# taz.de -- Linksradikale Gruppe K.O.M.I.T.E.E.: Einmal Terrorist, immer Terror… | |
> Ein Abschiebeknast war 1995 Anschlagsziel Linskradikaler. Die | |
> Verdächtigen tauchten in Venezuela ab. Ein Besuch. | |
Bild: Die Fahnungsfotos von Bernhard Heidbreder, Thomas Walter, Peter Kraut | |
MÉRIDA/SINZHEIM/DANNENBERG/BERLIN taz | Der Mann, der seit mehr als zwei | |
Jahrzehnten vor der deutschen Polizei flieht, steht in Venezuela auf einer | |
Weide und hat gerade eine Kuh gemolken. In der Ferne ragen die Anden in den | |
Himmel, manche Berge sind grün, manche ziemlich karg. 57 Jahre alt ist | |
Peter Krauth, ein Mann mit schütteren grauen Haar und Schnauzer, so wie ihn | |
hier viele tragen. Vor ihm weiden die Tiere, Peter Krauth ist heute Bauer. | |
In einem anderen, früheren Leben arbeitete er als Tischler. Ende der 70er | |
zog er aus der badischen Provinz nach Berlin, dort betrieb er mit seinen | |
Freunden eine Holzwerkstatt, ging auf Antifa-Demos. | |
Krauth sagt, er würde gerne die Sache zu Ende bringen, juristisch reinen | |
Tisch machen. Die „Sache“, wie er es nennt, hat ihn nach Venezuela | |
gebracht. Sie hat dafür gesorgt, dass er in Deutschland bis heute zur | |
Fahndung ausgeschrieben ist. Auf der BKA-Webseite steht, Krauth spreche | |
Italienisch, Französisch und Holländisch. Dass er inzwischen Spanisch am | |
besten beherrscht, steht nicht in dem Fahndungsaufruf. Während hier in den | |
Bergen Venezuelas sein Leben weiterging, ist es in Deutschland in den 90er | |
Jahren stehen geblieben. Für die deutschen Behörden ist er immer noch ein | |
Terrorist. | |
Vor 22 Jahren, das jedenfalls werfen ihnen die Strafverfolger vor, sollen | |
Peter Krauth und seine beiden Freunde Bernhard Heidbreder und Thomas Walter | |
einen Anschlag auf ein Abschiebegefängnis in Berlin-Grünau vorbereitet | |
haben. Ein halbes Jahr zuvor sollen sie einen Brandanschlag auf das | |
Kreiswehrersatzamt in Bad Freienwalde verübt haben. Am Tatort wurde ein | |
Schreiben gefunden: „Deutschland ist Kriegspartei im Völkermord in | |
Kurdistan“, stand darin, in Großbuchstaben. Unterzeichnet: „DAS | |
K.O.M.I.T.E.E.“. Es entstand ein Sachschaden von 200.000 D-Mark. | |
Die Geschichte der drei Männer, die inzwischen Falten bekommen haben und | |
graue Haare, klingt wie ein Relikt aus den 70ern, wie aus einem längst | |
geschlossenem Kapitel aus dem Geschichtsbuch der alten Bundesrepublik. | |
Eigentlich sollte der Staat im Jahr 2017 andere Feinde haben als drei übrig | |
gebliebene Linksradikale. | |
Doch die Geschichte von Peter Krauth und seinen Freunden, die auch nach | |
Venezuela geflohen sind, ist noch nicht vorbei. Bis heute hält der deutsche | |
Staat an ihrer Verfolgung fest. Dabei waren die Anschläge des | |
„K.O.M.I.T.E.E.“ nicht gegen Menschen gerichtet, nie kam jemand zu Schaden. | |
Krauth und seine Freunde waren nicht die RAF. Und eigentlich sollten ihre | |
Taten auch längst verjährt sein. Krauth fühlt sich zu Unrecht verfolgt. | |
Mehr als 13 Flugstunden von Venezuela entfernt spaziert Birgit Roth um | |
einen See. Ihr Name wurde in diesem Text geändert, um ihre Privatsphäre zu | |
