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# taz.de -- Markus Tressel über Tourismuspolitik: Systemrelevante Branche
> Die Reisebranche braucht dringend Soforthilfe. Die Bundesregierung
> versteht nicht, wie viel gerade in den Regionen auf dem Spiel steht.
Bild: Ganz entspannt im Starnberger See abhängen
taz: Herr Tressel, wie erklären Sie dem Steuerzahler, dass die
Tourismusbranche mit vielen Milliarden Euro aus Hilfs- und
Absicherungsfonds unterstützt wird?
Markus Tressel: Die Tourismusbranche ist mit über drei Millionen
Beschäftigten systemrelevant. Das sind vor allem Menschen, die in
Reisebüros, bei Veranstaltern, in unseren touristischen Destinationen
arbeiten, in der Hotellerie und Gastronomie. Wenn der Tourismusbranche
nicht geholfen wird, werden wir viele Arbeitsplätze, aber auch viele
Strukturen in den Regionen verlieren.
Dem Reisekonzern TUI und der Lufthansa wurde großzügige finanzielle
staatliche Unterstützung gewährt.
Da besteht aus meiner Sicht ein krasses Missverhältnis zu den kleineren
touristischen Betrieben: Die Bundesregierung hat der TUI schnell geholfen,
mit einem Kredit von über 1,8 Milliarden Euro. Bei der Lufthansa sind es 9
Milliarden. Aber viele Kleine gehen leer aus. Doch es sind die kleinen
Unternehmen – Reisebüros, Hotels, Gaststätten etc. –, die in den Kommunen
vor Ort Steuern zahlen und Gewinne erwirtschaften. Deshalb muss den Kleinen
genauso geholfen werden wie den Großen.
Mit dem Rettungspaket der Großen Koalition bekommen die kleinen und
mittelständischen Unternehmen mit ihren drei Millionen Beschäftigten nun
statt millionenschwerer Kredite Mehrwertsteuersenkung sowie
Überbrückungshilfen. Warum sind Sie damit nicht zufrieden?
Dieses Paket ist maximal ein bisschen Hilfe für die Tourismuswirtschaft.
Einige der Festlegungen kommen ganz sicher auch der Reisebranche zugute,
wie etwa die Absenkung der Mehrwertsteuer. Ob allerdings das Programm für
Überbrückungshilfen von Juni bis August den Besonderheiten der Touristik
gerecht wird und Strukturen tatsächlich erhalten kann, wird auch von der
konkreten Ausgestaltung abhängen. Man darf aber Zweifel haben, dass dieses
Konjunkturpaket einem Rettungsfonds für die Tourismuswirtschaft
gleichkommt.
Das war der Vorschlag Ihrer Partei, der Grünen?
Ja, um zu verhindern, dass viele kleine Betriebe auf der Strecke bleiben,
muss ganz schnell ein Rettungsfonds aufgesetzt werden, um die Liquidität
der Branche zu sichern: ein Rettungsfonds für die touristische
Infrastruktur in Deutschland. Damit müssen wir die Betriebe über die
schwierigen Monate bringen. Dazu gehören auch Betriebe wie die
Jugendherbergen, die jetzt in einer existenziellen Notlage sind.
Jugendherbergen sind komplett aus der Unterstützung herausgefallen, weil
sie keine wirtschaftlichen Unternehmen sind, auch die Schullandheime sind
komplett herausgefallen. Und natürlich müssen wir den Reisebüros helfen.
Sie waren ein Gegner der Gutscheinlösung, die besagt, dass bereits gebuchte
Reisen vom Veranstalter an den Kunden nicht zurückgezahlt, sondern mit
einem Gutschein später eingelöst werden können.
Ich war ein Gegner des Zwangsgutscheins, weil ich glaube, er wäre ein
Schuss ins Knie der Branche gewesen. Man kann seine Kunden aus meiner Sicht
nicht verpflichten, einer ganzen Branche einen zinslosen Kredit zu geben.
Dann noch mit einer Laufzeit von de facto zwei Jahren. In einer
außerordentlichen Notsituation wie jetzt ist es Aufgabe des Staates, die
Strukturen zu sichern, mit einem Darlehen für die notwendige Liquidität zu
sorgen. Das kann doch nicht die Aufgabe des arglosen Verbrauchers sein, der
jetzt sein Geld womöglich auch gerade sehr dringend braucht.
Wird es eine Insolvenzwelle geben?
