| # taz.de -- Reisen mit Camper: Entschleunigung im Wohnmobil | |
| > Europaweit sind viele unterwegs mit dem Camper. Von der Suche nach einem | |
| > Stellplatz profitieren immer mehr landwirtschaftliche Betriebe. | |
| Bild: Wildcamper bei Havelberg, August 2017: Das Übernachten ist hierzulande d… | |
| Ist das jetzt „Down-Sizing“ oder ist es „Up-Scaling“, fragt sich Marco | |
| Dalan, Autor von Campergeschichten, nachdem er sich einen Campervan | |
| zugelegt hat. „Ist das reduzierte, ja zuweilen spartanische Leben im | |
| mobilen Heim nun ein Rückschritt – oder ein Fortschritt?“ Seine Antwort | |
| spiegelt das Fühlen und Denken vieler anderer, die es ihm gleichtun. | |
| Menschen, die alle irgendwie raus aus der Tretmühle wollen, die unabhängig | |
| sein und ins Freie wollen: „Ich habe,“ so Dalan, „ein neues Leben | |
| gewonnen.“ Selbst abzüglich allen Überschwangs bleibt unterm Strich: | |
| Draußen sein und unterwegs – das hat was! | |
| Fakt ist: [1][die Neuzulassungen der kleineren kompakten und | |
| alltagstauglichen Campervans (etwa Fiat Ducato) legten sprunghaft zu.] | |
| Erstmals überholte die Zahl der Reisemobile die der Caravans, beide Gruppen | |
| zusammen kommen jetzt auf knapp 1,5 Millionen (bei insgesamt fast 60 | |
| Millionen Kraftfahrzeugen). Aktuell gibt es Lieferengpässe wegen | |
| Unterbrechungen globaler Lieferketten, es fehlt an Chassis. Aber die | |
| Nachfrage sei ungebrochen hoch, so der CIVD (Caravaning Industrie Verband). | |
| Und was hierzulande vor sich geht, das geschieht auch in anderen | |
| europäischen Ländern. | |
| Und neue Fragen tun sich auf: Wo wollen die alle bleiben, wenn sie auf Tour | |
| gehen? Alle ins Grüne? Alle auf die Campingplätze? | |
| Es gibt rund 5.000 speziell eingerichtete Stellplätze für Wohnmobile in | |
| Deutschland. Sie werden privat oder öffentlich betrieben, manche auch mit | |
| EU-Mitteln gefördert, wenn der Wohnmobiltourismus regional von Nutzen ist | |
| wie beispielsweise in Idar-Oberstein am Rande des Nationalparks Hunsrück. | |
| Einige touristische Routen, etwa die Deutsche Fachwerkstraße, setzen schon | |
| länger auf das mobile Klientel. Auch Thermalbäder haben zunehmend | |
| Stellplätze eingerichtet und bieten auf diese Weise neben preiswerten | |
| Übernachtungsmöglichkeiten auch ausreichend Platz für gesellige | |
| Wohnmobilisten, die gern von Kurbad zu Kurbad touren. Auf sehr vielen | |
| Stellplätzen ist es dennoch sehr voll geworden. | |
| ## Vorsicht beim Wildcampen | |
| Etwa Köln am Rhein. Als wir nach langer Fahrt nachmittags eintrudeln, ist | |
| alles belegt, die Womos stehen dicht an dicht. Ein Parkplatzambiente, das | |
| viele gewöhnungsbedürftig finden und über das sich Womoverächter gern | |
| amüsieren. Aber da ist auch die Nähe zum Fluss, man steht hier an den | |
| Rheinauen, ruhig und geschützt. Und zum Kölner Dom ist es nicht weit, es | |
| ist ein schöner Spaziergang auf der Rheinpromenade. Diese Kombination ist | |
| genial. Glücklicherweise ist der Platzwart freundlich. „Fahrt mal rechts | |
| ran, ich glaube, da will heute noch einer weg,“ sagt er. Und bald darauf | |
| ist der frei gewordene Platz samt Stromanschluss für Kühlschrank, für | |
| Handys und Tablets unser. Wir dürfen entspannen. Die Lehre dieses Platzes: | |
| Wir hätten vorreservieren sollen, denn deutsche Großstädte haben, was | |
| Stellplätze angeht, noch Nachholbedarf. | |
| Natürlich hätten wir andere Lösungen gefunden. Vielleicht hätten wir eine | |
| Nacht am Straßenrand verbracht, mitten im städtischen Leben und ohne Strom. | |
| Oder hätten einen Parkplatz gefunden, wo gelegentlich auch Durchreisende, | |
| Wanderarbeiter oder Wohnungslose in Pkws nächtigen. | |
| Aber rechtlich gesehen ist dies eine Grauzone. Auch in Deutschland ist, wie | |
| in fast allen europäischen Ländern, das Wildcampen verboten. Das | |
| Übernachten im Wohnmobil ist hierzulande generell dort erlaubt, wo es nicht | |
| ausdrücklich verboten ist, und zwar offiziell zur Wiederherstellung der | |