schützen. Ihren Bruder Peter hat sie vor über zwei Jahrzehnten das letzte | |
Mal gesehen. Der Weg ist matschig, sie zieht die Kapuze ihrer Regenjacke | |
über ihre kurzen Haare. Birgit Roth ist 60 Jahre alt und wohnt in einem | |
120-Einwohner-Dorf im Wendland. Sie arbeitet in einem Beratungszentrum, hat | |
eine Ausbildung zur Traumatherapeutin gemacht. | |
Ob sie ein Foto ihres Bruders anschauen wolle? Birgit Roth beugt sich in | |
ihrem Büro über den Laptop. Seit 22 Jahren hat sie ihn nur auf | |
Phantombildern und verwackelten Fahndungsfotos gesehen. Sie erschrickt. Die | |
Jahre im Exil haben ihren Bruder gezeichnet, er ist alt geworden. | |
Auch Birgit Roths Leben wurde damals auf den Kopf gestellt. Dank ihres | |
Bruders saß sie wochenlang in Untersuchungshaft. Zwei Jahrzehnte lang galt | |
sie als Terrorverdächtige, ihr Telefon wurde abgehört. „Das hing all die | |
Jahre wie ein Damoklesschwert über mir“, sagt sie. Dass sie von ihrem | |
Bruder enttäuscht ist, versteckt sie nicht. Und trotzdem versteht sie | |
nicht, warum immer noch nach ihm gefahndet wird. | |
Der Tag, der die beiden Geschwister und zwei weitere Familien | |
auseinanderreißt, ist der 11. April 1995. Was damals passiert, ist in den | |
Akten der Ermittlungsbehörden detailliert festgehalten: In der Nacht | |
entdecken Streifenpolizisten auf dem abgelegenen Waldparkplatz „Hanff’s | |
Ruh“ außerhalb des Berliner Stadtteils Köpenick zwei Autos. Beide Fahrzeuge | |
sind gerade verlassen worden, die Tür des roten Ford Transit steht offen, | |
die Motorblöcke sind noch warm. | |
In dem Kleintransporter finden die Beamten vier Propangasflaschen, die mit | |
rund 120 Kilogramm eines explosiven Gemischs gefüllt sind. Je zwei Flaschen | |
sind mit Drähten und einer Zeitschaltuhr verbunden. Auf dem Beifahrersitz | |
liegen zwei mit Benzin gefüllte Flaschen und neun Flugblätter, auf denen | |
geschrieben steht: „Achtung Lebensgefahr, Sprengung des Knastgebäudes, Das | |
K.O.M.I.T.E.E.“ Dreieinhalb Kilometer entfernt liegt die Haftanstalt | |
Grünau, die gerade zu einem Abschiebegefängnis mit 400 Plätzen umgebaut | |
wird. | |
Auch in dem blauen VW Passat, der neben dem Kastenwagen geparkt ist, werden | |
die Beamten fündig. Im Handschuhfach liegen Personalausweise, Führerscheine | |
und andere Dokumente, die auf vier Personen verweisen: Thomas Walter, | |
Bernhard Heidbreder, Peter Krauth sowie dessen Schwester, die Halterin des | |
Wagens. Der Bundesgerichtshof erlässt Haftbefehl gegen die vier. | |
Der Vorwurf: Als terroristische Vereinigung sollen sie geplant haben, das | |
unbelegte Gefängnis in die Luft zu sprengen. Sie hätten das Ziel verfolgt, | |
die gesellschaftlichen Verhältnisse umzuwälzen, schreiben die | |
Strafverfolger später. Die Gruppe wollte gewaltsam verhindern, dass aus der | |
Haftanstalt Flüchtlinge abgeschoben werden, unter anderem in die Türkei. | |
Am Tag nach dem gescheiterten Anschlag sieht Birgit Roth ihr Foto in der | |
Berliner Morgenpost. Auch 22 Jahre später wühlt es sie auf, wenn sie sich | |
daran erinnert. „Bomben-Birgit“ nennt sie ein anderes Blatt. Sie geht zur | |
