, dass wir Lust darauf haben, | |
Unschuldige zu treffen | |
Das israelische [1][+972 Magazine ] berichtet, dass die israelische Armee | |
die Zahl ihrer Ziele stark ausgeweitet habe und künstliche Intelligenz | |
einsetze, um diese auszuwählen. Stimmt das? | |
Wir setzen alles ein, was uns hilft, Luftschläge so präzise wie möglich | |
durchzuführen. Wir setzen aber auch Bodentruppen ein und verlieren jeden | |
Tag Soldaten, weil wir sie reinschicken in diese Hölle. Die Hamas ist dort | |
im Vorteil, ihre Leute können aus jedem Fenster schießen.Wir haben es mit | |
einem asymmetrischen Krieg zu tun. Und die Hamas hat in den vergangenen | |
Wochen mehr als 11.000 Raketen auf Israel abgeschossen. Stellen Sie sich | |
vor, die Taliban hätten ähnlich viele Raketen auf Deutschland abgeschossen: | |
Würden Sie sich das gefallen lassen? Wir gehen langsam, besonnen und so | |
präzise wie möglich vor. Aber das kostet seine Zeit – und es heißt nicht, | |
dass sich zivile Opfer vermeiden lassen. | |
Die [2][New York Times] schreibt, eine so hohe Zahl an Opfern in so kurzer | |
Zeit sei ziemlich einmalig. Was sagen Sie dazu? | |
Wollen Sie sagen, die Armee des jüdischen Staats sei schlimmer als die | |
aller anderen Staaten dieser Welt? | |
Muss man jede Kritik mit diesem Vorwurf abwehren? Netanjahu hat jüngst | |
Ermittlungen gegen Israel wegen möglicher Kriegsverbrechen als „reinen | |
Antisemitismus“ bezeichnet. | |
Kein anderes Land wurde in den letzten Jahren mit so vielen Raketen | |
beschossen wie Israel, kein anderes Land hat so einen 7. Oktober erlebt. | |
Wir kämpfen nicht am Hindukusch, wir kämpfen vor unserer Haustür. Das | |
bekommt einfach nicht genug Aufmerksamkeit, und das ist traurig. | |
In der [3][UN-Vollversammlung] haben jüngst 150 Staaten für einen | |
sofortigen Waffenstillstand gestimmt. Die USA drängen Israel, den Krieg | |
schnell zu beenden, um weitere zivile Opfer zu vermeiden, und Joe Biden | |
warnt, Israel könne sich sonst international isolieren. Sehen Sie diese | |
Gefahr? | |
Das eine ist, was man sagt. Das andere ist, was man tut – und das, was wir | |
tun, wird von sehr vielen unterstützt. Sie können es bloß nicht immer offen | |
sagen. Die Amerikaner haben volles Verständnis für unsere Situation und | |
stimmen sich eng mit uns ab, auch ein großer Teil der arabischen Welt führt | |
hinter verschlossenen Türen gute Gespräche mit uns. Sie alle sehen die | |
Hamas und ihre Hintermänner als Bedrohung an, genau wie wir. | |
Sie nehmen die Abstimmung in der UN-Generalversammlung nicht ernst? | |
Die Menschen wollen ihre Ruhe. Ich kann das verstehen. Aber zuerst will ich | |
meine Familie zurückhaben. Da ist es mir egal, was andere Leute sagen. | |
Diese falsche Ruhe hatten wir bis zum 7. Oktober – dann haben wir gesehen, | |
was passiert ist. | |
Die Hamas hat Israel mit ihrem Angriff überrascht. Wie konnte das | |
passieren? | |
Wir haben den Feind unterschätzt. Diese Menschen haben sich monatelang | |
vorbereitet und wussten genau, wohin sie gehen und was sie tun wollen. Und | |
wir haben die Brutalität unterschätzt, mit der sie nach Israel eingedrungen | |
sind und dort friedliche Menschen abgeschlachtet haben. | |
Warum haben die Geheimdienste so versagt? | |
Das wird nach dem Krieg untersucht werden. Aber am Ende sind das auch nur | |
Menschen und keine Roboter. Es war menschliches Versagen, das wird sicher | |
Konsequenzen haben. Wir müssen uns aber auch fragen, wo das Geld für diesen | |
Angriff herkam. | |
Was vermuten Sie? | |
Deutschland ist der zweitgrößte Geldgeber der Palästinenser. Wenn | |
Deutschland sie mit Geld unterstützt, muss es sicherstellen, dass das Geld | |
nicht über Umwege bei der Hamas landet. | |
Die Bundesregierung hat ihre Hilfszahlungen überprüft. Mit dem Geld werden | |
Schulen und Krankenhäuser finanziert. Glaubten Sie das nicht? | |
Unter fast jedem Krankenhauskomplex und Schulgelände, das wir bis jetzt | |
betreten haben, befinden sich Terrortunnel und andere | |
Terrorinfrastrukturen. Dazu habe ich Fragen. | |