| Fahrtüchtigkeit. Dafür darf jeder ausgewiesene Parkplatz genutzt werden. | |
| Wie lange das dauern kann, ist nicht sicher, es können 8 oder 12 Stunden | |
| sein. Man muss allerdings darauf achten, kein campingähnliches Verhalten an | |
| den Tag zu legen, also keine Möbel rausstellen und den Grill anfeuern oder | |
| vielleicht noch Grauwasser ablassen oder das Klo im Kanal entleeren. Das | |
| wäre dann „Wildes Campen“ und könnte mit Bußgeld belegt werden. | |
| Vans unter 6 Metern Länge haben praktisch kein Problem, bei entsprechender | |
| Rücksichtnahme bleibt man so unauffällig wie andere Kleintransporter auch. | |
| Auf klugen Apps, etwa „park4night“, finden sich mehr und mehr Tipps von | |
| Nutzern samt ausführlichen Beschreibungen, Fotos und Kommentaren, um | |
| möglichst angenehm durch die Nacht zu kommen. | |
| ## Der Trend zum Vanlife | |
| Und das nicht nur in Städten, sondern vor allem außerhalb, wo sich | |
| vielleicht ein abgelegener Platz in freier Natur und schöner Umgebung | |
| findet, vielleicht ein Wanderparkplatz oder eine Standfläche an einem | |
| Gewässer. Über alles wird berichtet. | |
| In idyllische Natur zieht es viele, die Öko und Bio schätzen und sich vom | |
| Versprechen auf Individualität und authentische Naturerfahrung angelockt | |
| fühlen. Weil es immer mehr werden, kommt es auch zu Reibereien. Und die | |
| schränken die Freiheit auf vier Rädern tendenziell wieder ein: Immer | |
| häufiger tauchen Verbotsschilder auf, die Campen für Wohnmobilisten | |
| untersagen, und Nebensträßchen und privates Land werden durch Ketten | |
| versperrt. | |
| Vor rund 10 Jahren tauchte „[2][Vanlife]“ als Entschleunigungsidee in | |
| urbanen US-amerikanischen Milieus auf, die eine moderne Work-Life-Balance | |
| anpeilten. Vorreiter waren vor allem technik-, medien- und designaffine | |
| Freelancer, deren Arbeitsmittel der Laptop ist. Warum nicht den Van als | |
| Homeoffice nutzen, wenn sich der Brotberuf auch von unterwegs erledigen | |
| lässt, so die Überlegung. Auf diese neuen Camper warteten die schönsten | |
| Orte der Welt. Und wenn mal eine Videokonferenz anstand, dann konnte man | |
| als Hintergrund anstelle einer drögen Bücherwand einen Meerblick in echt | |
| präsentieren. | |
| An Wohnmobilisten haftet das Altersstigma. Euphemismen, etwa „Silverbirds“, | |
| kaschieren nur notdürftig das Image vom Wohnmobilismus als geriatrischer | |
| Freizeitbeschäftigung. Dazu kommt die starke Europaorienterung. Tatsächlich | |
| sind viele, vor allem ältere Wohnmobilisten, allein schon deshalb mit | |
| Europa glücklich, weil sie Länder, Strände und Landschaften, Welterbe und | |
| Kulturgüter ohne Passkontrollen und ohne wirkliche Bedrohungen, geschweige | |
| denn Krieg, bereisen und im Süden sogar überwintern können. | |
| ## Die Tippgeber | |
| Als hätte es nie Ressentiments gegenüber Campern gegeben, hat sich nun eine | |
| Enkelgeneration in Womos und Campervans vernarrt. Plötzlich ging alles ganz | |
| schnell. Büchertische wurden geflutet mit Titeln wie „Hit the Road“, „Off | |
| the Road“, „Bulli Challenge“, „Camper Hacks“, „The new Outsiders“, | |
| „Abenteuer Vanlife“, „Bulli! Freiheit auf vier Rädern“, „Van Girls: … | |
| Frauen und ihr ungebundenes Leben in Campervans“… Der Tenor: hier ist die | |
| Alternative! Kein Vanlife-Reiseblog kommt mehr ohne Selbstbauanleitung für | |
| den Innenausbau des Vans aus, auf Social Media machen Influencer mobil und | |
| fördern Vergemeinschaftungen. | |
| Die wichtigsten Tippgeber von heute sind aber immer noch die Platzhirsche | |
| von gestern. ADAC und Promobil etwa bilden zuverlässig die europäische | |
| Camping- und Stellplatz-Infrastruktur ab, aber nicht mehr nur auf Papier, | |
| sondern heute mit Hilfe von informativen Apps. Für die Platzsuche sind sie | |
| kaum zu ersetzen, denn Womos sind in der Regel auf Ver- und | |
| Entsorgungsstationen angewiesen, die ihnen die offiziellen Plätze bieten. | |
| Und auch auf Strom. Nicht jeder Van ist autark dank eigenem Solarpanel. | |