Polizei und sagt aus, dass sie mit dem Anschlag nichts zu tun habe. Ein | |
paar Tage später wird sie in Untersuchungshaft genommen. Sie ist schwanger, | |
ihre Haftbedingungen sind hart: 24 Stunden Einschluss und Einzelhofgang. | |
Bei der Polizei hatte sie noch von ihrem Recht Gebrauch gemacht, Angehörige | |
und sich selber nicht belasten zu müssen. | |
In der Haft sagt sie aus, dass sie das Auto ihrem Bruder geliehen hat. | |
„Wenn ich gewusst hätte, wofür er es tatsächlich benutzen wollte, hätte i… | |
es ihm nie zur Verfügung gestellt“, sagte sie laut Vernehmungsprotokoll. | |
Nach drei Wochen darf Birgit Roth nach Hause, ihr kann keine Beteiligung an | |
der Tat nachgewiesen werden. Ihr Sohn kommt viel zu früh auf die Welt, nach | |
26 Wochen, monatelang liegt er im Krankenhaus. Auch dort wird sie | |
observiert, so steht es in den Akten. Sie wird noch fast zwei Jahrzehnte | |
als Beschuldigte geführt werden, erst Ende 2012 wird das Verfahren gegen | |
sie eingestellt. Wie sie reagieren würde, wenn sich ihr Bruder plötzlich | |
bei ihr meldet? „Das weiß ich nicht.“ | |
Nach dem gescheiterten Anschlag 1995 sind Peter Krauth und die anderen | |
beiden Männer abgetaucht. Ihr Leben gleicht plötzlich dem aus einem Krimi | |
mit einer Verfolgungsjagd weit über die Grenzen Deutschlands hinaus. Die | |
Sonderkommission „Osterei“ fahndet nach ihnen, überwacht ihren | |
Freundeskreis, lässt die Eltern observieren und immer wieder Wohnungen | |
durchsuchen. Vergeblich. Bis Zielfahnder des Bundeskriminalamtes 2014 einen | |
der drei, Bernhard Heidbreder, in der Stadt Mérida im Südosten Venezuelas | |
aufspüren. | |
Weil er per internationalem Haftbefehl gesucht wird, nehmen venezolanische | |
Polizisten den damals 53-Jährigen in dem Hotel fest, in dem er arbeitet. 19 | |
Jahre nach seinem Untertauchen. Er war unter dem Namen John Jairo Londoño | |
Smith nach Venezuela eingewandert, von Kolumbien aus. Dort, in Medellín, | |
hat er das Drucken gelernt, das Abitur gemacht und Kafkas „Prozess“ ins | |
Spanische übersetzt. | |
Die nächsten zwei Jahre verbringt Bernhard Heidbreder insgesamt im | |
Gefängnis. Zunächst sitzt er in Mérida in Polizeigewahrsam. Zwei | |
Quadratmeter pro Gefangenem, keine Fenster, kein Hofgang, Pinkeln in die | |
Flasche, so erzählt er es rückblickend. Es folgen Wochen des Wartens, | |
angekettet im Flur einer Polizeistation in Caracas. Später landet er in | |
„Helicoide“, dem berüchtigten Gefängnis des Geheimdienstes, das sich wie | |
ein unförmiges Gewinde auf einem Hügel der Hauptstadt erhebt. | |
Er sieht selten das Tageslicht. 16 Monate nach seiner Verhaftung lehnt das | |
Oberste Gericht ab, ihn nach Deutschland auszuliefern, weil die Vorwürfe | |
nach venezolanischem Recht verjährt sind. Dennoch sitzt er weitere acht | |
Monate hinter Gittern, verfangen in den Wirren der Bürokratie. Als er | |
freikommt, beantragt er, als Flüchtling anerkannt zu werden. | |
Im Frühjahr 2017 beantragen auch die anderen beiden Männer in Venezuela den | |
Flüchtlingsstatus, nach einem halben Leben mit falschen Pässen und | |
