# taz.de -- Eingeschränkte Reisemöglichkeiten: Ostsee statt Karibik | |
> Noch hat die Corona-Pandemie die Tourismuswirtschaft im Griff. Vor allem | |
> vor den Fernreisezielen wird weiterhin gewarnt. | |
Bild: Am Strand von Graal Müritz, Mecklenburg Vorpommern | |
Reisen und Corona sind untrennbar miteinander verwoben. Diese schlichte | |
Wahrheit ist unerträglich für die Menschen, die vom Tourismus leben müssen, | |
und belastet auch die, die sich nach Lockdown und Homeschooling einfach | |
einen schönen Urlaub wünschen. Kaum ein Sektor leidet unter der Pandemie so | |
stark wie der internationale Tourismus – 100 Millionen Arbeitsplätze | |
könnten weltweit 2020 verloren gehen. | |
Gleichzeit trägt das Reisen zweifellos zur Verbreitung des Virus bei. | |
Mittlerweile wird in Europa wieder fast alles hochgefahren – doch die | |
Ambivalenz bleibt: Volle Ferienflieger nach Mallorca lösen bei den einen | |
Urlaubslust und bei den anderen Gesundheitssorgen aus. | |
Die Gefahr, sich als Reisender in Entwicklungsländern mit Corona zu | |
infizieren, hängt vom jeweiligen Infektionsgeschehen ab und ist nicht | |
grundsätzlich größer als in anderen Ländern. Gleichzeitig ist die | |
Verletzlichkeit der Länder und seiner Bevölkerungen gegenüber dem Virus | |
aber deutlich höher, weil die medizinische Basisversorgung schwach ist und | |
Testkapazitäten sowie Intensivbetten kaum existieren. Reisende mit | |
unbekanntem Infektionsstatus bergen die Gefahr, das Virus ins Land zu | |
bringen. | |
Wäre die Lösung deshalb, einfach im Hotel unter sich zu bleiben und | |
möglichst wenige Kontakte zu haben? Die Mainstream-Reisewirtschaft mit | |
ihren All-inclusive-Hotelanlagen liebäugelt mit diesem Modell. | |
Kreuzfahrtkonzepte ohne Landgänge, wie sie jetzt die Reedereien planen, | |
werden zur deprimierenden Realität. Generell verschärft sich damit ein | |
unguter Trend, bei dem sich ein abgeschotteter Resort-Tourismus weiter | |
durchsetzt: Alle Ausgaben bleiben beim Hotel oder Reiseveranstalter; die | |
RestaurantbesitzerInnen, Taxifahrer- und MarktstandbetreiberInnen in den | |
Urlaubsorten gehen leer aus. | |
Die Menschen, die in Entwicklungsländern im Tourismus arbeiten – vom | |
Reiseführer über das Reinigungs- und Restaurantpersonal bis zum Hotelier, | |
ganz besonders aber diejenigen im informellen Sektor, wie etwa | |
Strandverkäufer- oder StraßenhändlerInnen, werden besonders lange und | |
extrem hart von der Krise betroffen sein. | |
Es zeigt sich auf der anderen Seite, dass die Widerstandsfähigkeit gerade | |
in Entwicklungsländern zum Teil höher ist als hierzulande. Die | |
[1][Tourismuswirtschaft im Iran] etwa erlebt mit Corona nicht die erste | |
Krise, sondern war schon vorher geübt darin, Wirtschaftssanktionen, | |
Klimawandel und Erdbeben als Teil ihrer Realität mit einzuplanen. | |
## Überleben in der Krise | |
Dort, wo der Tourismus eine Einkommensquelle neben anderen ist, sind die | |
Familien besser gewappnet: Ernteausfälle durch Dürren oder Überschwemmungen | |
können durch touristische Einnahmen ausgeglichen werden; der Verkauf | |
landwirtschaftlicher Produkte rettet das (wirtschaftliche) Überleben in den | |
aktuellen Zeiten, wo der Tourismus einbricht, wie gemeindebasierte | |
[2][Tourismusinitiativen z.B. aus Indien] zeigen. | |
Gemessen daran scheinen der Tourismusstandort Deutschland und die | |
Tourismuswirtschaft die letzten zehn Boomjahre nicht genutzt zu haben für | |
die Entwicklung nachhaltiger und krisenfester Geschäftsmodelle. So muss der | |
Steuerzahler für Milliardenkredite bei TUI und Lufthansa geradestehen, | |
denen es nach der Ausschüttung hoher Dividenden an Rücklagen fehlt. | |
Dramatisch ist, dass den großen Playern mit den milliardenschweren | |