| Und immer noch gibt der Womoverlag grundsolide Tourguides in Buchform | |
| heraus, die Wohnmobilisten alle attraktiven Reiseregionen Europas | |
| erschließen. Ein zeitloses Reiseführermodell. | |
| Doch für das neue Vanlife-Lebensgefühl werden zunehmend die | |
| Onlineplattformen junger Start-ups attraktiv. Und neue Geschäftsmodelle, | |
| die auf dem Prinzip „von privat für privat“ bzw. „Airbnb für Camper“ | |
| beruhen. „Hinterland“ beispielsweise, ein schönes Ergebnis der | |
| Lockdown-Pause, hat die Idee kultiviert, wilde Naturcamper einzuhegen. Das | |
| Team wirbt mit „nah, nachhaltig und naturverbunden“ und vermittelt nach | |
| eigenen Angaben über 1.500 buchbare Plätze von der Nordsee bis ins Allgäu. | |
| Die Spezialität sind abgelegene Plätze auf privaten Anwesen, auf denen man | |
| jederzeit ungestört ist. Etwa am Rande einer Weihnachtsbaumplantage und in | |
| Gesellschaft von Schafen auf dem Vogelsberg, wo man auch noch selbst ein | |
| Lagerfeuer machen kann. Mit Strom und Sanitäreinrichtungen sollte man auf | |
| den Plätzen von „Hinterland“ nicht unbedingt rechnen. Und auch nicht damit, | |
| dass der gebuchte Platz in jedem Falle preisgünstig ist. | |
| Mindestens eine Handvoll Plattformen sind aktuell empfehlenswert und lassen | |
| sich bei einer Internetsuche unter einschlägigen Stichworten leicht | |
| ausfindig machen. Dabei darf man nicht vergessen, dass dieses Konzept | |
| schnelllebig ist. Einige Plattformen kooperieren mit jeweils einem der | |
| bekannten Reisemobilhersteller. | |
| In jedem Fall muss man sich für jeden Platz voranmelden. Spontaneität ist | |
| hier nicht angesagt. | |
| ## Hofladen inklusive | |
| Als wir auf „[3][Landvergnügen]“ aufmerksam wurden, hatten wir wieder Glü… | |
| direkt vor Ort. „Fahrt da mal hin, da steht ihr noch besser als bei uns … | |
| wir kommen gleich nach,“ sagten die Freunde, die wir besuchten. Etwas | |
| außerhalb von Witzenhausen/Nordhessen – eine reizvolle Landschaft und | |
| Kirschengegend – gibt es „Kindervatter“, den Kirschenhof, mit viel Platz | |
| für einige Wohnmobile etwas abseits im Grünen der gut gehenden Gastronomie | |
| und dem gut bestückten Hofladen. Es ist eine Adresse, die in der Region | |
| alle kennen. Die Tourismusbehörden haben Kirschenrouten für Wanderer und | |
| Radler kreiert, und dieser Hof, besser: dieses traditionsreiche | |
| Ausflugslokal liegt mittendrin. Wir erlebten einen langen, wundervollen | |
| Abend und eine erholsame Nacht. | |
| Höfe wie „Kindervatter“, aber vor allem landwirtschaftliche Betriebe mit | |
| Einkaufsmöglichkeit, Weingüter, Imkereien, Brauereien, Käsereien, | |
| Schäfereien, Bäckereien, Rosenzüchter, Klostergüter, Spargelhöfe und viele | |
| andere machen das breit angelegte Angebot von „Landvergnügen“ aus. Aktuell | |
| sind 1.300 ländliche Gastgeber mit dabei. Das Konzept sieht den Kauf eines | |
| Stellplatzführers samt Vignette (und Freischaltung der App) vor, es gilt | |
| jeweils für ein Jahr und berechtigt auf jedem der angesteuerten Höfe zu | |
| einer einmaligen kostenlosen Übernachtung. | |
| Es ist das älteste der alternativen Stellplatzkonzepte und ein Import aus | |
| dem campingfreundlichen Nachbarland Frankreich, wo es seit jetzt 30 Jahren | |
| als „[4][France Passion]“ immer größere Kreise zieht. Inzwischen haben si… | |
| die Anbieter aus 10 europäischen Ländern zum Verband FEFI zusammengefunden, | |
| über „Landvergnügen“ lassen sich auch die Stellplatzführer aus den | |
| Nachbarländern erwerben. Es ist sanfter Tourismus in seiner besten Form. | |
| Gerade in der Biolandwirtschaft generiert es Zusatzeinnahmen, ein Zubrot, | |
| das viele dringend benötigen. | |
| 21 Sep 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Coronazeit-ist-Campingzeit/!5690274 | |
| [2] /Comeback-das-Campings/!5690263 | |
| [3] https://landvergnuegen.com/ | |
| [4] http://www.france-passion.com/de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Christel Burghoff | |
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