erfundenen Biografien. Die drei haben das erste Mal seit langer Zeit einen | |
legalen Status als Flüchtling. Sie leben nicht in ihrer alten Heimat, aber | |
sie können ihren echten Namen benutzen, mit Freunden telefonieren, Besuch | |
bekommen. Zum ersten Mal haben sie nun einen Journalisten empfangen, einen | |
Reporter der taz. Sie erhoffen sich Aufmerksamkeit für ihren Fall. Sie | |
sehen sich als Opfer, als Verfolgte einer hysterischen deutschen Justiz. | |
Und: Sie möchten endlich nach Hause kommen können. Aber in Deutschland | |
droht ihnen bis heute Gefängnis. | |
## Venezuela wurde seine Heimat | |
In Deutschland könnte Thomas Walter dann nicht nur seine Mutter | |
wiedersehen, sondern auch seinen schwerkranken Vater, der 85 Jahre alt ist | |
und nicht mehr reisen kann. Bernhard Heidbreder könnte seine Mutter und | |
Peter Krauth seine Schwester treffen. „Das mit Birgit ist etwas, was nie | |
verschwindet“, sagt er. Ihn beschäftigt, dass sie unschuldig wochenlang im | |
Gefängnis gesessen hat. | |
Wer Peter Krauth in Venezuela besucht, merkt schnell, dass es ihm auch | |
schwerfallen würde, seinen Hof in der Nähe von Mérida zu verlassen. Auch | |
Venezuela ist seine Heimat geworden. Das Gewächshaus, der Gemüsegarten, die | |
Werkstatt, die Kuh, die Schafe und die beiden Hunde. | |
Heute bekommt er Besuch, seine beiden Weggefährten haben sich angekündigt. | |
Die Sonne verschwindet gerade hinter den Bergen. Zusammen stapfen Thomas | |
Walter und Bernhard Heidbreder den Waldweg hinauf zum Hof, wo ihr alter | |
Freund sie schon am Tor erwartet. Sie umarmen sich. Obwohl alle drei nicht | |
weit voneinander entfernt leben, treffen sie sich nicht so häufig. Sie sind | |
nicht mehr die engsten Freunde, aber ihre gemeinsame Geschichte hält sie | |
zusammen – vielleicht für den Rest ihres Lebens. | |
Es gibt Abendessen, Rühreier mit Speck und Salat, selbst angebaut. Am Tisch | |
erinnern an die alte Heimat nur die T-Shirts, die ihnen eine Freundin aus | |
Berlin mitgebracht hat. „Allez“ ist darauf in roten Buchstaben auf | |
schwarzem Grund zu lesen, Merchandise der deutsch-französischen Band Irie | |
Révoltés. Auch das T-Shirt, das Bernhard Heidbreder trägt, erinnert an | |
Deutschland. „Refugees welcome“ steht drauf. Es erinnert auch daran, dass | |
sie seit dem versuchten Anschlag auf das Abschiebegefängnis selbst auf der | |
Flucht sind. | |
Was würde passieren, wenn sich die drei Männer den Behörden stellen? | |
Zweimal haben ihre Anwältinnen und Anwälte darüber ernsthaft mit der | |
Bundesanwaltschaft verhandelt, 2001 und 2010. In ähnlichen Fällen hatte das | |
bereits geklappt. Der Deal: Gegen ein Geständnis vor Gericht gibt es eine | |
milde Strafe. Ein Mitglied einer anderen linken Gruppe, der „Roten Zora“, | |
erhielt für zwei gescheiterte Anschläge eine Bewährungsstrafe, nach 19 | |
Jahren im Untergrund. | |
Das Angebot an das K.O.M.I.T.E.E. war nicht ganz so großzügig: Im Raum | |
standen zunächst Haftstrafen von viereinhalb bis sechs Jahren möglichst im | |
offenen Vollzug. „Viel zu viel, da hätte schon etwas mehr kommen müssen“, | |