Konjunkturprogrammen der Druck genommen wird, wirklich umzusteuern und | |
krisenresiliente Geschäftsmodelle zu entwickeln. Gleichzeitig kämpfen | |
Nachhaltigkeitspioniere und die kleinen Fernreisespezialisten, | |
wirtschaftlich um ihr Überleben und sehen wegen der globalen Reisewarnungen | |
weiterhin kein Licht am Ende des Tunnels. Im Tourismus können die | |
[3][Konjunkturprogramme] deshalb ihr Potential zur Gestaltung der längst | |
überfälligen Veränderungen nicht entfalten. | |
So schwer es fällt: Solange internationale Reisende eine potenzielle | |
Gesundheitsgefahr für die lokale Bevölkerung darstellen und der Tourismus | |
wenn überhaupt nur hinter hohen Hotelmauern stattfindet, ist es sinnvoller, | |
weiter von Fernreisen zu träumen und sie lieber zu einem späteren Zeitpunkt | |
umzusetzen. In der Zwischenzeit können [4][virtuelle Reisen] eine | |
Möglichkeit sein, sowohl vor Ort Tourguides finanziell zu unterstützen, als | |
auch Informationen über das Reiseland aus erster Hand zu erfahren. | |
Restaurantbesuche in Wohnortnähe können einen kulinarischen Vorgeschmack | |
auf die erst mal verschobene Reise bieten, und einen digitalen Sprachkurs | |
kann man auch diesen Sommer in den Alpen beginnen, um 2021 die Gastgeber in | |
Uganda, Kambodscha oder Guatemala mit ein paar Brocken Swahili, Khmer oder | |
Cakchiquel zu überraschen. | |
Wer dieses Jahr eine Reise in ein Land des Globalen Südens geplant hat, | |
sollte den Reisewunsch nicht ad acta legen, sondern das Reisebudget später | |
nutzen, die Reise besser vorbereiten und wenn möglich verlängert nachholen. | |
Vielleicht bietet die Krise 2020 so die Chance, die dringend notwendige | |
Transformation des Reisens endlich praktisch zu erproben: weniger häufig | |
reisen, dafür länger vor Ort bleiben und durch gute Vorbereitung noch | |
intensivere Erfahrungen und Eindrücke sammeln. | |
3 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tourism-watch.de/de/schwerpunkt/krisen-gemeinsam-bewaeltigen | |
[2] https://www.tourism-watch.de/de/schwerpunkt/tourismus-als-sichere-lebensgru… | |
[3] https://www.tourism-watch.de/de/schwerpunkt/den-neustart-gestalten | |
[4] https://www.tourism-watch.de/de/schwerpunkt/virtuell-reisen | |
## AUTOREN | |
Antje Monshausen | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Tourismus | |
Krise | |
Reiseland Iran | |
Pazifik | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Engelbert Lütke Daldrup | |
Sehnsucht Sommer | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Nachhaltiger Tourismus im Iran: Ein Dorf erschafft sich neu | |
Ein Erdbeben zerstörte das Dorf Esfahk. Die Bewohner:innen entschieden sich | |
für den Neuaufbau mit einem nachhaltigen Ansatz. | |
Schiffbrüchige in Mikronesien: Hilferuf à la Tom Hanks | |
Drei Männer stranden auf einer mikronesischen Trauminsel – und machen ganz | |
traditionell auf sich aufmerksam. Mit Erfolg. | |
Berliner Mallorca-Rückkehrer: Bewegungsmelder am Hotelbuffet | |
In den Sommerferien nimmt der Mallorca-Tourismus an Fahrt auf. Aber sind | |
die Ballermann-Heimkehrer eine Gefahr für Berlin? | |
Einbruch bei Kreuzfahrten in Norwegen: Corona tut Fjorden gut | |
Seit März laufen Kreuzfahrtschiffe nicht mehr norwegische Häfen an. Die | |
Wirtschaft klagt über hohe Einnahmeausfälle – aber die Umwelt atmet auf. | |
Flugverkehr und Tourismus in Berlin: Berufsoptimisten unter sich | |
Die Zahl der Fluggäste steigt zu Urlaubsbeginn deutlich auf 20.000 pro Tag. | |
Das macht auch der Tourismusbranche Hoffnung. Aber ist sie berechtigt? | |
Markus Tressel über Tourismuspolitik: Systemrelevante Branche | |
Die Reisebranche braucht dringend Soforthilfe. Die Bundesregierung versteht | |
nicht, wie viel gerade in den Regionen auf dem Spiel steht. |