| # taz.de -- Nach der Wahl in Sachsen-Anhalt: Erleichterung ist fehl am Platz | |
| > Die CDU hat in Sachsen-Anhalt gewonnen. Doch wahr ist auch: Fast jede:r | |
| > Fünfte hat die AfD gewählt. Nicht nur das sollte Anlass zur Sorge sein. | |
| Bild: 4. Juni 2021, Magdeburg: ein AfD-Anhänger mit einem frisierten Logo der … | |
| Chapeau! Reiner Haseloff hat in Sachsen-Anhalt einen grandiosen Erfolg | |
| eingefahren, das kann man nicht anders sagen. Der [1][CDU-Ministerpräsident | |
| hat zweierlei geschafft]: Er hat das Ergebnis seiner Partei im Vergleich | |
| zur Landtagswahl 2016 um gut 7 Prozentpunkte verbessert. Und das in einer | |
| Zeit, in der die CDU allerorten im Umfragetief steckt – auch dank | |
| Korruptionsaffären und einer mitunter miserablen Coronapolitik. | |
| Haseloff hat die CDU klar als stärkste Kraft in Sachsen-Anhalt behauptet, | |
| weit vor der AfD. Und damit eben auch verhindert, dass die radikal rechte | |
| Partei erstmals bundesweit bei einer Wahl stärkste Kraft wird, was deren | |
| eigentliches Wahlziel war. Das hat dazu geführt, dass sich auch Menschen, | |
| die nicht unbedingt Fans von CDU-Politik sind, über Haseloffs klaren Sieg | |
| gefreut haben – und erleichtert waren. Das ist nachvollziehbar. Auf den | |
| zweiten Blick aber tun sich hier zahlreiche Probleme auf. | |
| Zum einen ist die AfD in Sachsen-Anhalt, wie in anderen Ostbundesländern | |
| auch, zweitstärkste Kraft. Laut amtlichem Endergebnis hat sie 20,8 Prozent | |
| geholt. Das sind zwar 3,5 Prozentpunkte weniger als bei der letzten | |
| Landtagswahl, wie man erfreut betonen kann. Möglicherweise ist die AfD hier | |
| sogar „ausmobilisiert“. Es heißt aber auch: Fast jede und jeder fünfte in | |
| Sachsen-Anhalt, der an der Wahl teilgenommen hat, hat für die AfD gestimmt. | |
| David Begrich vom Verein Miteinander in Magdeburg fragte am Sonntagabend | |
| auf Twitter: „What is wrong?“, und schrieb dazu: „1998 DVU 12,8 Prozent: | |
| Entsetzen. 2021 AfD 22 Prozent: Erleichterung.“ Erwischt, könnte man sagen. | |
| Denn in dem Gefühl der Erleichterung steckt natürlich auch: An den großen | |
| Erfolg von Rechtsextremen im Osten der Republik haben wir uns längst | |
| gewöhnt. | |
| ## Erwischt! | |
| 94 Prozent der AfD-Wähler:innen wollen, so zeigt eine ARD-Umfrage, dass | |
| die AfD an der Regierung beteiligt wird. Das heißt: Sie wollen, dass die | |
| Politik der AfD auch umgesetzt wird. Es sind also keine | |
| Protestwähler:innen, auch wenn sich diese Vorstellung beharrlich hält. | |
| Die AfD hat inzwischen eine Stammwählerschaft an sich gebunden. | |
| Ein Teil davon sind überzeugte Rechtsextremisten, die für die Demokratie | |
| verloren sind, wie [2][der Ostbeauftragte und CDU-Mann Marco Wanderwitz] | |
| kurz vor der Wahl [3][richtig angemerkt hat] – und dafür viel Dresche | |
| bezog. Dass der Sockel der Wählerschaft, auf den die AfD im Osten sich | |
| stützen kann, aber deutlich darüber hinausgeht, hat viel mit der Politik | |
| der CDU in den vergangenen 30 Jahren zu tun. | |
| Denn vor der Wahl auszuschließen, dass man mit der AfD gemeinsame Sache | |
| machen werde, wie es Haseloff gerade und auch der sächsische | |
| CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer vor der dortigen Landtagswahl | |
| getan hat, ist das Eine. Im Zweikampf mit der AfD die Bevölkerung darauf | |
| einzuschwören, dass nur eine Stimme für die CDU die radikal Rechten als | |
| stärkste Kraft verhindern könne, das Zweite. Das dürfte der CDU in beiden | |
| Ländern Stimmen von Wähler:innen eingebracht haben, die sonst vielleicht | |
| SPD, Grüne oder Linke gewählt hätten. Was im Übrigen die Parteien sind, die | |
| im Alltag vor allem die Arbeit gegen Rechtsextremismus unterstützen, manche | |
| von ihren Politiker:innen sind bei jeder Demo dabei. | |
| Gleichzeitig, und das sollte die Erleichterung relativieren, fehlt bei der | |
| CDU die inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD. Auch scheut sich die | |
| CDU immer wieder, Rechtsextremismus klar zu benennen und redet ihn lieber | |
| klein. | |
| ## Differenzierung notwendig | |
| Dass der ehemalige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf vor vielen | |
| Jahren erklärte, die Sachsen seien immun gegen Rechtsextremismus, macht das | |
| besonders deutlich. Öffnungsdebatten hin zur AfD flammen in der Ost-CDU | |
| immer wieder auf. Und die Christdemokraten stecken im Dilemma: Denn es gibt | |
| eben die inhaltlichen Schnittmengen mit der AfD, wie zum Beispiel beim | |
| Streit in Sachsen-Anhalt über die Erhöhung des Rundfunkbeitrags. | |
| Hinzu kommen Personalien wie Hans-Georg Maaßen, | |
| Ex-Verfassungsschutzpräsident, der für die CDU für den Bundestag kandidiert | |
| und neurechte Parolen verbreitet. Dass man dies einfach so geschehen lässt, | |
| legitimiert die Erzählungen der radikal Rechten und stärkt die AfD. | |
| Dazu gehört auch das Gerede von der AfD als eigentlich konservativer | |
| Partei, oder „Fleisch vom Fleische der CDU“, was auch immer wieder zu hören | |
| ist. Es ist ein Narrativ, das die AfD gern selbst bedient, weil es so schön | |
| selbstverharmlosend ist. Dass dies [4][einem ZDF-Reporter zur besten | |
| Sendezeit passiert], ist ein schwerer Fehler. Dass die neue Chefin der | |
| Linkspartei dieselbe Erzählung bedient, indem sie auf Twitter schreibt, die | |
| „rechten Parteien“ hätten in Sachsen-Anhalt über 60 Prozent geholt, auch | |
| einer. | |
| Klargestellt werden sollte, dass die AfD – allgemein und besonders in | |
| Sachsen-Anhalt, wo sie vom Verfassungsschutz beobachtet wird – alles andere | |
| als konservativ ist. Viel geholfen wäre aber auch, wenn über die AfD hinaus | |
| klarer differenziert würde: zwischen demokratischen Konservativen und | |
| antidemokratischen Rechten sowie ihren Narrativen. | |
| 7 Jun 2021 | |
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| [2] /Ostbeauftragter-Marco-Wanderwitz/!5772366 | |
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| [4] https://www.spiegel.de/kultur/tv/sachsen-anhalt-zdf-journalist-nennt-afd-te… | |
| ## AUTOREN | |
| Sabine am Orde | |
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