# taz.de -- Leben im Wohnwagen: Yes, we van | |
> Mobiles Leben ist einfach, selbstbestimmt und aufregend. So sieht es für | |
> all die Daheimgeblieben via Instagram und Co. jedenfalls aus. | |
Bild: Langzeitreisende sind überwiegend RentnerInnen, Jüngere reisen kürzer | |
Wenn man bei Instagram nach dem Hashtag [1][#vanlife] sucht, finden sich | |
vor allem Autos. Keine klobigen weißen Mobile alten Schlags, sondern bunt | |
lackierte Bullis, selbst ausgebaute Sprinter oder aufwendig umgebaute | |
Feuerwehrautos. Bei 20.000 Euro Kaufpreis geht es los, Ausbaukosten von | |
vielen Tausend Euro kommen drauf; die trendigen Expeditionsmobile liegen | |
bei mindestens 100.000 Euro, nach oben offen. | |
Junge, schöne Menschen, Laptops, Interieur von hippen Flohmärkten. So | |
fotografiert, als gäbe es Städte gar nicht, nur das Auto und die Welt. | |
Wellen, Wiesen, Weiten. [2][Während der Pandemie nahm der Camping-Hype | |
weiter Fahrt auf]. | |
Mit dem eigentlich sozialkritischen Oscarpreisträger Nomadland wurde das | |
Vanlife weiter romantisiert und auch Texte darüber boomen. Allerdings | |
schauen sie selten über das Instagram-Milieu hinaus. In Wahrheit ist das | |
Leben im Wagen so vielfältig wie die Gesellschaft. Es erzählt vom Wandel | |
der Welt und des Tourismus. | |
Ich lebe, muss ich hier vielleicht erwähnen, im Wagen, in einem alten | |
umgebauten Militär-LKW. Gekauft vor einigen Jahren, als es so was noch für | |
vierstellig gab, heute unvorstellbar. Wir sind eher in Käffern als auf | |
Küstenstraßen unterwegs, in Orten, wo man an Fabriken steht, nicht auf | |
Felsklippen, wo man auf Menschen trifft, nicht Wellen. Andererseits, wer | |
kann sich vom Zeitgeist und von Klippen lossagen? Ich nicht. Vanlife ist | |
Zeitgeist, irgendwie. | |
Artikel aus den USA, Großbritannien, Frankreich, Italien erzählen ähnliche | |
Geschichten wie in Deutschland: Von jungen, gebildeten Paaren, die in den | |
selbst ausgebauten Wagen ziehen, für immer. Durch die permanente | |
Berichterstattung scheint diese Gruppe viel größer, als sie vermutlich ist. | |
## Reisen muss man sich leisten können | |
Meine subjektive Beobachtung ist: Für viele ist es ein Lebensstil auf Zeit. | |
Im Sabbatical, in Elternzeit, auf Urlaub gemietet oder auf ein, zwei Jahre | |
begrenzt. Für immer zu anstrengend, trotz Digitalisierung zu schwierig mit | |
einem Beruf vereinbar, und zumindest in Deutschland steht auch die | |
Schulpflicht im Wege. | |
Man begegnet unter den Langzeitreisenden überwiegend RentnerInnen im | |
luxuriösen Camper. Weiß und wohlhabend. Und dann sind da viele Gruppen, an | |
die gar niemand denkt, weil schon das Wort Vanlife für sie falsch klingt: | |
Menschen mit sehr schmalem Budget, die nur dann reisen, wenn alle anderen | |
es nicht tun und den Rest der Zeit auf einer zurückgezogenen Stelle leben. | |
Der Camper als sparsame Alternative zur Wohnung. | |
Oder solche, die tatsächlich rein aus finanzieller Not in den Caravan | |
ziehen, auch in Deutschland. Und sich dagegen wehren müssen, vertrieben zu | |
werden. Das Leben auf Rädern pflegen Teile europäischer Minderheiten, die | |
traditionell nomadisch lebten, immer noch. [3][Menschen in Wagenburgen] tun | |
es, Zirkusse, reisende KünstlerInnen, AussteigerInnen. Von | |
KapitalismuskritikerInnen bis zu verstrahlten Esos. Und solche, die nach | |
Durchschnittsbürgerin klingen und nach einem Leben harter Arbeit einfach | |