sagt Thomas Walter heute. Zudem hatten sie lange geglaubt, dass die ihnen | |
vorgeworfenen Straftaten nach 20 Jahren verjähren. 2015 also. | |
Doch die Bundesanwaltschaft zerstört diese Hoffnung. Im Jahr 2010 wird | |
Volker Homann, der Bundesanwalt, der den Fall betreut, pensioniert. Seitdem | |
hat die Bundesanwaltschaft kein Interesse mehr an Verhandlungen und hält an | |
den Ermittlungen fest. | |
Dafür benutzt sie eine Besonderheit des Strafrechts. Sie wirft den Männern | |
nicht mehr die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung oder den | |
geplanten Anschlag in Grünau vor, sondern allein die Verabredung zur Tat | |
nach Paragraf 30 StGB. Diese verjährt im Extremfall nicht nach 20, sondern | |
nach Interpretation der Bundesanwaltschaft erst nach 40 Jahren. Fragen der | |
taz zu dem Fall will die Behörde nicht beantworten. | |
„Es kann nicht sein, dass die Verabredung zu einer Straftat länger verfolgt | |
wird als die zeitlich spätere Vorbereitung der Tat“, kritisiert Peter | |
Krauths Verteidigerin Undine Weyers. Das sei unverhältnismäßig. Deshalb | |
haben die Anwälte der drei zunächst beim Bundesgerichtshof Beschwerde | |
eingelegt – erfolglos – und sind dann vor das Bundesverfassungsgericht | |
gezogen, das die Verfassungsbeschwerde nicht annahm. | |
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg erklärte eine | |
Beschwerde von Thomas Walter gegen diese Entscheidung für unzulässig: Er | |
sei nicht von einer Auslieferung nach Deutschland bedroht, also seien seine | |
Rechte nicht verletzt. Die drei könnten sich also nur beschweren, wenn | |
konkret die Gefahr bestünde, dass sie in Deutschland ins Gefängnis kommen. | |
Wie weit die Ermittlungsbehörden bei der Fahndung auch in der Vergangenheit | |
gingen, zeigt auch das Vorgehen gegen die taz. Einige Monate nach dem | |
Untertauchen der drei Männer 1995 wird im Berlin-Teil der Zeitung in | |
Auszügen ein Bekennerschreiben abgedruckt. Überschrieben ist es mit „Knapp | |
daneben ist auch vorbei“. Darin äußern sich die Verfasser für militante | |
Linke ungewohnt selbstkritisch über ihren missglückten Anschlag. Sie | |
sezieren die eigenen Fehler und bedauern, „relativ kopflos“ Unbeteiligte | |
hineingezogen zu haben. Das K.O.M.I.T.E.E. löst sich mit dem Schreiben auf. | |
## Auch die taz im Visier | |
Am Tag nach der Veröffentlichung gibt es in der Redaktion der Zeitung eine | |
Hausdurchsuchung, laut Ermittlungsakten ringen ein Polizist und der | |
taz-Geschäftsführer Karl-Heinz Ruch um eine Kamera, mit der Letzterer die | |
Durchsuchung dokumentieren will. Auch die taz-Redakteurin Barbara Bollwahn, | |
die über den Fall berichtet hatte, wurde noch Jahre später von der Polizei | |
überwacht und vor der taz bei einem Treffen mit einem Kollegen | |
fotografiert. | |
Die Polizei versuchte in diesen Jahren einiges, um den Dreien auf die Spur | |
zu kommen: 2005 überwachte das Bundeskriminalamt eine Reise von Berliner | |
Linksradikalen nach Kolumbien und schickte zwei BKA-Beamte nach Ägypten, um | |
einen äußerst vagen Hinweis zu verfolgen. 2006 observierten die Ermittler | |
