# taz.de -- Linke und SPD in Sachsen-Anhalt: Totalschaden auf der linken Seite | |
> Früher gewann die Linkspartei, wenn die SPD verlor – und umgekehrt. In | |
> Sachsen-Anhalt haben nun beide einstigen Arbeiterparteien verloren. | |
Bild: Kampf verloren – gegen Haseloff und gegen die Tränen: SPD-Spitzenkandi… | |
Katja Pähle weint, Olaf Scholz ist nicht da. Dieses Bild gibt die SPD am | |
Sonntagabend ab. Das Ergebnis sei „wirklich furchtbar“, sagt | |
SPD-Spitzenkandidatin Pähle am Montag. Dabei hat die SPD in Magdeburg doch | |
solide mitregiert und landespolitisch viel erreicht. | |
Aber die niedrigeren Kitagebühren und verbilligten Nahverkehrstickets für | |
Azubis – sie haben nicht gezählt. In Sachsen-Anhalt gibt es für die SPD nur | |
eine Richtung – nach unten. Kein Wunder, dass Olaf Scholz es vorzieht, | |
nicht Teil dieses depressiven Gemäldes zu sein. | |
Dafür muss Generalsekretär Lars Klingbeil, schon wieder, tapfer ein | |
Desaster kleinreden. Noch 111 Tage, sagt er am Montag aufmunternd, seien es | |
bis zur Bundestagswahl. „Vielleicht müssen wir noch lauter werden“, so | |
Klingbeil. Das SPD-Dilemma steckt auch in dem „vielleicht“. | |
Die SPD hat ja in Berlin die Angriffe auf die Union und Jens Spahns | |
Missmanagement schon maximal hochgepegelt. Sie hat Kanzlerkandidat und | |
Programm früh präsentiert. Sie ist laut, aber kaum jemand hört zu. „Das | |
Rennen“, sagt Klingbeil, „ist sehr offen.“ Es klingt wie eine | |
Beschwörungsformel. | |
## Eine kleine Katastrophe | |
So ähnlich ist es bei der Linkspartei. „Sachsen-Anhalt ist kein Fingerzeig | |
für die Bundestagswahl“, so Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow mit | |
tapferem Optimismus. Das Ergebnis sei „schmerzhaft“. Tatsächlich erlebt die | |
Linkspartei in Sachsen-Anhalt eine kleine Katastrophe. [1][Die Wahl] | |
sollte, so hatte es Fraktionschef Dietmar Bartsch im Frühjahr verkündet, | |
zur Trendwende für die lahme Bundespartei werden. | |
Weit gefehlt. Die Genossen verloren gut 5 Prozentpunkte. „Bitte nichts | |
schönreden“, kommentierte der Bundestagsabgeordete Matthias Höhn, dessen | |
Bundestagswahlkreis Stendal und die Altmark umfasst. Die Linkspartei verlor | |
nicht nur in der Provinz. Auch in größeren Orten, wo sie als Andockstation | |
für Jüngere und Bewegungsaffine in der Vergangenheit gewisse Erfolge hatte, | |
verlor die Partei. | |
Warum? Haben SPD und Linkspartei in Magdeburg wegen einer Art AfD-Mechanik | |
und eines Sogs Richtung Ministerpräsident verloren? Sind sie Opfer der | |
Polarisierung zwischen CDU und AfD geworden? Also schlimm, aber doch ein | |
lokales Ergebnis, begünstigt durch missliche Umstände? | |
Pähle und auch Linksfraktionschef Dietmar Bartsch sehen es so. Beide | |
Parteien haben zwischen 1 und knapp 2 Prozent an die CDU verloren. Mag | |
sein, dass manche Haseloff wählten, um die AfD zu verhindern. Aber das | |
erklärt das Ausmaß der Niederlagen nicht. | |
## Ein europäisches Debakel | |
Besorgniserregend sind für SPD und die Linkspartei zwei andere Zahlen. In | |
Sachsen-Anhalt trauen die WählerInnen den Postarbeiterbewegungsparteien | |
ausgerechnet auf deren angestammten Gebiet, der sozialen Gerechtigkeit, | |
immer weniger zu. Mit der Linkspartei verbinden nur noch 20 Prozent | |
Gerechtigkeit, 5 Prozent weniger als 2016, [2][mit der SPD 17], das sind | |
sogar 9 Prozent weniger. | |
Dies ist mehr als eine sonderbare Entwicklung in einem sonderbaren | |
Bundesland. Es verdeutlicht eine verzweifelte Lage. Weder sozialer Protest | |
