# taz.de -- +++ 1. Mai Vorab-Live-Ticker +++: Alle allein gegen den Faschismus | |
> 1. Mai und fast alles ist abgesagt. Der vorauseilende taz-Liveticker hat | |
> trotzdem Bock auf Krawall und wirft aus sicherem Abstand Pflastersteine. | |
Bild: Chic gemacht für den Grunewald | |
11.00 Uhr, taz-Bunker: Willkommen zum vorauseilenden Liveticker an diesem | |
ganz besonderen Tag der Arbeit. Protestpause wegen Corona – nicht mit uns. | |
Unsere Krawallreporter sind in der ganzen Stadt unterwegs und schauen sich | |
schon mal an, was werden wird. | |
11.23 Uhr, S-Bahnhof Grunewald: Es fährt eine endlose Karawane Wannen vor. | |
Was erwarten die hier? Den ersten verkaufsoffenen Freitag in diesem Jahr? | |
Villenversteigerung für das niedrigste Gebot? Freibier? | |
11.25 Uhr, Grunewald: Die PolizistInnen steigen aus ihren Mannschaftswagen. | |
Doch aus jedem steigt nur jeweils eine Person. Corona-Abstandsregel. | |
Vorbildlich. | |
11.57 Uhr, Brandenburger Tor: Der DGB baut seine Minikundgebung auf. Eben | |
hieß es, der Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes sei erschienen. Aber: Wie | |
sieht der aus? Wie heißt der? | |
12.52 Uhr, Fontanestraße: Social Distancing? Im Grunewald ist das lange | |
eingeübte Praxis. Vom nächsten Nachbarn ist hinter der drei Meter hohen | |
Hecke nichts zu merken. Auch „Stay at home“ lässt sich auf dem Liegestuhl | |
am Pool ganz gut ertragen. Und Homeoffice machen die Wertanlagen ganz | |
allein. Vor dem Zaun rufen ein paar Verwirrte nach „Enteignung“. Oder ist | |
das Einbildung nach dem dritten Aperol Spritz? Zur Sicherheit werden die | |
Boxen lauter gedreht: „Das Leben ist so schön. Wer braucht ein Leben | |
danach.“ | |
13.12 Uhr, U-Bahnhof Kottbusser Tor: Eine Gruppe angeheiterter | |
ItalienerInnen steigt laut singend aus der Bahn aus: „Eins, zwei, Polizei. | |
Drei, vier, Grenadier.“ | |
13.25 Uhr, S-Bahnhof. Grunewald: Das [1][Quarantänemanagement Grunewald] | |
entscheidet, eine unbeschränkte Ausgehsperre über den Kiez zu verhängen. | |
Grund: Die Jetsetter aus dem Viertel sind als Superspreader eine zu große | |
Gefahr für den sozialen Frieden. Raus darf nur noch, wer sein Haus aufgibt, | |
seine Aktienpakete verkauft und eine Wohnung in einem anderen Teil der | |
Stadt für nicht mehr als den durch den Mietendeckel festgelegten Betrag | |
anmietet. | |
13.30 Uhr, Adalbertstraße: Die ItalienerInnen singen nicht mehr und sehen | |
ziemlich geknickt aus. Scusi, wo isse das MyFest? | |
13.33 Uhr, Bürgerpark Pankow: Entgeistert ist auch ein deutscher Deutscher | |
auf der Suche nach dem Wutbürgerfest der AfD: „Sach ma, wo kann ick hier | |
jejen die Asylanten unterschreiben?“ Danke, Merkel. | |
14.00 Uhr, SO36: Ein in der Oranienstraße wohnender Resident-DJ legt mit | |
zwei riesigen Boxen am offenen Fenster Minimal-Techno für die AnwohnerInnen | |
auf. Stellt sich dabei wohl vor, wie Touri-Massen mit farbigen | |
Sonnenbrillen und Mischbier in der Hand seine Knopfdrückkünste abfeiern. | |
Allerdings wird er bei jedem Basedrop jäh aus seinem Tagtraum gerissen: | |
Statt frenetischen Applauses schreit nur ein Nachbar von unten, dass er die | |
„hedonistische Scheißmucke ausmachen soll – sonst fliegen Steine!“ Von d… | |
ItalienerInnen ist auch nichts mehr zu sehen. | |
15.15 Uhr, Rosa-Luxemburg-Platz: Schlimme Szenen vor der Volksbühne. Nach | |
Jahren, in denen die Deeskalationsarbeit der Polizei und das Betteln der | |
Autonomen um den Friedensnobelpreis den Tag der Arbeit nahezu vollständig | |
befriedet hatten, sorgt ein neuer Akteur für die Rückkehr der Gewalt. | |
[2][Die Verschwörungsideologen und Rechten, die sich hier die sechste Woche | |
in Folge treffen], gehen erstmals zum Angriff über. Hunderte hustende | |
Menschen bedrängen PolizistInnen. Die Speicheltröpfchen der | |
CoronaleugnerInnen überwinden die Schlagstockdistanz spielend. Ein | |
Einsatzleiter mit hochrotem Kopf funkt panisch nach Wasserwerfern. Die | |
erste Hundertschaft rennt davon. Aluhüte werden ihr hinterhergeschmissen. | |
„1. Mai bullenfrei“, schallt es über den Platz. Dazu immer wieder: | |
„Grundgesetz! Grundgesetz!“ | |
15.30 Uhr, Görlitzer Park: Vor lauter Polizeipräsenz plus | |
Unterbeschäftigung der stiernackigen Beweissicherungs- und | |