einen Computer in einem Berliner Museum per Videokamera, weil von dort aus | |
auffallend häufig die Seite der Öffentlichkeitsfahndung nach den dreien | |
abgerufen wurde. Auch wurden rechtswidrig Telefongespräche mit Anwälten | |
aufgezeichnet. Alles vergebens. Wie die Ermittler am Ende Bernhard | |
Heidbreder fanden, ist unklar. | |
Wo sie sich in all den Jahren aufgehalten haben, wollen die drei nicht | |
verraten, um ihre Helfer nicht zu gefährden. Die Fahnder vermuteten sie | |
zwischenzeitlich in Frankreich, Argentinien oder Uruguay. Beim Abendessen | |
erzählen sie von den Jahren auf der Flucht. | |
Immer wieder treffen sie sich, manchmal verbringen sie lange Zeit zusammen, | |
dann trennen sich die Wege wieder. Sei es wegen der Freundin oder weil das | |
illegale Leben sie dazu zwingt. Einmal geraten Thomas Walter und Peter | |
Krauth in eine Polizeikontrolle. Von einem Moment auf den anderen scheint | |
alles aus zu sein. Die Beamten stehen mit vorgehaltener Maschinenpistole | |
vor ihnen, durchsuchen sie nach Waffen, wollen die Papiere sehen. | |
Nun haben sie uns, denken die beiden. Erst mit der Zeit wird ihnen klar, | |
dass die Polizisten einen anderen Europäer suchen, der sich ebenfalls in | |
dem Land aufhalten soll. Die Furcht, doch noch von den Fahndern | |
aufgegriffen zu werden, ist mit den Jahren immer mehr in den Hintergrund | |
getreten. „Mit der Angst ist es wie mit der Einsamkeit, man gewöhnt sich | |
daran“, sagt Thomas Walter. Irgendwann ist das Leben als Untergetauchter | |
Normalität, Alltag. „Wir lebten oft nicht anders, als wenn wir eine legale | |
Identität gehabt hätten.“ | |
## Wenig geblieben vom sozialistischen Traum | |
Und trotzdem: „Natürlich waren da diese furchtbar einsamen Abende, etwa an | |
Weihnachten oder Neujahr, an denen man alleine in einer Wohnung saß, | |
während andere feiern.“ Doch es gibt immer Menschen, bei denen sie | |
vorübergehend wohnen können, die ihnen Arbeit verschaffen, mit Geld | |
aushelfen oder ein Bankkonto für sie eröffnen. | |
Die Zeiten, in denen sie von einem Land zum nächsten zogen, sind heute | |
vorbei. Hugo Chávez und die Hoffnung auf einen Sozialismus des 21. | |
Jahrhunderts haben alle drei vor rund zehn Jahren nach Venezuela gelockt. | |
Bis vor Kurzem arbeitete Bernhard Heidbreder hier in einer Druckerei und | |
Thomas Walter in einem Kollektiv, das ein Internetcafé betreibt. | |
Doch vom sozialistischen Traum ist wenig geblieben. Mehr als 130 Menschen | |
sind bei Protesten gegen die Regierung allein in diesem Jahr gestorben. | |
Thomas Walter erzählt, wie er vor ein paar Tagen in einem Reisebus | |
überfallen wurde. Ihm und den anderen Fahrgästen blieb nichts als ihre | |
Kleidung und ein paar Bolívares, das Geld, das nichts mehr wert ist. All | |
das ist längst Alltag in Venezuela, einem Staat, der mehr und mehr | |
zerfällt, in dem nicht mehr sehr viel sicher ist. | |
Genauso Alltag wie der Mangel an Reis, Bohnen, Zucker und vielen anderen | |
Grundnahrungsmitteln. Und das, was es gibt, wird immer teurer. Thomas | |
Walter nimmt sich noch ein Bier. Für den Preis einer Flasche bekam man vor | |
