# taz.de -- Comeback das Campings: Im Bulli um die Welt | |
> Camping ist beliebter denn je. Doch die, die heute mit ihrem Van durch | |
> die Welt fahren, unterscheiden sich stark von ihrer Elterngeneration. | |
Bild: Die Campingkultur lag lange zwischen Dosenravioli auf Usedom und Hippie-E… | |
Es ist nicht so sehr eine Handlung, sondern ein Gefühl, wenn man losfährt. | |
Wenn der Motor unseres alten Steyr, der 1970 als Militär-Lkw geboren wurde | |
und jetzt ein Wohnwagen ist, mühselig brummt und rattert. Menschen | |
schreiben oft, [1][loszufahren sei ein Gefühl von Freiheit], aber das ist | |
zu groß gesagt, für mich ist es eines von Befreiung. Freiheit ist das, | |
worüber man am Ende vielleicht lernt. | |
Der Mensch wurde als Nomade geboren, die meisten Leute haben das verdrängt. | |
Und wir können es uns ökonomisch nicht erlauben, uns daran zu erinnern. | |
Aber wer einmal über Monate reist, erinnert sich. „Wer sich nicht bewegt, | |
spürt seine Fesseln nicht“, wird als Sinnsprüchlein Rosa Luxemburg | |
zugeschrieben, wahrscheinlich hat sie es nie gesagt. | |
Wer sich bewegt, sich mit Neuem konfrontiert, auf Reisen herausgefordert | |
genießt, beginnt wieder zu leben, statt einen lebenslangen Halbschlaf mit | |
Arbeit als Fokus zu führen. Diese Befreiung kann man auch auf tausend | |
andere Arten erleben als im Camper. Wir erleben sie so. | |
## Auch unterwegs lässt sich Geld verdienen | |
Camping ist eigentlich ein zu kleines, zu blödes Wort dafür. Leben im | |
Wohnwagen fühlt sich richtig an. Wir haben nie einen Plan, wohin es gehen | |
soll, nur eine vage Richtung und ein Land. Wir bleiben, wo es uns gefällt | |
und solange es uns gefällt, die Zeit fließt. Viel Kohle ist keine Bedingung | |
für dieses Leben, und unterwegs Geld verdienen lässt sich auf fast jede | |
Art. Aber es braucht die sehr bürgerliche Überzeugung, dass wir schon nicht | |
so tief fallen, wenn wir fallen. Der Mut zum Risiko, den man sich leisten | |
können muss, macht Freiheit zu einer Klassenfrage. | |
Die Campingkultur, die lange Zeit irgendwo zwischen Dosenravioli auf Usedom | |
und Hippie-Erbe lag, hat in den letzten Jahren ein überwältigendes Comeback | |
unter jungen Leuten erlebt, einer bestimmten Klientel: wohlbehütet | |
aufgewachsen, irgendwie alternativ und ermüdet von Kapitalismus und Konsum, | |
Ende zwanzig, Anfang dreißig und oft in einer Position, sich den Rückzug | |
vom Produktivitätsdiktat leisten zu können. | |
Unter 10.000 Euro geht auch für ein gebrauchtes Expeditionsmobil nichts. | |
Andere bewegen sich mit Motorrad, Bulli, Fahrrad oder trampen um die Welt. | |
Mal spießig, mal ungeplant, viele in naiver Verklärung des Fremden und | |
selbstdarstellend, andere kritisch und aufgeweckt, halb ausgespuckt vom | |
System. Jede Generation hat ihre AussteigerInnen, und deren Motive sagen | |
viel über unsere Gesellschaft. | |
## Das Leben im Van als Lebensgefühl | |
Lena Wendt und Ulrich Stirnat, deren Reisefilm „Reiß aus“ 2019 ins Kino | |
kam, brachen nach Burnout-Erfahrung auf. Lena Wendt sagt in einem Gespräch | |
zum Film: „Vor der Reise habe ich das gemacht, was man halt macht, war | |
produktiv, funktionierte, passte ins System. Ich glaube, das geht vielen | |
so. Wir tun etwas, was uns gar nicht entspricht, weil wir verlernt haben, | |
auf unsere Gefühle zu hören.“ | |
Die Schauspielerin Maria Ehrich, die den Film „Leaving the Frame“ über ihre | |
Weltreise drehte, sagt in einem Interview: „Ich glaube, dass es weniger | |
ein Trend ist als vielmehr das Bedürfnis der Menschen, sich | |
weiterentwickeln zu wollen. Wir stecken von klein auf in Hamsterrädern und | |
kommen meist nicht aus ihnen heraus, bis wir alt und grau sind. Das liegt | |
aber nicht in unserer menschlichen Natur. Wir entwickeln uns ständig | |
weiter, und wenn wir das nicht können, dann brechen wir irgendwann aus.“ | |
Wohnmobile als Therapie für Wohlstandskinder? | |
## Langsames Reisen wird immer beliebter | |
So einfach ist es nicht. Viele aus der vielleicht neuen | |
Vagabunden-Generation sind interessanterweise einerseits angepasst, | |
konform. Sie verstehen es, ihr (meist zeitweises, gelegentlich permanentes) | |
van life mit professionellen Reisefilmen zu vermarkten, sich auf Social | |
Media zu verkaufen, so richtig ausgestiegen sind sie nicht. Erstmals | |
existiert eine Gleichzeitigkeit des Aussteigens und Drinbleibens. In der | |
Sehnsucht nach dem vermeintlich einfachen Leben in der Natur und der naiven | |
Romantisierung ärmlichen Dorflebens treffen sich unangenehme Züge von | |
bauchnabelschauendem Hippietum mit moralisierend-spießigem Konservatismus. | |
Aber andererseits ist da viel mehr. Eine durchaus europäische Generation | |
mobiler MittelschichtlerInnen, die neugierig ist. Die mit Begegnungen | |
Grenzen durchbricht, sich nicht mehr erzählen lässt, dass wir mit denen da | |
nichts zu tun hätten. Wer [2][backpackt und trampt], ist immer von anderen | |
abhängig. Mit dem Steyr aber können wir überallhin. Unser Steyr schafft | |
höchstens 75 Stundenkilometer, Autobahnen sind für uns nutz- und sinnlos. | |
Über „Die Entdeckung der Langsamkeit“ schrieb Sten Nadolny, sein | |
semi-fiktiver Protagonist ist John Franklin, natürlich ein Entdecker. | |
Abenteuer erlebt man selten bei Tempo 200. Man erlebt sie, wenn man nicht | |
danach sucht. Mein Freund sitzt dann hinter dem Steuer, ich schaue auf die | |
Landkarten, und wir beide sind glücklich in der Gegenwart. Bewegung macht | |
innerlich ruhig. | |
18 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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