Festnahmeeinheiten aus anderen Bundesländern können die DealerInnen im | |
Görli nicht mehr in Ruhe Drogen verkaufen. Immer wieder werden vor allem | |
Menschen mit schwarzer Hautfarbe von PolizistInnen drangsaliert und müssen | |
sich ausweisen. Später deutet Bodo Pfalzgraf, Landesvorsitzender der | |
Deutschen Polizeigewerkschaft, die Schikanen zum Erfolg um. Er lässt sich | |
in einer eilig verschickten Pressemitteilung mit den selbstgefälligen | |
Worten zitieren: „Dank des beherzten Einsatzes unserer Kollegen am 1. Mai | |
konnten wir das Gefahrengebiet um den Görlitzer Bahnhof befrieden – | |
zumindest an diesem Tag gab es im dem Park, diesem Vortor zur Hölle, keine | |
Drogen zu kaufen oder Menschen, die sich wie sonst in aller Öffentlichkeit | |
Haschisch spritzen.“ | |
16:23 Uhr, Rosa-Luxemburg-Platz: Die Lage hat sich beruhigt seit Ken Jebsen | |
über sein Videoportal Ken FM zu Ruhe und Meditation aufgerufen hat. Die | |
eben noch Militanten rekeln sich nun auf dem Rasen. Auf dem Absatz vor der | |
Volksbühne gibt der als „Volkslehrer“ bekannte Nikolai Nerling den | |
Vorturner. Der AfD-Abgeordnete Gunnar Lindemann steht enttäuscht am Rand. | |
Er mag lieber Randale als Besinnung. | |
16.35 Uhr, Bürgerpark Pankow: Der deutsche Deutsche tritt vor lauter Wut | |
gegen einen Mülleimer und schüttet sich dabei sein Dosenbier über die | |
Jogger. Stört zum Glück kaum beim Hitlergruß. Danke, Merkel. | |
16.30 Uhr, Hasenheide: Die Dealer verkaufen ihren Stoff jetzt einen Park | |
weiter. Nach kurzer Zeit ist jedoch auch dort eine Polizeihundertschaft vor | |
Ort. Die allerdings konfisziert nur den Stoff und ergreift keine weiteren | |
Schritte. Später stellt sich heraus, dass es sich bei der Hundertschaft um | |
die [3][Berliner Partybullen von G20] handelt, die sich heute Abend noch | |
zur Einsatznachbesprechung in der Asservatenkammer treffen wollen. | |
17.30 Uhr, Oranienstraße: Die Mülleimer sind ungewöhnlich leer für diese | |
Jahreszeit. Die BSR meldet für heute Kurzarbeit an. | |
17.59 Uhr, Görlitzer Bahnhof: Einkaufswütige Menschen stürmen den Bolle | |
(oder heißt der inzwischen Kaiser’s?) am Görlitzer Bahnhof, plündern | |
Klopapier, Seife und Desinfektionsmittel. Die Plünderer halten sich zwar | |
nicht an den Mindestabstand, sind aber zumindest vorbildlich vermummt. Die | |
Polizei sieht keinen Grund zum Eingreifen. | |
18.20 Uhr, Homeoffice: Ein Revolutionär will per Zoom-Konferenz [4][den | |
nächsten klandestinen Protestort bekannt geben]. Leider photobomben seine | |
Kinder das Meeting, woraufhin sich die übrigen Autonomen auswählen. Mit | |
Kindern im Homeoffice könne man ja wohl keine Revolution anzetteln, | |
schreibt noch jemand in den Gruppenchat. „Die bürgerliche Kleinfamilien ist | |
der Tod für die Bewegung!“, tippt eine andere Person, gefolgt von mehreren | |
Pflasterstein-Emojis. | |
18.21 Uhr, SO36: Moment mal. ZOOM;!!!1!1!! Dann könnten sie ja gleich | |
Adidas-Schuhe tragen oder Amazon benutzen. Oh wait... | |
19.00 Uhr, Naunynstraße: Menschen stellen sich auf ihre Balkone und | |
beklatschen die Arbeit der Pflegekräfte im Gesundheitssystem. Eine zufällig | |
nach einer 12-Stunden-Schicht vorbeikommende Altenpflegerin ruft zurück: | |
„Behaltet euren Applaus und gebt mir 4.000 Euro brutto, ihr Ausbeuter!“ | |
20.30 Uhr, Wiener Straße: Im Vorfeld hatten Autonome angekündigt, den | |
Infektionsschutz ernst zu nehmen, auch um der FDP eins auszuwischen. „Alle | |
allein gegen den Faschismus“ lautet die ausgegebene Parole. In SO36 sieht | |
man nun, was das heißt: Am Mariannenplatz buddelt ein Vermummter einen | |
Stein aus der Erde, ums Eck hämmert ein anderer auf die Glasfassade eines | |
Burger-Ladens ein. Am Görlitzer Bahnhof steht eine Polizeikette, etwas | |
löchrig wegen der 2-Meter-Abstände. Ihr gegenüber ein einzelner | |
Steinewerfer. Alles safe in Kreuzberg! | |
20.45 Uhr, taz-Bunker: Wir danken für die Aufmerksamkeit und wünschen allen | |
LeserInnen einen gesunden und kämpferischen 1. Mai! | |
30 Apr 2020 | |
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[4] /Berlin-bereitet-sich-auf-den-1-Mai-vor/!5678664/ | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
Erik Peter | |
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