# taz.de -- Linker Protest in der Walpurgisnacht: Mit Abstand die erste Demo | |
> In Berlin starten Stadtteilinitiativen per infektionssicheren Protest in | |
> den 1. Mai. In Hamburg wird dezent rumgestanden. | |
Bild: Vermummungsgebot: Demonstrant auf dem Leopoldplatz in Berlin-Wedding | |
BERLIN/HAMBURG taz | Trotz eingeschränkter Versammlungsfreiheit haben | |
radikale Linke in Berlin auch in diesem Jahr ihren Protest am Vorabend des | |
Arbeiterkampftages auf die Straße getragen. Anders als bei den | |
Verschwörungstheoretiker*innen und Rechtsradikalen, die sich seit einigen | |
Wochen zu „Hygiene-Demos“ am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin-Mitte treffen, | |
versuchten die Linken bei ihren Aktionen, das Infektionsrisiko zu | |
minimieren. Der Abend verlief weitgehend friedlich. | |
„Die Reichen sollen zahlen“, hieß es bei einer Kundgebung der | |
Arbeitsgemeinschaft Wedding solidarisch im traditionell „roten“ und | |
postmigrantischen Stadtteil Wedding. | |
Vor Wochenmarktbesucher*innen und dem eher einkommensschwachen üblichen | |
Publikum des Leopoldplatzes durften hier 20 Aktivist*innen aus | |
verschiedenen Stadtteilinitiativen ihre Forderung nach einer „sozialen und | |
demokratischen Lösung der Krise“ bekannt machen. Eine geplante | |
Demonstration von 100 Personen wurde zuvor, trotz der Vorlage eines | |
Konzeptes von Schutzmaßnahmen, verboten. | |
„Es ist bezeichnend, wie weit der Staat geht, um Arbeitskampfmaßnahmen zu | |
kassieren“, sagte einer der sämtlich Schutzmasken tragenden Aktivist*innen | |
gegenüber der taz, ohne seinen Namen nennen zu wollen. Dieser | |
Ausnahmezustand dürfe nicht zum Normalzustand werden. | |
Seit 2012 organisiert die mietenpolitische Initiative Hände weg vom Wedding | |
alljährlich eine radikale Kiez-Demonstration am 30. April. Mehr als 3.000 | |
Menschen [1][schlossen sich 2019 dem Zug an]. | |
Dieses Jahr signalisierte die Initiative schon frühzeitig, die | |
Infektionsgefahr ernst zu nehmen und bei Protestaktionen das | |
Übertragungsrisiko minimieren zu wollen. Entlang der ursprünglich geplanten | |
Demoroute machten die Aktivist*innen nun mit Sprühfarbe und Plakaten ihre | |
Forderungen sichtbar. | |
So etwa die Vergesellschaftung des Gesundheitswesens und großer | |
Immobilienkonzerne sowie das Recht auf Wohnen – insbesondere für | |
Geflüchtete und Obdachlose. Auch pocht die Initiative auf ein Verbot von | |
Leiharbeit und Outsourcing. | |
## Kritik an der Landesregierung | |
Scharf kritisiert wurde im Wedding die rot-rot-grüne Berliner | |
Landesregierung, insbesondere die Linke. „Die Linkspartei kuscht vor SPD | |
und Grünen, die ihren eigenen sozialen Anspruch schon längst aufgegeben | |
haben“, hieß es in einem Redebeitrag. | |
Beifall vom Balkon eines anliegenden Hauses kam insbesondere für die | |
Forderung, die Lagerunterbringung von Geflüchteten auszulösen, an den | |
EU-Außengrenzen als auch im Inland. | |
Unverhältnismäßig groß schien das Aufgebot an Ordnungskräften rund um die | |
Nazarethkirche. Auf die 20 friedlich Demonstrierenden kamen rund 200 | |
Beamte, die schon frühzeitig mit etwa 40 Kleinbussen den Platz umstellt | |
hatten. Dazu waren etliche Sicherheitsleute der öffentlichen Berliner | |
Verkehrbetriebe beordert, in deren Verantwortung die U-Bahn-Ausgänge auf | |
den Platz liegen. | |
## Feministinnen in Friedrichshain | |
Im Ostteil Berlins, im Friedrichshainer Südkiez, lag ab dem frühen Abend | |
der Fokus auf der feministischen Bedeutung der Walpurgisnacht. „Sexismus | |
ist eine Gefahr, deswegen müssen auch wir gefährlich sein“, schallte es aus | |
einem Fenster der Grünberger Straße 73, die den autonomen Stadtteilladen | |
Zielona Góra beherbergt. | |
Etwa 100 Personen hatten sich vor der Kneipe eingefunden, um „in Bewegung | |
zu bleiben“, wie es in einem Redebeitrag hieß. Gegen 20 Uhr dann geriet | |