nichts mehr tun wollen außer in Portugal am Meer sitzen. | |
Ein heterogenes Abbild der Gesellschaft. Leben im Wagen ist prinzipiell | |
niedrigschwellig. Wohlstand bemisst sich hier erstens daran, wie das Auto | |
aussieht. Und zweitens an der Distanz, die man zurücklegt. [4][In einem | |
Wagen leben kann man fast immer.] Reisen muss man sich leisten können. | |
Dass diese Gruppen so wenig gemeinsam haben, macht die Bewegung noch | |
interessanter. Seit Jahren zählt der Caravaning Industrie Verband (CIVD) | |
Rekorde an Fahrzeugzulassungen. Im März 2021 wurden insgesamt rund 13.920 | |
Caravans und Reisemobile in Deutschland neu zugelassen; das entspricht fast | |
einem Viertel der Gesamtzahlen 2017. Damals war das wiederum ein | |
historisches Rekordjahr. Trotz Pandemie wuchs die Branche um sechs Prozent. | |
## Arbeit und Freizeit sind völlig verschränkt | |
Was erzählt dieser Trend? In seiner kommerziellen Form ist er wohl ein | |
Marketingmärchen, ein Boykott des Kapitalismus durch Kapitalismus. | |
InfluencerInnen, aber auch Menschen, die zurückhaltender sind, müssen die | |
Reise finanzieren, also sind Arbeit und Freizeit völlig verschränkt; | |
technologischer Fortschritt hat Freiheit ermöglicht und sorgt zugleich für | |
die Entgrenzung der Arbeit. | |
Ausgestiegen und doch voll berufstätig, hedonistisch und konventionell | |
erfolgreich, Tempo und Entschleunigung zugleich. Man kann nicht fort. Nur | |
an Orte, wo die Kulisse schöner aussieht. Zugleich steckt in vielen, die | |
sich zumindest teilweise freiwillig in den Wagen begeben, auch ein | |
rebellischer Geist, eine Systemkritik. Sie ist nicht zwingend eloquent | |
ausgedrückt, sie klingt vielleicht so: Gegen Hamsterrad und Gier. Für ein | |
einfaches Leben, im Einklang mit der Natur, Glück im Weniger. Mehr Zeit, | |
weniger Stress. | |
Das ist eine alte Geschichte, die im Leistungszeitalter drängender wird. | |
Die Abkehr erfordert Mut und Reflexion. Es ist zugleich keine Revolution, | |
nicht mal ein unbequemer Protest, denn man tritt den Rückzug zum Selbst an; | |
eine Kultur, die von den Entwicklungen seit den 1970er Jahren und den | |
Hippies spiegelt. | |
Und natürlich verändert sie auch die Welt des Reisens. Eine Studie des | |
Instituts für Energie- und Umweltforschung (ifeu) von 2020 berechnete | |
möglichst umfassend [5][die Klimabilanz verschiedener CamperInnen]. Sie | |
bestätigte, was schon die Intuition sagt: dass Camping in Bezug auf die | |
Klimabilanz die deutlich ökologischere Alternative zum Massentourismus ist. | |
Kreuzfahrt oder Flug schlägt sie vernichtend. | |
## Umweltverschmutzung aus Unwissenheit | |
Allerdings ist das Mobil auch nicht so grün, wie manche meinen mögen. Sogar | |
der Urlaub mit dem PKW im Hotel schneidet oft besser ab. Das liegt vor | |
allem am hohen Spritverbrauch vieler CamperInnen auf langen Strecken. Je | |
länger die Anreise, desto ungünstiger. Und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) | |
beklagte noch im April [6][alarmierende Abgaswerte bei Wohnmobilen]. Der | |
PKW in Kombination mit Camping-/Zeltplatz und erst recht die Anreise mit | |
ÖPNV sind bessere Varianten für die, denen es wichtig ist. | |
Dann sind da natürlich die Überreste. Einige Campingländer wie Frankreich | |
agieren sehr nachhaltig: im ganzen Land bieten Stationen, die sich per App | |