Es gibt keine belastbaren Zahlen zu Insolvenzen, aber ich weiß, dass es
schon einige kleinere und mittlere Veranstalter getroffen hat, die keine
Reserven hatten und auf absehbare Zeit keine Einkünfte haben werden. Ich
vermute, dass, wenn es keine wirklich wirksame Hilfe gibt, wir eine
regelrechte Insolvenzwelle erleben werden. Auch überwiegend gesunde
Unternehmen werden vom Markt verschwinden, die regionale Strukturen
mitnehmen werden, die wir nicht so schnell wieder aufbauen können.
Wird Tourismus vonseiten der Bundesregierung nicht wertgeschätzt?
Sie versteht einfach nicht, dass hier ganze Strukturen wegbrechen werden,
wenn nicht in absehbarer Zeit etwas passiert. Die Branche braucht sofort
Hilfe, sonst wird es auch in unseren Destinationen vor Ort zu einem
ungeahnten Sterben von Unternehmen kommen. Diese Unternehmen bringen eine
enorme regionale Wertschöpfung. Die Bundesregierung steht völlig hilflos
vor dieser Situation, während die Automobilindustrie schon den zweiten
Gipfel während dieser Krise bekommen hat. Die Reisebranche hingegen bekommt
nicht einmal einen Termin bei der Kanzlerin. Das ist hammerhart!
Lobbyismus machen also nur die Großen in der Tourismusindustrie?
Die Lobbyarbeit bestimmen aus meiner Sicht hauptsächlich diejenigen, die
für die großen, kapitalkräftigen Konzerne sprechen. Die Reisebranche ist ja
insgesamt sehr heterogen. In der Automobilbranche ist das ein Stück
einfacher, da gibt es den VDA (Verband der Automobilindustrie) und die
Präsidentin des VDA nimmt für sich in Anspruch, für die ganze Branche zu
sprechen. In der Reisebranche ist das anders. Es gibt die großen
Outgoing-Unternehmen wie die TUI oder FTI, und die haben oft ganz andere
Notwendigkeiten als ein kleiner Reiseveranstalter, der spezialisiert ist
auf Wander- oder Fahrradreisen. Ich glaube, da muss man mehr das Gemeinsame
herausstellen.
Wie soll das gehen?
Man muss ein gemeinsames Dach suchen und gemeinsame Interessen
herausarbeiten. Niemand sieht, wie wichtig die Reisebranche für dieses Land
ist.
Tourismus als politisches Randthema?
Ja. Das liegt in Deutschland zum einen an der zerklüfteten
Verbandsstruktur, das andere Problem ist mitunter der Föderalismus.
Tourismus ist Ländersache und den vertritt immer ein Landesminister
irgendwie mit. So ein großes Reiseland wie Deutschland hat nur einen
Tourismusbeauftragten, der noch drei andere Themen bearbeitet. Man bräuchte
mindestens einen Staatsminister für Tourismus, der ernsthaft
Tourismuspolitik machen kann. Frankreich investiert jetzt 18 Milliarden
Euro in den Wiederaufbau der Tourismuswirtschaft. Der französische
Premierminister stellt sich hin und sagt, Tourismus hat für uns nationale
Priorität. Welche Diskrepanz zu Deutschland!
Wie sehen Sie die Zukunft des Tourismus?
In den nächsten eineinhalb Jahren werden vielleicht eher Ferienwohnungen
gebucht werden, Wohnmobile und das eigene Auto haben möglicherweise
Konjunktur. Man verreist im eigenen Land oder in den umliegenden Ländern.
Es wird in diesem Sommer eine Renaissance heimischer Destinationen geben.
Deshalb müssen wir versuchen, die Touristen gut über das Land zu verteilen.
Dazu brauchen wir überregional eine bessere Zusammenarbeit und gezieltes
Marketing. Mit „[1][entdeckedeutschland.de]“ haben die
Destinationsmarketing-Organisationen gut vorgelegt.
Wo verbringen Sie den Sommerurlaub?
Ich bin traditioneller Wohnmobilfahrer. Das ist für mich die perfekte Art,
mit Familie und Kindern zu verreisen. Es ist auch gut, um Distanz zu
wahren. Wir wollten eigentlich nach Frankreich in die Dordogne. Ich
fürchte, das wird so nicht funktionieren, deshalb haben wir uns jetzt die
Rhön als Reiseziel ausgeguckt.
19 Jun 2020
## LINKS
[1] http://entdeckedeutschland.xn--de-x2t
## AUTOREN
Edith Kresta
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