Die Hamas wird aus Katar finanziert. Die [4][New York Times] berichtet, | |
dass Israels Premier Benjamin Netanjahu diese Geldflüsse unterstützt hat, | |
weil er einen palästinensischen Staat verhindern wollte. Ist das nicht Teil | |
des Problems? | |
Ich bin Militärsprecher, kein Politiker. Aber wir haben in den letzten | |
Jahrzehnten alles dafür getan, um einen Konflikt zu vermeiden. Diese Ruhe | |
wurde durch die Hamas gebrochen, auch, weil die Hintermänner im Iran das so | |
wollten. Das hat mit Israels Annäherung an Saudi-Arabien zu tun, aber auch | |
mit Antisemitismus und Judenhass. | |
Ruhe herrschte schon vorher nicht. Aber Israels Regierung hat die Raketen | |
aus dem Gazastreifen in Kauf genommen und regelmäßig „das Gras gemäht“, … | |
es hieß. Hat man geglaubt, dass man die Situation im Griff hat? | |
Das war eine Illusion. Wir haben vor diesem Krieg nur halbe Sachen gemacht. | |
Aber der 7. Oktober hat alles verändert. Dieser Mini-Holocaust ist mit | |
nichts zu vergleichen. Deswegen müssen wir es diesmal zu Ende bringen und | |
die Infrastruktur der Hamas komplett zerstören: ihre Raketenabschussrampen, | |
ihre Terror-Tunnel, ihre Waffenlager. Wenn nicht, kommt der nächste 7. | |
Oktober, und dann könnte meine Tochter unter den Opfern sein. Das will ich | |
nicht. | |
Wären Verhandlungen nicht der bessere Weg? Dadurch hat die Hamas einige | |
Geiseln freigelassen. | |
Militärischer Druck hat dazu geführt, dass sie Geiseln freigelassen hat. | |
Aber die Hamas hat die siebentägige Feuerpause auch genutzt, um sich zu | |
reorganisieren, die Geiseln innerhalb Gaza zu verschleppen und wieder auf | |
uns zu schießen. Sie hat die Feuerpause gebrochen. Und ohne militärischen | |
Druck wird die Hamas keine weiteren Zugeständnisse machen. | |
Bei den Kämpfen sind auch Geiseln gestorben. Angehörige fürchten, dass | |
jeder weitere Kriegstag [5][das Leben weiterer Geiseln gefährdet]. | |
Zu Recht! Wir wollen weder Geiseln noch unschuldige Palästinenser treffen. | |
Aber Krieg ist Krieg, und dieser Krieg wurde uns aufgezwungen. | |
Im Norden Gazas soll jedes dritte Haus zerstört sein, und die israelische | |
Armee hat auch leere Gebäude in die Luft gesprengt – die Universität und | |
das Parlament zum Beispiel. Welchen strategischen Nutzen hat das? | |
Wenn jedes zweite Gebäude zur Infrastruktur der Hamas gehört und wir nur | |
jedes dritte zerstört haben, dann waren wir schlecht. Ein Krieg kann | |
niemals ganz sauber und präzise sein – schon gar nicht in einem dicht | |
besiedelten Ort wie Gaza, wo die Terroristen die Infrastrukturen | |
infiltriert haben und sich in Krankenhäusern, Schulen und Moscheen | |
verschanzen. | |
Über 60 Journalisten sind in den vergangenen Wochen durch israelische | |
Luftschläge getötet worden. Wie erklären Sie sich diese hohe Zahl? | |
Sind unter diesen „Journalisten“ auch Leute, die während des Massakers am | |
7. Oktober die Morde und Entführungen live aufgenommen haben? | |
Nein, wir beziehen uns auf eine Zählung des [6][Committee to Protect | |
Journalists] in New York. | |
Es versteht sich von selbst, dass Journalisten und andere Zivilisten nicht | |
unser Ziel sind, sondern ausschließlich die Terroristen der Hamas und des | |
Islamischen Dschihad. Aber wenn sich Journalisten in unmittelbarer Nähe von | |
Terroristen aufhalten, dann ist das ein Problem. Denn wenn man auf uns | |
schießt, dann reagieren wir darauf. | |
Seit dem Krieg in Gaza hat sich auch im Westjordanland die Lage verschärft: | |
Dort wurden in diesem Jahr fast 500 Palästinenser getötet, viele schon vor | |
dem 7. Oktober. Warum? | |
Weil Hamas und Islamischer Dschihad dort in den letzten Monaten ihren | |
Terror intensiviert haben, weil sie die Macht auch dort an sich reißen | |
wollen. | |
[7][Die Gewalt geht auch von Siedlern] und der israelischen Armee aus. | |
Können Sie nicht für Sicherheit und Ordnung sorgen? | |
Die IDF ist laut den Friedensverträgen von Oslo in den B- und C-Gebieten | |
von Judäa und Samaria beauftragt, als rechtmäßige Sicherheitskraft für | |
