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# taz.de -- DGB-Vorsitzende über Demo am 1. Mai: „Nichts passiert von selbst…
> Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat am 1. Mai nur digital demonstriert.
> Ein Gespräch mit der Hamburger DGB-Vorsitzenden Katja Karger.
Bild: Finden Sie den Unterschied: neu am üblichen 1. Mai-Polizeiaufgebot ist n…
taz: Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) demonstrierte am 1. Mai nicht auf
der Straße, wohl aber ein antikapitalistisches-friedenspolitisches Bündnis.
Empfinden Sie das als bitter, dass andere da präsent sind, Frau Karger?
Katja Karger: Nein, mal andersherum: Die gute Nachricht ist, dass der 1.
Mai stattfindet. Und er findet unter den Bedingungen statt, die im Moment
notwendig sind, nämlich mit Anstand Abstand zu halten. Die
DGB-Gewerkschaften bringen üblicherweise 5.000 bis 6.000 Menschen in
Hamburg auf die Straße und es ist vollkommen klar, dass das unter
Coronabedingungen nicht geht. Deswegen haben wir uns sehr bewusst dafür
entschieden, mit unserem gesamten 1.-Mai-Fest ins Netz zu gehen.
Kann man das dennoch als symbolischen Ausdruck nehmen für eine
grundsätzliche Unsichtbarkeit der Gewerkschaften?
Die Gewerkschaften sind sehr sichtbar. Dass wir an einem Tag aus
gesundheitlichen Gründen nicht auf der Straße sind, finde ich infam, gegen
uns zu verwenden. Wir riskieren eben nicht die Gesundheit unserer Leute.
Ich meinte eher eine Unsichtbarkeit der Gewerkschaften, die als
Sozialpartner in der Politik so etabliert sind, dass man sie als streitbare
Kraft gar nicht mehr wahrnimmt.
Das nehme ich nicht so wahr. Mit 170.000 Mitgliedern in Hamburg sind wir
immer noch sehr, sehr gut organisiert. Wir haben eine Menge
Tarifabschlüsse, wir haben viele Betriebsräte in den Unternehmen. Dass wir
nicht jede Woche mit einem Fahnenzug durch die Straße laufen, daran kann
man Sichtbarkeit allein schlecht festmachen.
Aber bis auf wenige Sparten sinken in allen Gewerkschaften die
Mitgliederzahlen.
Das ist zum Teil nicht richtig, weil es damit zu tun hat, dass wir aufgrund
des demografischen Wandels einen großen Teil unserer Mitglieder bei den
Senioren haben, die jetzt rausfallen. So viele junge Leute gibt es ja gar
nicht mehr, die im selben Maße nachwachsen können. Wenn wir die
Mitgliederzahlen bei den Beschäftigten angucken, haben wir sehr, sehr gute
Zahlen, zum Beispiel bei der IG Metall auch bei den jungen Leuten. Unsere
Erfahrung ist, dass es in dem Moment, in dem die Leute eine Weile in
Beschäftigung sind und erleben, mit welchen Herausforderungen sie da
konfrontiert sind, es sehr viele gibt, die sagen: Gewerkschaften helfen
mir, wenn ich Schwierigkeiten kriege.
Also gibt es kein Problem?
Wir müssen immer wieder erklären, warum es uns gibt und warum das gut ist,
aber das muss jede andere Organisation auch.
Selbst die gewerkschaftsnahe Böckler-Stiftung ruft dazu auf, eine neue
Mitgliederpolitik zu betreiben und Frauen und Jüngere mehr in den Blick zu
nehmen.
Jede Gewerkschaft hat eine Jugendorganisation, jede Gewerkschaft kümmert
sich um die Auszubildenden und die jungen Studierenden. Jede hat einen
Frauenausschuss, einen Frauenarbeitskreis, wir machen sehr viel
frauenpolitische Arbeit, wir richten auch die Gewerkschaftsarbeit auf die
Frauen aus. Natürlich gibt es da Sachen, die man verbessern kann, aber wir
sind auf einem sehr guten Weg.
Ist – zum Glück – der Standard in Sachen Arbeitsplatzschutz und
Tarifabschluss so hoch, dass viele gar keinen Handlungsbedarf für
gewerkschaftliche Arbeit sehen?
Es ist für viele selbstverständlich geworden, dass es die gut abgesicherten
tarifvertraglichen Arbeitsplätze gibt. Aber spätestens seit der Finanzkrise
ist zumindest den Beschäftigten sehr, sehr klar, dass das nicht immer so
bleiben muss.
Sind heute diejenigen, deren Arbeitsbedingungen am schlechtesten sind, etwa
Schlachthofmitarbeiter, die als Leiharbeiter aus dem Ausland kommen, nicht
gewerkschaftlich organisiert – und damit gar nicht Teil der Bewegung?
Das ist mir zu pauschal. Das muss man sich nach Betrieb und Branche
angucken: Die Kollegen in den Schlachthöfen haben völlig andere Bedingungen
und Grundlagen als die Kolleginnen in der Pflege. Bei beiden haben wir
schwierige Arbeitsbedingungen und große Schwierigkeiten, eine kollektive
Vertretung hinzukriegen, aber das hat völlig verschiedene Ursachen. Es ist
ein emanzipatorischer Prozess und bei ganz vielen Menschen, die nicht
gelernt haben, sich zu wehren, oder die fremd und unter unsäglichen
Aufenthaltsbedingungen hier sind, ist vollkommen klar, dass sie sich nicht
auf die Hinterbeine stellen.
Fühlen sich die Gewerkschaften nun für die prekär Beschäftigten, die eben
nicht Gewerkschaftsmitglieder sind, zuständig?
Wenn sich die Menschen an uns wenden, etwa die Schlachtarbeiter in
Schleswig-Holstein, müssen wir das Problem angucken und schauen, wo können
wir helfen. Wir sehen, wenn wir das in die Öffentlichkeit zerren, mit den
Arbeitgebern in Kontakt treten, dann passiert viel. Viele sind über die
Zusammenarbeit auch Mitglieder geworden. Selbstverständlich ist die
individuelle Beratung unseren Mitgliedern vorbehalten. Aber wenn wir
eklatante Missstände in einer Branche sehen, werden wir natürlich aktiv.
Sie haben die Pflege angesprochen – der Kampf um bessere Arbeitsbedingungen
dort ist schrecklich alt. Wie optimistisch sind Sie, dass die Erfahrungen
der Corona-Pandemie echte Veränderungen bringen?
Dafür werden wir sorgen müssen. Wir Gewerkschaften haben die 200 Jahre alte
Erfahrung, dass wir niemals unter keinen Umständen irgendetwas geschenkt
bekommen und nichts passiert von selbst. Wir freuen uns für die
KollegInnen, die jetzt gesehen und anerkannt werden und die hoffentlich
zumindest eine finanzielle Prämie bekommen. Aber aller Applaus nutzt ihnen
nichts, wenn da nicht strukturell etwas passiert. Da werden wir für kämpfen
müssen und da werden die KollegInnen für kämpfen müssen.
4 May 2020
## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
Tag der Arbeit, Tag der Proteste
Gewerkschaft
DGB
Hamburg
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt 1. Mai in Berlin
Tag der Arbeit, Tag der Proteste
Schwerpunkt 1. Mai in Berlin
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