Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- 1. Mai in der Coronakrise: Alternativer Kampftag
> Wie demonstriert man in der Corona-Krisenzeit? Vier AktivistInnen
> erzählen, was sie am Tag der Arbeit machen wollen.
Bild: 1. Mai in der Pandemie – trotzdem wurde zu Demos aufgerufen
Der diesjährige 1. Mai wird ein historischer. Erstmalig in der Geschichte
der Bundesrepublik verzichtet der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) auf
Demonstrationen und Kundgebungen zum Tag der Arbeit. Aufgrund der
Corona-Pandemie wird der „Kampftag der Arbeiterbewegung“ zu einer
virtuellen Veranstaltung.
## „Die Straßen nicht Faschisten überlassen!“
Katharina Schwabedissen, 47 Jahre, Gewerkschaftssekretärin, sagt:
„Am 1. Mai demonstriere ich für die Verbesserungen unserer Lebens- und
Arbeitsbedingungen. Wie jedes Jahr, nur diesmal etwas anders: online ab 11
Uhr mit dem DGB und mittags mit einer kleinen, genehmigten Kundgebung in
der Bochumer Innenstadt.
Ich finde beide Aktionen wichtig: Online können Hunderttausende dabei sein
und erleben, dass wir nicht allein sind – auch und gerade in Zeiten des
Social Distancing. Mittags geht es unter freiem Himmel darum, Grund- und
Freiheitsrechte zu verteidigen und unsere Straßen und Plätze nicht
Faschisten zu überlassen. Wenn Shoppen in großen Einkaufszentren möglich
ist und Krankenhäuser ihre Wahleingriffe hochfahren, sind auch Kundgebungen
unter Einhaltung des Infektionsschutzes durchführbar.
Momentan herrscht vermeintlich Einigkeit, dass im Mittelpunkt der Maßnahmen
das Leben stehen muss. Ein Blick in verarmte Länder und in die
Flüchtlingslager zeigt, dass das schon jetzt nicht für alle gilt. Wer zahlt
für die Krise?
Die Aktionen auf der Straße sind auch Symbol dafür, dass der Widerstand
schon da ist, wenn wieder die Mehrheit für die Krise zahlt, während Reiche
und Superreiche daran verdienen. Also heißt es auch in diesem Jahr: Heraus
zum 1. Mai – aber bitte mit Abstand und Gesichtsmaske.“
## „Auf die Straße! Jetzt erst recht!“
Marco Lorenz, Radikale Linke Berlin:
„Unsere Gruppe wird am 1. Mai natürlich auf die Straße gehen, ich auch.
Warum auch nicht? Der 1. Mai ist ein politisches und historisches Datum,
das weiter Relevanz hat – gerade jetzt in Coronazeiten. Diese Krise schreit
doch geradezu nach politischen Antworten.
Wir sehen ein Gesundheitssystem, das nicht funktioniert, weil es auf
Profite für wenige angelegt ist, und nicht auf das Wohl aller. Es gibt
Menschen, die für Schutz am Arbeitsplatz streiken müssen oder durch
Kurzarbeit weiter ausgebeutet werden. Und andere, wie bei Amazon, die nicht
mal Betriebsversammlungen abhalten dürfen.
Dazu tritt der Rassismus weiter offen zutage: an der EU-Außengrenze, in
Moria, wo Geflüchtete bekämpft werden. Oder in Hanau, wo Menschen deshalb
erschossen wurden. Dass es auch anders gehen kann und gehen muss, nämlich
mit einer sozialistischen Gesellschaft, dafür braucht es den 1. Mai als
Kampftag. Der Kapitalismus ist keine Lösung.
Was wir nur länger diskutiert haben, war, wie der 1. Mai in diesem Jahr
aussehen kann. Natürlich nehmen wir das Virus ernst und wollen nicht, dass
sich Menschen anstecken. Dass es das Virus nicht gibt oder dass es bewusst
in die Welt gesetzt wurde, um Repression durchzudrücken, ist nicht unsere
Position. Aber klar ist, dass die Herrschenden diese Pandemie gerade
ausnutzen, um demokratische Rechte auszusetzen.