tatsächlich Bewegung in die Gruppe, die sich vereinzelt in Richtung des | |
Nordkiez aufmachte. Dort, in der Rigaer Straße, befindet sich neben ehemals | |
besetzten Häusern auch das anarcha-queerfeministische Hausprojekt Liebig | |
34. Neben Musik spielte die Liebig-Besetzung auf dem „Dorfplatz“ ein | |
weiteres feministisches Hörstück und rief zur Solidarität mit dem Projekt | |
auf. | |
In der Vergangenheit konnte das Liebig-Kollektiv den Gerichtsprozess zu | |
einer Räumung des Hauses immer wieder verzögern. Pandemiebedingt wurde der | |
Verhandlungstermin nun vom 30. April in den Juni verschoben. | |
Gegen 21 Uhr lösten etwa 30 Polizeibeamte den Protest auf dem „Dorfplatz“ | |
auf, weil die Versammelten teils gegen die Corona-Abstandsregeln verstoßen | |
hätten. Außerdem seien zwei Einsatzfahrzeuge von Farbbeuteln und Steinen | |
getroffen worden. Es sei zu zwei Anzeigen gekommen, sagte ein Sprecher der | |
Polizei der taz am Freitagmorgen. Ansonsten sei der Abend relativ | |
störungsfrei verlaufen, so die Polizei. Die Walpurgisnacht 2020 endete | |
schließlich mit einem Feuerwerk, das die Queerfeminist*innen auf dem Dach | |
der Liebig 34 zündeten. | |
## Weitere Proteste angekündigt | |
Im Laufe des Tages wollen linke DemonstrantInnen in Berlin noch mehrfach | |
versuchen auf die Straße zu gehen. So plant der [2][ironisch-hedonistische | |
Zusammenschluss MyGruni] einen Autokorso in das Berliner Villenviertel | |
Grunewald. [3][In den vergangen Jahren] hatte sie dort unter dem Motto „Wo | |
eine Villa ist, ist auch ein Weg“ gegen Spekulation demonstriert. Diesmal | |
wurde ein „Quarantänemanagement“ für den „Problemkiez“ angekündigt. … | |
viele teilnehmen können, soll das Event ab 14 Uhr [4][per Livestream | |
übertragen] werden. | |
Für den Abend haben die Veranstalter der traditionell um 18 Uhr beginnenden | |
revolutionären Mai-Demonstration dazu aufgerufen, sich auf der | |
Oranienstraße in Kreuzberg zu versammeln. Erwartet werde eine vierstellige | |
Teilnehmerzahl. Man werde dennoch „die gesamte Zeit verantwortungsvoll | |
handeln“ und die Coronaschutzmaßnahmen ernst nehmen, [5][heißt es im | |
Aufruf]. | |
## Eckenstehen in Hamburg | |
In Hamburg hatte die linke Szene offenbar so klandestin zum Cornern in der | |
Walpurgisnacht eingeladen, dass es die Polizei nicht mitgekriegt hat. | |
Jedenfalls hat sich am Donnerstagabend niemand daran gestört, dass sich | |
etwa 50 bis 60 Linke an dem seit den G20-Protesten von 2017 Jahren | |
beliebten demonstrativen Eckenstehen in der Schanze beteiligten. | |
Selbst als die Polizei die Ansammlung irgendwann doch wahrgenommen hatte, | |
hat es sie offenbar nicht gestört. Beobachterinnen bezeichneten den Abend | |
als sehr nett und sehr langweilig. | |
Auch in der Hansestadt sind für den 1. Mai trotz Corona [6][weitere | |
Proteste angekündigt]. Im Laufe des Vormittags wollen im Stadtteil Harburg | |
mehrere linke Gruppen gegen einen mittlerweile aber auch verbotenen Aufzug | |
von Rechtsextremen demonstrieren. | |
Gegen 12 Uhr wollen kleinere antimperialistische Gruppen im Schanzenviertel | |
demonstrieren. Abends ab 20 Uhr will der Rote Aufbau wie in den Vorjahren | |
auf der Reeperbahn demonstrieren. Die Veranstalter hatten gegen das Verbot | |
der Demo geklagt, sind damit aber gescheitert. Auf die Straße gehen wollen | |
sie trotzdem. | |
1 May 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Walpurgisnacht-in-Berlin/!5591959 | |
[2] https://twitter.com/QMGrunewald | |
[3] /Aktivistin-ueber-Satire-Demo-zum-1-Mai/!5591750 | |
[4] http://mygruni.de/ | |
[5] https://1mai.blackblogs.org/?p=871 | |
[6] https://twitter.com/Kat_Schipkowski/status/1256142019325579264 | |
## AUTOREN | |
Stefan Hunglinger | |
Katharina Schipkowski | |
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