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# taz.de -- Coronazeit ist Campingzeit: Bewegung macht ruhig
> Selbstbestimmt, flexibel, spontan und schön in der Natur. Der Trend zum
> Campen und Camper ist nicht nur zu Coronazeiten im Aufwind.
Bild: Nie war die Lust auf Outdoor-Aktivitäten größer
Ausbüchsen. Rausgehen. Wegfahren. Der Trend im Outdoorbereich ist das
Mikroabenteuer. Seit einigen Jahren propagiert der Brite Alastair Humphreys
den bewussten Ausbruch aus der Komfortzone. Er selbst wanderte mit einem
Freund entlang des Autobahnrings einmal um London herum. Das klingt eher
bescheuert als prickelnd.
Mikroabenteurer sind für den Tourismus schwierige Konsumenten, denn für
Pauschalarrangements sind sie schwerlich zu begeistern, geschweige denn für
[1][Massentourismus] auf Kreuzfahrten. „Kurz, einfach, lokal, günstig,
trotzdem aufregend“, so fasst Christo Foerster das Mikroabenteuer zusammen.
Und plädiert für „einfach rausgehen und machen“. Foerster ist das deutsche
Gesicht dieser Outdoorfans. Er gibt Tipps im Magazin Walden von GEO, das
für Nahziele motiviert und sich einer eigenen Ästhetik verschrieben hat,
die das Möbelbauen im Waldcamp so attraktiv macht wie die neue Camperküche
oder Paddeln auf heimischen Seen.
## Campingabenteuer reloaded
Aus England kam vor einiger Zeit die Cool-Camping-Bewegung. Ihr ging es um
eine Art [2][Rückeroberung des ursprünglichen Campingabenteuers]. Von der
Verschrebergärtnerung der klassischen Campingszene grenzte man sich ab.
Seither werden alte Geheimtipps lanciert. Der Ratgeber „Sensationelle
Plätze zum Zelten“ ist auch in Neuauflagen ein echter Hingucker geblieben
und die ausgesuchten Plätze in ganz Europa sind durchweg einzigartig,
sowohl was Lage als auch Experimentierfreudigkeit ihrer Betreiber und das
Ambiente angeht.
Aus Frankreich wurde eine Idee für Bio- und Landfreunde übernommen:
„Landvergnügen“ geht auf das erfolgreiche „France Passion“ zurück und…
damit kostenlose Stellplätze auf Bauern- und Gutshöfen oder Weingütern mit
Direktvermarktung. Einzige Vorbedingung: der Erwerb des Stellplatzführers,
der auch eine Jahresvignette für den Campervan beinhaltet.
Nie war es unkomplizierter, ins Freie auszubüchsen, nie war die Lust auf
Outdooraktivitäten außerhalb des organisierten Tourismus größer. Denn die
Infrastruktur ist gut. Sei es für Wanderer, sei es für Radler oder auch für
Camper. Etwa die Radwege an jedem kleinen Fluss für ausgedehnte Touren oder
die Wanderwege durch die geschützten Gebiete der Natur- und Nationalparks
und selbst durch die besiedelte Landschaft, wie auf den inzwischen
[3][zahlreichen Jakobs-Pilgerwegen].
## Die Campingbranche wächst
Oder hinsichtlich der Stell- und Campingplätze. Wohnmobile sind auf
Frischwasserzufuhr und auf Entsorgungsstationen für Brauchwasser und
Toiletten angewiesen, auf Gasflaschenwechsel und in der Regel auch auf
Strom – wenn man keine Solaranlage spazieren fährt.
Die Zuwächse der „Freizeitfahrzeug“-Branche sind insgesamt traumhaft. Die
verzeichnete zuletzt ein Umsatzplus von über 9 Prozent gegenüber dem
Vorjahr. Derzeit sind in Deutschland circa 1,2 Millionen dieser Fahrzeuge
zugelassen. Caravans, also Anhänger, stellen davon noch etwas mehr als die
Hälfte, aber bei den Neuzulassungen haben die „Womos“ nach Angeben des
Caravaning Industrie Verbandes die Nase schon weit vorn. Letzte Umfragen
sagen, dass über 14 Millionen Deutsche mit der mobilen Reiseform
liebäugeln. Unter den „Millennials“ sollen es sogar 23 Prozent sein.
Es sind nicht die Rentner, die den Womo-Markt maßgeblich befeuern. Die
[4][Bewegung zum Camper] geht von der Enkelgeneration aus. Und so heißt der
neueste Trend im Outdoorsektor nun „Vanlife“. Leicht zu orten auf
Büchertischen mit Titeln wie: „Hit the Road“, „Off the Road“, „On the
„Road“, „Bulli Challenge“, „Camper Hacks“, „The new Outsiders“,…
Vanlife“, „Bulli! Freiheit auf vier Rädern“, „Van Girls: Starke Frauen…
ihr ungebundenes Leben in Campervans“. Seit letztem Jahr häufen sich
schillernde Titel zum Leben im Freien. Der Tenor ist: nicht bloß raus hier,
sondern gleich draußen bleiben. Statt Mikro jetzt Makro, nämlich die ganze
Welt und das ganze Leben, unabhängig, selbstbestimmt und vor allem in der
Natur genießen. Unterwegssein im Van wird zum Lebensmodell. Das Modell
Urlaub auf dem Campingstellplatz gilt als gestrig.
## Campende als Influencer
Auch die neue Camperszene grenzt sich dezidiert ab. Paul Nitzschke, der
vielleicht bekannteste und einflussreichste Vanlifer hierzulande, erklärt
gern in Interviews: „Was ich früher mit meinen Großeltern gemacht habe, der
Wohnmobilurlaub in Spanien, hat einfach ein Imageproblem. Diese
spießbürgerliche Art, seinen Urlaub zu verbringen, entspricht nicht dem
Zeitgeist der Menschen im Alter zwischen 20 und 35 Jahren.“
Paul Nitzschke hat es geschafft. Er kann von seinem neuen Lebensstil leben.
Er betreibt den Blog Passport Diary, das vermutlich größte Magazin über
Vanlife. Und er vertreibt E-Books rund um den Camperausbau. Auf Instagram
folgen ihm 33.000 Menschen. Kein gutes Instagram-Foto ohne den Van und sein
Innenleben und kein Blog ohne Selbstbauanleitung.
Die moderne Vanlife-Idee ist ein Import aus den Vereinigten Staaten, der im
urbanen Milieu unter technik-, medien- und designaffinen Freelancern gut
ankommt. Vanlife verspricht ein neues Lebensgefühl, in dem Arbeit und Leben
kombiniert und in eine neue Balance gebracht sind. Wem der Van unterwegs
auch als Homeoffice dienen kann und der Laptop als Arbeitsmittel
ausreicht, kann, so die Überlegung, auch an südlichen Stränden seinen
Brotjob erledigen. Auf Videokonferenzen mit Kollegen erscheint anstelle
einer Bücherwand im Hintergrund dann allerdings das rauschende Meer, das
sich die Weltreisenden als Kulisse ausgesucht haben. Und das hat was.
19 Jun 2020
## LINKS
[1] /Massentourismus-statt-Idyll/!5659582
[2] /Camping-in-Mecklenburg-Vorpommern/!5686772
[3] /Jakobsweg-und-das-Coronavirus/!5683598
[4] /Berlin-faehrt-in-den-Sommerurlaub/!5605587
## AUTOREN
Christel Burghoff
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