Deshalb brauchen wir am 1. Mai ein kollektives Zeichen, nicht nur am
Laptop. Wir werden uns dabei schützen, mit Gesichtsschutz und
Abstandhalten. Und wir probieren etwas Neues: Wir rufen auf, ab 18 Uhr nach
Kreuzberg 36 zu kommen, egal wohin.
Über Twitter werden wir dann Orte bekanntgeben, zu denen sich die Leute auf
verschiedenen Wegen begeben sollen und dort ihren Protest ausdrücken
können. Alle so, wie sie es mögen, mit Bannern, Flyern, Farbbeuteln oder
Pyros, zu Fuß, aufm Fahrrad oder auf Hausdächern. Unsere Gruppe wird auf
jeden Fall Transparente und rote Fahnen dabeihaben, damit klar ist, dass es
hier um den 1. Mai geht. Wir fluten Kreuzberg mit Inhalten, auch das ist
dann eine Manifestation!
Dass der Berliner Senat und die Polizei das nicht wollen, haben wir
mitbekommen. In Berlin dürfen jetzt 20 Leute demonstrieren. Aber wenn
Schutzmaßnahmen eingehalten werden, was soll das? Wo ist der Unterschied zu
Supermärkten oder Büros, in denen sich Menschen begegnen? In Tel Aviv
demonstrierten gerade Tausende gegen Netanjahu, mit Masken und Abstand.
Warum soll das nicht auch hier gehen? Weil es vielleicht auch dem Berliner
Senat darum geht, Grundrechte einzuschränken?
Das wäre der Weg in den autoritären Staat und den machen wir nicht mit. Wir
rufen auf, sich am 1. Mai nicht von den Bullen provozieren zu lassen – auch
wenn es am besten wäre, sie kämen erst gar nicht nach Kreuzberg. Wir
jedenfalls werden auf der Straße sein und unsere Botschaften setzen.“
Protokoll: Konrad Litschko
## „Analog ist verbindlicher“
Manuel Bunge, 27, Kaufmann und SPD-Mitglied aus Lüdenscheid:
„Am letzten 1. Mai war ich in Lüdenscheid auf der Bühne der DGB-Demo mit
der IG-Metall-Jugend. Wir haben über Ausbildung gesprochen. Ich habe mich
als Superheld verkleidet Kinder bespaßt, weil der digitale Wandel
Transformer braucht. Die Kinder fanden das super. Ich war in den letzten
sechs, sieben Jahren immer bei den Demos. Dieses Jahr geht das nicht. Das
fehlt mir.
Klar werde ich mir die Veranstaltungen von DGB oder SPD im Netz anschauen
und Social Media machen. Aber da bleibt man ja doch oft in seiner eigenen
Blase. Ich werde eine SPD-Fahne über meinen Balkon hängen. Das klingt
altmodisch, aber analog ist verbindlicher.
Ich wohne an einer Hauptstraße, von da aus wird man die Fahne gut sehen
können. Am besten wäre, wenn jemand bei mir klingelt. Damit rechne ich aber
nicht. Ich erwarte auch nicht, dass mir jemand die Scheiben einwirft. Wenn
Leute sich daran erinnern, dass der 1. Mai nicht bloß irgendein freier Tag
ist, habe ich mein Ziel erreicht.
Protokoll: Stefan Reinecke
## „Sie alle sind ‚systemüberlebensrelevant‘“
Witich Roßmann, 68 Jahre, DGB-Vorsitzender Köln, erzählt:
„Wo bin ich am 1. Mai? Definitiv nicht vor 8.000 Gewerkschafter*innen auf
dem Kölner Heumarkt – wie 2019. Aber ich werde auch nicht zu Hause bleiben.