einem Jahr noch drei. Aber damit müssen sie leben. Es ist die Ironie ihrer | |
Geschichte, dass sie sich dem deutschen Staat nicht stellen wollen, aber | |
jetzt von einem anderen Staat abhängig sind. Einem Staat, der jederzeit | |
zusammenbrechen kann. | |
Doch mit der Legalität gewannen sie auch eine neue Freiheit. Sie dürfen | |
endlich Besuch von ihren Familien bekommen. Während Peter Krauth noch damit | |
ringt, wie er sich zu seiner Schwester verhalten soll, bekommt Thomas | |
Walter Besuch von seiner Mutter. Er sieht sie zum ersten Mal seit 22 Jahren | |
wieder. | |
Seine Verbindung zur Heimat war bei Thomas Walter immer sehr stark. In | |
seiner Küche hängt neben dem Fenster ein Foto der Yburg, die vor 800 Jahren | |
Teil eines Verteidigungssystems der Markgrafschaft Baden war und heute von | |
Weinbergen umringt ist. Es ist das Panorama, das er als Jugendlicher sah, | |
wenn er zu Hause in Sinzheim durchs Fenster blickte. Die Hoffnung, dahin | |
zurückkehren zu können, hat er mit seinen 55 Jahren nicht aufgegeben. | |
## „Hey, ich bin wieder da“ | |
Vor ein paar Monaten hat Thomas Walters Mutter einen Anruf per Skype | |
bekommen, völlig unerwartet. „Hey, ich bin wieder da“, sagt er. Vorher war | |
sein Grundsatz: Keine Kommunikation, viel zu gefährlich. | |
Es war vor allem die Sehnsucht nach seiner Mutter, dem Vater und den | |
Geschwistern, die ihn bewogen haben, in Venezuela den Flüchtlingsstatus zu | |
beantragen. „Ich wusste ja, dass die Eltern darunter leiden, wenn ein Kind | |
plötzlich einfach weg ist.“ Er hatte ein schlechtes Gewissen, immer. | |
Als sie sich dann treffen, auf dem Flughafen von Caracas, im Wartebereich | |
des internationalen Terminals, fließen keine Tränen. Vor lauter Freude muss | |
Jacqueline Walter einfach nur lachen. | |
Sie erkennen sich sofort. Einen Moment lang bleiben beide stehen und | |
schauen sich aus der Distanz an. Sie in blauer Bluse, blauem Schal und | |
roter Handtasche. 84 Jahre ist sie alt und noch ziemlich agil. Er locker | |
und einfach gekleidet. Wie früher. Dann geht sie, gestützt auf ihren Stock, | |
langsam auf ihn zu. Sie fallen sich in die Arme. An diesem Abend reicht es | |
gerade noch für die Fahrt ins nahe gelegene Hotel, eine Paella und eine | |
Flasche Wein. Dann fällt sie ins Bett und schläft sofort ein. So | |
beschreiben beide das Treffen im Nachhinein. | |
Mehr als eine Woche Besuch ist nicht drin. Vater Heribert ist dement und | |
pflegebedürftig, Jacqueline Walter kann ihn nicht lange allein lassen. | |
„Viel zu kurz“, meint der Sohn. „Aber genug Zeit“, widerspricht seine | |
Mutter, „um über grundsätzliche Dinge zu reden, über die man sonst nie | |
spricht: über das Leben, den Tod und schiefe Gedanken.“ | |
Ein paar Wochen nach der Reise sitzt Jacqueline Walter in ihrem Wohnzimmer | |
in Sinzheim bei Baden-Baden. Sie erzählt davon, wie sie und ihre Familie | |
unter den Fahndungsmaßnahmen gelitten haben. Gleich nach dem misslungenen | |
Anschlag stellt die Polizei das Haus auf den Kopf. „Wir wussten erst gar | |
nicht, warum“, erinnert sich Jacqueline Walter. „Erst am Abend hat | |