Ordnung und Sicherheit zu sorgen. Wenn sich die israelische Armee von nur | |
einen Zentimeter zurückziehen würde, dann würde die Hamas auch dort die | |
Macht übernehmen. Mahmud Abbas hat großes Glück, dass unsere Armee dort mit | |
seinen Sicherheitsbehörden zusammenarbeitet – sonst wäre er der Nächste, | |
der aus dem elften Stock fliegen würde – so wie seine PLO-Freunde in Gaza | |
im Jahr 2006, als die Hamas dort die Macht ergriff. Die israelische Armee | |
ist seine Lebensversicherung. | |
Die USA wollen, dass der Palästinenserpräsident nach dem Krieg wieder die | |
Kontrolle im Gazastreifen übernimmt. Ist das eine gute Idee? | |
Theoretisch ja, praktisch nein. Abbas besitzt unter seinen eigenen Leuten | |
keinerlei Legitimität. Was soll es bringen, wenn man im Gazastreifen so | |
eine „Puppe“ aufstellt? | |
Hat die Zweistaatenlösung nach dem Krieg eine Chance? | |
Wir wollen keine Besatzung. Aber erst einmal müssen wir die Hamas schlagen. | |
Und dann sprechen wir mit allen, die ein Interesse daran haben, dass es den | |
Palästinensern besser geht. Das ist nicht allein eine israelische | |
Angelegenheit. Wir werden uns mit Ägypten und den USA abstimmen, dass es | |
nach diesem Krieg im Gazastreifen wieder ein normales Leben ohne | |
Terrororganisation an der Macht geben wird. Das muss das Ziel sein. Das ist | |
Aufgabe des Staates und nicht des Militärs. | |
Was gibt Ihnen die Hoffnung, dass der Hass auf palästinensischer Seite | |
angesichts so vieler getöteter Zivilisten abnehmen wird? | |
Als die Alliierten die Nazis besiegt haben, wer hat da die toten Zivilisten | |
gezählt? Wer hat die zivilen Opfer in Rakka oder Mossul gezählt, als der | |
Islamische Staat besiegt wurde? Das passiert nur, wenn die Juden sich | |
wehren. Und solange die Geiseln festgehalten werden und die Hamas sich | |
nicht ergibt, geht jedes zivile Opfer auf ihr Konto. Was sollen wir tun? | |
Mit Streicheleinheiten zwingt man eine Terrororganisation nicht in die | |
Knie. Menschen leiden – aber nicht, weil Israel das will. | |
Hilft es gegen den Hass, wenn in Gaza riesige Menora-Leuchter aufgestellt | |
werden oder wenn in Dschenin in einer Moschee ein jüdisches Gebet | |
abgehalten wird? | |
Sicher gibt es den einen oder anderen Soldaten, der Mist baut. Soldaten | |
sind auch nur Menschen. Da muss es Gespräche geben, damit so etwas nicht | |
noch einmal passiert. | |
Hilfsorganisationen klagen, dass [8][nicht genug Hilfe] in den Gazastreifen | |
gelangt. Warum lockert Israel die Blockade nicht? | |
Das Problem ist, dass die Hamas Treibstoff und Strom für sich abzweigt. Du | |
gibst doch dem, der dich ermorden will, nicht auch noch das Messer in die | |
Hand. Wir lassen in Absprache mit Ägypten aber kontrolliert Lastwagen in | |
humanitäre Zonen hinein, und das funktioniert. Es ist nicht genug, aber | |
noch einmal: Das Massaker der Hamas am 7. Oktober ist die Ursache dafür. | |
Manche fürchten, Israel wolle die Menschen aus Gaza in den Sinai | |
vertreiben. Sind diese Ängste unbegründet? | |
Ägypten ist einer unserer engsten Verbündeten, wir haben seit 1979 Frieden. | |
Stellen wir uns vor, zwei Millionen Menschen aus Gaza, von denen nicht | |
wenige der Hamas oder dem Islamischen Dschihad angehören, würden sich auf | |
dem Sinai ansiedeln – wo wären wir dann in einer Generation? Dann würden | |
sie uns aus Ägypten beschießen, und das wollen wir nicht. | |
19 Dec 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.972mag.com/mass-assassination-factory-israel-calculated-bombing… | |
[2] https://www.nytimes.com/2023/11/25/world/middleeast/israel-gaza-death-toll.… | |
[3] /Nahost-und-Ukraine/!5976276 | |
[4] https://www.nytimes.com/2023/12/10/world/middleeast/israel-qatar-money-prop… | |
[5] /Israelische-Geiseln/!5980359 | |
[6] https://cpj.org/2023/12/journalist-casualties-in-the-israel-gaza-conflict/ | |
[7] /Gewalt-im-Westjordanland/!5969926 | |
[8] /Humanitaere-Lage-im-Gazastreifen/!5977756 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
Tanja Tricarico | |
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