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# taz.de -- 1. Mai in Berlin: Demonstrativ mit dem Auto ins Grüne
> Die Proteste fallen in Berlin klein aus. Doch die linke Szene, der DGB
> und Corona-Verschwörer lassen sich nicht ganz abhalten.
Bild: Maskierte im Grunewald: Polizisten warten auf den Autokorso der Demonstra…
Berlin taz | Die einen sitzen im Autokorso, die andern demonstrieren per
Livestream. Und die dritten verkrümeln sich in Seitenstraßen. Coronabedingt
sind die Demonstration am 1. Mai in diesem Jahr auch in Berlin deutlich
reduziert. Aber dennoch will keiner auf den Protest verzichten. Ein
Überblick.
## Mit dem Auto in den Grunewald
Wo in den vergangenen Jahren tausende Leute durch das Berliner
Reichenviertel Grunewald gezogen sind, gibt es in diesem Jahr nur eine
stationäre Kundgebung in der Nähe eines S-Bahnhofs. Immerhin darf die
ironisch-demonstrative Intitative „MyGruni“ mit 12 Autos per Korso von
Neukölln bis in das Villenviertel fahren. Motto: „Brumm, Brumm, Brumm, wir
verteilen um.“
Auf dem Dach des ersten Wagens ist ein gigantischer Spargel befestigt.
Darunter klebt ein Transpi mit der Forderung: „Rettet Menschen, nicht den
Spargel! Evacuate Moria.“ Übertragen wird alles [1][per Live-Stream im
Internet] unter dem Titel: „Der große MyGruni-Fernsehgarten“. Die Ironie
kommt den Grunewald-Pilger:innen also auch in Corona-Zeiten nicht abhanden.
Der Konvoi aber kommt erstmal nicht vom Fleck. Aufgrund von etwas
ausufernden Polizeikontrollen startet der Konvoi erst mit einer Stunde
Verspätung. Die Polizei kontrolliert Personalausweise und Führerscheine der
Fahrer:innen und durchsucht die Fahrzeuge nach gefährlichen
Gegenständen. Auch mitfahrende Pressevertreter:innen müssen sich
ausweisen.
Als die Autokolonne endlich losfährt, brandet Applaus auf,
Fußgänger:innen fotografieren und winken vom Bürgersteig. In Kreuzberg,
wo sonst an diesem Tag das MyFest stattfindet, stehen Menschen mit Plakaten
am Straßenrand: „Die Würde des Spargels ist unantastbar“, steht auf einem.
Im Radio läuft der MyGruni-Livestream mit einer etwas schiefen Coverversion
von Nena „99 Hausprojekte“: „Kein Gott, kein Staat, kein Mietvertrag.“
Immerhin eins ist wie in den Vorjahren: über dem eigentlichen
Kundgebungsort in Grunewald kreist ein Polizeihubschrauber.
## Arbeiterprotest im Internet
„Es muss Schluss sein mit der Ökonomisierung und Privatisierung der
öffentlichen Daseinsvorsorge“. Der Redner klingt fast so radikal wie einer
von den Grunewalddemonstranten. Aber es ist Reiner Hoffmann, der
Bundesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), der in einem
Online-Stream seine Gewerkschaftsbossrede hält.
Pandemiebedingt hat der Gewerkschaftsdachverband, erstmals seit seiner
Gründung im Jahr 1949, physische Tag-der-Arbeit-Demos abgesagt. Stattdessen
wird [2][eine dreistündige Sendung unter dem Titel „Solidarisch ist man
nicht alleine“ gesendet]. Beiträge lieferten die acht Gliedgewerkschaften,
Bundespolitiker*innen von Linkspartei, CDU, SPD und Bündnis 90/Die
Grünen, Religionsvertreter und Musiker*innen. Auch ein Vertreter der
Fridays-for-Future-Bewegung kam spontan zu Wort. Wie viele Menschen den
Stream verfolgt haben, kann ein Sprecher des DGB am Freitagnachmittag noch
nicht sagen.
Einzelne Gewerkschaftsgruppen und radikale Linke tragen trotz der
eingeschränkten Versammlungsfreiheit den Protest aber auch auf die Straße.
Schon am Vorabend gab es dezentrale [3][Aktionen in den Berliner
Stadtteilen Wedding und Friedrichshain].