anzeigen lassen, kostenlose oder sehr günstige Entsorgung von Grauwasser, | |
Toiletteninhalten und Abfall an. Anderswo, erst recht fernab touristischer | |
Gebiete, ist das nicht der Fall. Es fehlen auch öffentliche Müllcontainer | |
oder Optionen, den Abwassertank zu leeren. | |
Websites zeigen auf, wie man durch biologisch abbaubares Shampoo oder | |
Spülmittel, eine zweite Toilettenkassette oder im Notfall zumindest Abstand | |
zu Gewässern bei der Wasserentsorgung [7][Schäden an Tier und Umwelt | |
minimiert]. Aber die Infos holen sich nicht alle, die unterwegs sind. Oft | |
schlicht aus Unwissenheit. Auch das schafft Probleme. Eine verpflichtende | |
Infoveranstaltung zumindest bei Neuerwerb eines Reisemobils oder eine Art | |
Campingschein, ähnlich dem Angelschein, könnten helfen, präventiv zu | |
bilden. | |
Dafür ist der Ressourcenverbrauch im Auto selbst gering. Wer Wasser mühsam | |
nachfüllen muss, merkt, wie wenig davon zum Kochen oder Waschen eigentlich | |
nötig ist. Wer gezielt für zwei Gerichte kauft, weil es keine | |
Kühlmöglichkeit gibt, verschwendet kaum etwas. Shopping ist unnütz, weil | |
der Platz ohnehin minimal ist. Und es gibt keinen Anlass, Krempel zu | |
horten. Das übersehen die JournalistInnen, die zufrieden feststellen, dass | |
das Leben im Wagen ja auch ökologische Schwächen habe. Natürlich hat es | |
das, wie fast alles. | |
## Die Gentrifizierung des Nomadentums | |
Und an den Küsten zeigt es längst [8][Symptome des Overtourism]. In vielen | |
Mittelmeerorten gibt es mittlerweile No-Camping-Schilder und Schranken vor | |
Parkplätzen. In Großbritannien, heißt es, würden ökonomisch schwache | |
Gruppen wie Roma dabei von ihren Plätzen verdrängt. Die Gentrifizierung des | |
Nomadentums. Es ist das ewige Paradox des Tourismus: die Eroberung neuer | |
Gebiete, ihre Gleichmachung und das anschließende Naserümpfen über Orte, | |
die ihren Charakter verloren haben. | |
Zugleich hat all das Wachstumsgrenzen. Es gibt, wie zu jedem Trend, die | |
Geläuterten, die erzählen, wie schrecklich es sei, im Auto zu leben. | |
Fehlender Komfort auf begrenztem Raum, wenige und hart umkämpfte | |
Online-Jobs oder, dass es doch nicht so romantisch war, als Paar ständig | |
aufeinander zu hängen. | |
Die Einstiegskosten sind hoch, auch, wenn das anschließende Leben mit | |
wenigen hundert Euro im Monat lächerlich günstig sein kann. Gravierend ist | |
auch der persönliche Verzicht: fast jedes Hobby ist mit einem festen Ort | |
verbunden. Freundschaften lassen sich über Distanz schwerer pflegen, weil | |
gemeinsame Erlebnisse fehlen. | |
Es ist eine wunderbare Art zu leben, aber kein Wunderland. | |
Alina Schwermer schreibt auf [9][www.nosunsets.de] Geschichten über die | |
Menschen, denen sie vor Ort begegnet, und deren Sicht aufs Leben | |
7 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.instagram.com/explore/tags/vanlife/ | |
[2] /Wohnmobile-in-der-Pandemie/!5756916 | |
[3] /Wagenplaetze-in-Berlin/!5771080 | |
[4] /Leben-im-Wohnmobil/!5494429 | |
[5] https://www.civd.de/wp-content/uploads/2020/09/2020_ifeu_Klimabilanz-von-Re… | |
[6] https://www.duh.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/alarmierende-… | |
[7] https://camper.help/entsorgung/ | |
[8] https://www.youtube.com/watch?v=N0CeGmVN99A | |
[9] http://www.nosunsets.de | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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