Erst mal bin ich virtuell ab 10 Uhr mit vielen Kolleg*innen im
[1][Livestream].
Und um 14 Uhr werde ich an einer öffentlichen Pressekonferenz auf dem
Hans-Böckler-Platz am DGB-Haus teilnehmen. Gemeinsam mit Lokführern,
Krankenschwestern, Verkäuferinnen, Metall- und Milcharbeitern, die auch in
der coronalen Krise unter deutlich erschwerten Bedingungen arbeiten: mit
erheblich intensiviertem Hygenieschutz, zum Beispiel in der Produktion der
Lebensmittelbranche, der Elektroindustrie und der Chemieindustrie.
Fünfundsiebzig Prozent aller Arbeitnehmer*innen arbeiten unter Corona
weiter, vielfach mobil: in Banken, Anwaltskanzleien, Verwaltungen,
Bundesagenturen und Krankenkassen, elektronischen wie Printmedien. Und bei
Stromversorgern und IT-Unternehmen, die die digitalen Netze am Laufen
halten für die entgrenzte Arbeit im Homeoffice, das Profitarbeit mit
Kinderbildung und Familiensorge unter einen Hut zwingt. Sie alle sind
‚systemüberlebensrelevant‘.
Deshalb: Equal Pay statt Niedriglohnsektoren, zukunftssichere Gestaltung
der Arbeitsverhältnisse von Soloselbstständigen – und nach der Krise:
sozialer Lastenausgleich statt Steuersenkungen à la Söder. Auch unter den
gegenwärtig erschwerten Bedingungen ist es wichtig, darauf öffentlich
sichtbar aufmerksam zu machen.
Und mit dem Fahrrad werde ich all die Initiativen besuchen, die in Köln
ebenfalls in kleinen Versammlungen an vielen Orten für Flüchtlinge, für
Frieden, für bezahlbaren Wohnraum, Klimaschutz und die Energiewende, für
emissionsarme Mobilität demonstrieren. Mit denen arbeite ich das ganze Jahr
zusammen, da finden wir uns auch am 1. Corona-Mai, denn ‚solidarisch ist
mensch nicht alleine‘.“
30 Apr 2020
## LINKS
[1] http://www.Koeln-Bonn.DGB.de
## TAGS
Demonstration
Schwerpunkt Coronavirus
Tag der Arbeit / 1. Mai
Tag der Arbeit / 1. Mai
Schwerpunkt Coronavirus
Tag der Arbeit / 1. Mai
Tag der Arbeit / 1. Mai
Protest
## ARTIKEL ZUM THEMA
DGB-Vorsitzende über Demo am 1. Mai: „Nichts passiert von selbst“
Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat am 1. Mai nur digital demonstriert. Ein
Gespräch mit der Hamburger DGB-Vorsitzenden Katja Karger.
Linker Protest in der Walpurgisnacht: Mit Abstand die erste Demo
In Berlin starten Stadtteilinitiativen per infektionssicheren Protest in
den 1. Mai. In Hamburg wird dezent rumgestanden.
Digitaler Arbeitskampf zum 1. Mai: Hinaus oder zu Haus?
Diesmal ist alles anders: Der DGB verlegt seine Kundgebung ins Internet.
Und die Autonomen wollen sich mit Mundschutz vermummen.
Nazi-Aufmärsche in Erfurt und Hamburg: Braune Flaute am 1. Mai
Am Tag der Arbeit wollten auch Rechtsextreme auf die Straße gehen – das
Coronavirus verhindert das allerdings. In Hamburg klagen die Neonazis noch.
Demos in Hamburg am 1. Mai: Kleingruppen gegen Nazis
Hamburger Autonome wollen sich die Versammlungsfreiheit am 1. Mai nicht
nehmen lassen. Auch Neonazis versuchen, den Tag für sich zu vereinnahmen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.