Einig sind sich Gewerkschafter*innen und Radikale am diesjährigen
Arbeiterkampfttag darin, dass die Coronakrise den Wert oft unterbezahlter
Arbeit, insbesondere in der Pflege und in pädagogischen Berufen, sichtbarer
mache. „Doch Applaus reicht nicht aus“, gibt die stellvertretende
DGB-Vorsitzende Elke Hannack im Livestream zu bedenken. Es brauche nun eine
echte Aufwertung dieser Branchen, am besten durch Tarifverträge. Zudem
fordert Hannack einen staatlichen Schutzschirm für Auszubildende und eine
bedarfsgerechte Freistellung von Eltern. Es bestehe die Gefahr, dass sich
sonst wieder alte Rollenbilder, einschlichen und die Erziehungsarbeit
wieder allein von Frauen aufgefangen würde.
Der DGB-Kreisverband Storman wiederum berichtet vom Kampf für Tarifverträge
in einem Amazon-Lager, der Bezirk Sachsen von der Situation der pendelnden
Arbeitnehmer*innen an der geschlossenen deutsch-polnischen Grenze. Die
DGB-Jugend nutzt ihre Sendezeit, um von der Bundesregierung zu fordern, die
zivile Seenotrettung im Mittelmeer zu ermöglichen. Auch die Sängerin Dota
und der Musiker Konstantin Wecker rufen in ihren Beiträgen zu Solidarität
über die Landesgrenzen hinaus auf.
## Verschwörer gegen die „Corona-Diktatur“
Ein Spektakel ganz anderer Art findet am Nachmittag rund um den Berliner
Rosa-Luxemburg-Platz statt. [4][Wie in den Vorwochen versammeln sich hier
VerschwörungstheoretikerInnen], unter ihnen auch bekannte Rechtsextreme,
die die Gefährlichkeit des Covid-19-Virus leugnen und vor einer
„Corona-Diktatur“ warnen. Es ist die mittlerweile sechste Kundgebung des
Vereins Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand, der sich Ende März
gegründet hatte.
Weil die Polizei schon [5][frühzeitig die Zugänge zum Platz abgesperrt
hat], versammeln sich einige hundert Menschen an den Zugängen, zumeist ohne
Mundschutz und unter Missachtung der Abstandsregeln oder sind in den
Seitenstraßen unterwegs.
Erstmals seit Wochen taucht Vereinsgründer und Veranstalter Anselm Lenz
auf, gegen den die Polizei ein Betretungsverbot für den Bereich
ausgesprochen hat. Kurz nachdem er mit Zeitungen aus einem Taxi gestiegen
ist, [6][wird er von der Polizei festgenommen]. An eine Wanne gelehnt,
schreit er panisch. „1. Mai 2020. Artikel 20, Absatz 4 Grundgesetz“, ruft
er wiederholt – der Widerstandsartikel. Unter den Umstehenden kommt Panik
auf, so groß ist die Sorge vor dem System.
Als sich die Situation etwas später beruhigt und Lenz abgeführt ist,
schallen plötzlich linke Sprechchöre durch die Straßen. Es ist das erste
Mal, dass hier viele [7][linke GegendemonstrantInnen] unterwegs sind.
Auch auf dem Rosa-Luxemburg-Platz sind es Linke, die an diesem Tag [8][ein
Zeichen setzen]. Sie haben eine Kundgebung angemeldet. 20 Gruppen von
VVN-BdA bis Linke, die je einen Vertreter geschickt haben, wollen den Platz
mit langer linker Tradition nicht den Rechten überlassen.“ Ein Redner
spricht vor einem Publikum aus MedienvertreterInnen und PolizistInnen von „
verwirrten“ Teilnehmern der „Hygienedemo“ und sagt: „Kein Verständnis …
wir für Menschen, die ihre Kritik mit Rechtsextremen auf die Straße
tragen.“
1 May 2020
## LINKS
[1] https://streaming.media.ccc.de/mygruni/
[2] https://www.youtube.com/watch?v=9z4rlN8oSMw&feature=youtu.be
[3] /Linker-Protest-in-der-Walpurgisnacht/!5682515
[4] /Die-Samstags-Mahnwachen-in-Berlin/!5678348
[5] https://twitter.com/retep_kire/status/1256201126728413184
[6] https://twitter.com/retep_kire/status/1256214611747012608
[7] https://twitter.com/retep_kire/status/1256201944055590915
[8] https://twitter.com/retep_kire/status/1256210326615478275/
## AUTOREN
Gareth Joswig
Erik Peter
Stefan Hunglinger
## TAGS
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