à la Linkspartei noch jene beharrlichen, kleinteiligen Reformen, die Pähle | |
in Magdeburg und Scholz in Berlin für sich reklamieren, nutzen etwas. | |
Wahlen kann aber nur gewinnen, wer wenigstens im heimischen Stadion siegt. | |
So wie die Union ohne Vertrauen in ihre Wirtschaftskompetenz nicht gewinnen | |
kann, so können es linke Parteien nicht ohne Kompetenz bei Gerechtigkeit. | |
Hier zeichnet sich eine Art Totalschaden ab. Man kann auch sagen: eine | |
[3][europäische Normalisierung]. Ob in Frankreich oder den Niederlanden, | |
Polen oder Italien, überall sind sozialdemokratische und postkommunistische | |
Parteien nur noch ein Schatten ihrer selbst. Besonders bitter für die | |
Linkspartei ist, dass die WählerInnen auch bei „Sorgen und Nöten | |
Ostdeutscher“ der CDU mehr vertrauen als ihr. Volkspartei des Ostens? Das | |
war einmal. | |
## Ziele niedriger stecken | |
Für die Linkspartei wird es nun in Sachen Bundestagswahl langsam eng. Der | |
Osten galt immer als Rückversicherung, auch wenn die Linke mittlerweile | |
mehr Mitglieder im Westen hat. Von einer Regierungsbeteiligung ist die | |
Partei im Bund so weit entfernt wie Stendal von der Staatskanzlei in | |
Magdeburg. | |
Es geht nur noch um den Wiedereinzug in den Bundestag und die | |
Fünfprozenthürde. Statt #CDUrausausderRegierung, wie Parteivorsitzende | |
Susanne Hennig-Wellsow nach ihrer Wahl im Februar twitterte, muss der neue | |
Slogan jetzt lauten #blossdrinbleiben. | |
Wulf Gallert, linker Vize-Landtagspräsident, sieht in der fehlenden | |
Machtoption ein Schlüsselproblem. „Die Leute sagen uns, ihr habt ja recht, | |
aber keine Durchsetzungsperspektive.“ Dieses Problem werde man auch am 26. | |
September haben. | |
Sicher ist: Mit gegenseitigen Schuldzuweisungen, in der Linkspartei eine | |
beliebte Übung nach Niederlagen, wird es noch schneller abwärts gehen. Nach | |
Sachsen-Anhalt müsse man „in der Partei die Vielstimmigkeit einstellen“, | |
mahnt Hennig-Wellsow. | |
## Keine Fehler gemacht | |
Der SPD-Bundesspitze fällt nach der Niederlage auch nicht viel ein. | |
SPD-Chef Norbert Walter-Borjans versichert Pähle etwas jovial: „An dir hat | |
es nicht gelegen.“ Bis zur Bundestagswahl müsse nun das in der Großen | |
Koalition „Erreichte mehr mit der Marke SPD verbunden werden“, so | |
Walter-Borjans. Genau das versucht die SPD seit einem Jahr vergeblich. Mit | |
Regierungserfolgen zu punkten, das hat auch in Magdeburg den Absturz nicht | |
gebremst. | |
Katja Pähle sucht am Montag noch immer nach Gründen. Und findet keine. „Wir | |
hatten doch die richtigen Themen“, sagt sie. Höhere Löhne, solide | |
Schulpolitik. Fast wortgleich klingt die linke Spitzenkandidatin Eva von | |
Angern, die den kreativen Wahlkampf und die richtige Themensetzung lobt. | |
Dass man im Rückblick noch nicht mal Fehler erkennt, die man künftig meiden | |
könnte, färbt das Bild noch schwärzer. | |
Der SPD hat derzeit nur noch eine Hoffnung: Olaf Scholz. Der steht, wohl | |
wegen der bescheidenen Performance von Baerbock und Laschet, in Umfragen, | |
wer ins Kanzleramt einziehen soll, recht gut da. Last Exit Scholz. Also | |
mehr vom Gleichen. Einen Plan B gibt es nicht. | |
7 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tagesschau.de/wahl/ | |
[2] https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2021-06-06-LT-DE-ST/charts/umfrage-sp… | |
[3] /Europas-Sozialdemokraten-in-der-Krise/!5161785 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
Anna Lehmann | |
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