Heriberts Bruder angerufen, er hatte im Fernsehen von der Sache erfahren.“ | |
Über acht Jahre hinweg wird das Telefon immer wieder überwacht, auch | |
E-Mails lesen die Ermittler mit, so steht es in den Akten. „Wenn wir über | |
das Thema geredet haben, sind wir in den Garten oder zu den Schafen | |
gegangen“, sagt sie. Aus Angst vor Abhörwanzen. | |
## Keiner gibt die Taten zu | |
Zu den Vorwürfen gegen ihren Sohn hat Jacqueline Walter eine eindeutige | |
Meinung. „Die Mittel können wir nicht befürworten.“ Dann aber verweist sie | |
auf die Abschiebungen – ein Thema, das heute wieder aktuell sei. „Es ist | |
normal, dass man dagegen etwas unternimmt.“ Und schließlich habe der | |
Europäische Menschenrechtsgerichtshof inzwischen geurteilt, dass das | |
Einsperren von Asylsuchenden in Gefängnissen illegal sei. | |
Das sehen die drei Männer selbst ähnlich. Zwar gibt bis heute keiner von | |
ihnen die Taten zu, die ihnen vorgeworfen werden. Sie lassen aber keinen | |
Zweifel daran, dass sie den vereitelten Anschlag auch mehr als 22 Jahre | |
später gutheißen. Damals seien in Deutschland militante Aktionen eben | |
notwendig gewesen. | |
„Man könnte mit Blick auf die Flüchtlinge von einer Notwehrsituation | |
sprechen“, sagt Thomas Walter. Ihm will auch heute kein Grund einfallen, | |
was schlecht gewesen sein sollte an dem Versuch, das Abschiebegefängnis in | |
die Luft zu sprengen. | |
Aber ob es die richtige Entscheidung gewesen sei, damals das Weite zu | |
suchen? Eine schwierige Frage, findet Peter Krauth. „Wer weiß schon, was | |
sonst in diesen 22 Jahren passiert wäre.“ Sein Leben sei spannend | |
verlaufen, reich an Erfahrungen. Nicht nur von Angst dominiert. „Man bleibt | |
nicht so lange weg, wenn es einem dabei schlecht geht.“ | |
Mit der Festnahme Heidbreders und ihrem Antrag auf den Flüchtlingsstatus | |
hat sich einiges geändert. „Plötzlich mussten wir uns wieder die gleichen | |
Fragen stellen wie damals: Wieder abtauchen, wieder flüchten, wieder bei | |
null anfangen?“, sagt Thomas Walter. Sind sie nun, mit Mitte, Anfang 50, | |
nicht zu alt dafür? Und wäre es nicht an der Zeit, die Sache zu Ende zu | |
bringen? | |
Selbst wenn sie nun mit der Bundesanwaltschaft einen Deal aushandeln | |
sollten, bleibt ein Problem. Bernhard Heidbreder hat keinen gültigen Pass, | |
mit dem er reisen kann, er hat nicht einmal mehr eine Staatsbürgerschaft. | |
Venezuela entzog ihm die venezolanische, weil er sie sich mit falscher | |
Identität erschlichen habe. Die Bundesrepublik sagt, er sei kein Deutscher | |
mehr, weil er die Staatsbürgerschaft bei Annahme der venezolanischen | |
freiwillig abgegeben habe. Und die drei sind sich einig: Wenn sie sich | |
stellen, dann gemeinsam. | |
Im Jahr 2035 tritt für Peter Krauth und Thomas Walter die absolute | |
Verjährung ein, für Bernhard Heidbreder sogar erst 2036. Sie könnten dann | |
nach Deutschland fliegen, ohne ins Gefängnis zu müssen. Sie wären dann alle | |
über 70. | |
3 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Kersten Augustin | |
Sebastian Erb | |
Wolf-Dieter Vogel | |
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