# taz.de -- Begpacking – ohne eigenes Geld reisen: Tourismus als Betteltour | |
> Der Begpacker ist der schmarotzende Bruder des Backpackers. Als | |
> Schnäppchenjäger jettet er um den Globus – und hält uns allen den Spiegel | |
> vor. | |
Bild: Nice Bag! | |
„Wir wollen euch auf ein großes Abenteuer mitnehmen. Ein Fest des Lebens, | |
wenn wir frei über Berge, am Meer entlang und durch Metropolen fahren. Wir | |
werden die Schönheit dieses Planeten und seiner Bewohner zeigen, aber auch | |
die Hässlichkeit“, schreiben Cat und Elena auf Instagram. Sie wollen ihre | |
Follower mitnehmen nach Afrika. 10.000 Euro benötigen sie für „das Fahrrad | |
und Ausrüstung, Verpflegung und Unterkunft (falls erforderlich), Internet | |
und SIM-Karten in jedem Land, um euch auf dem Laufenden zu halten, | |
Versicherung, Notfälle“. Die Reaktionen sind nicht wie erhofft: Empörung | |
schlägt den beiden im Internet entgegen. Sie werden als egoistische | |
Schmarotzer beschimpft. | |
Dabei hatten es Cat und Elena doch so gut gemeint, jedenfalls ist dies ihre | |
eigene Sicht. Sie wollten nicht den normalen Deal eingehen und für | |
Tourismusveranstalter posieren oder Outdoor-Kleidung anpreisen: „Wir | |
könnten modeln und schnell Geld verdienen, aber wir wollen nicht für Konsum | |
werben“, schreiben sie. Daher setzen sie nun aufs Crowdfunding: Sie wollen | |
über die Welt so ungehindert erzählen wie eine öffentlich-rechtliche | |
Institution, die finanziell unabhängig ist. Spendet uns frei! Aber nun | |
werden sie als Begpacker beschimpft. | |
Begpacker – von to beg, betteln – sind die neuste Stilblüte im | |
touristischen Kosmos. In sozialen Medien kursieren Fotos von Reisenden, die | |
in vorwiegend südostasiatischen Ländern um Geld für ihre Weltreise betteln. | |
Sie sind jung, kommen aus westlichen Ländern. Sie machen Musik oder | |
verkaufen Postkarten und Reisebilder; manchmal bieten sie gegen eine | |
freiwillige Spende Umarmungen an oder sie sitzen in Phuket, Kuta oder | |
Saigon einfach nur mit einem Schild auf der Straße: „Helft uns, um die Welt | |
zu reisen“ oder „Ich reise ohne Geld um die Welt. Bitte unterstützt meinen | |
Trip“. | |
In Thailand werden Reisende bereits seit mehreren Jahren bei der Einreise | |
gefragt, ob sie über genügend finanzielle Mittel für ihren Trip verfügen – | |
ein Vorgehen, das in reichen Ländern wie den USA, Neuseeland und auch in | |
Europa längst normal ist. Bali sieht sich nun offenbar ebenfalls gezwungen, | |
Maßnahmen gegen „Begpacker“ zu ergreifen und bettelnde Touristen an ihre | |
jeweils zuständige Botschaft zu übergeben. | |
Dabei ist das Phänomen nicht neu. Schon die Indienfahrer, rucksackreisende | |
Hippies strandeten manchmal mittellos und bekifft zwischen der Türkei und | |
Afghanistan oder feilschten auf dem Markt in Lima ausdauernd um ein Stück | |
Butter, um den Reiseetat nicht übermäßig zu belasten. | |
## Überlebenstourismus für die globale Mittelschicht | |
Ohne Geld, einen Rucksack geschultert und den Boxermischling Feldmann an | |
seiner Seite, machte sich der Autor Michael Holzach 1980 auf die Reise | |
durch Westdeutschland. Andreas Altmann wanderte ohne Geld 33 Tage von Paris | |
nach Berlin. Von Pump zu Pump, von Weiler zu Weiler, von dem „Secours | |
catholique“ zur Bahnhofsmission. Holzach und Altmann machten daraus viel | |
gelesene Reisebücher. | |
Die heutigen Begpacker haben wahrscheinlich ähnliche Träume; sie wollen die | |
Welt von unten sehen, wollen aussteigen, Neues erleben und ihren Wünschen | |
folgen. Vor allem aber wollen sie endlos reisen, ohne oder mit ganz wenig | |
Geld. | |
Reisen ist heute für die globale Mittelschicht, zu denen die Begpacker | |
gehören, kein Luxus mehr. Wer exzessiv reist, gilt als weltoffen, wer sich | |
überall auf der Welt zu Hause wähnt, wird als Kosmopolit betrachtet. Und | |
wer als besonders originell gelten will, surft heute im Pazifik und speist | |
morgen in einem pittoresken Lokal in Umbrien oder einer Wellblechbude in | |
São Paulo. Oder er bettelt in Pattaya, weil er auch die Zumutungen des | |
Armseins ausloten will. Überlebenstourismus, auch ein Kick. | |
„Das Phänomen Begpacking ist für den Tourismus eine Katastrophe“, sagt | |
Jürgen Schmude, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für | |
Tourismusforschung. „Tourismus ist für viele Länder ein wichtiger | |
Wirtschaftszweig – das funktioniert aber nur, wenn Touristen Geld in das | |
Reiseland bringen, und nicht, wenn sie es von der einheimischen Bevölkerung | |
erbetteln.“ In den Gastgeberländern könne Begpacking als neue Form der | |
Ausbeutung aufgefasst werden. In ein armes Land zu reisen und dann auch | |
noch von den Einheimischen Geld zu erbetteln sei pervers und respektlos | |
gegenüber den Gastgebern. „Ich fasse Begpacking als Maximierung von | |
Egoismus und Individualismus auf.“ | |
Der Begpacker ist eine Karikatur des Touristen, ein vollends irr gewordener | |
Schnäppchenjäger, ein unsympathischer Schmarotzer – der aber uns alle | |
spiegelt. Immer mehr, immer billiger: Rücksichtslos gegenüber anderen und | |
der Natur surfen wir um den Globus. Die Welt erscheint wie ein Dorf, das | |
nur auf uns wartet. Schon lange übersteigen die touristischen Zuwachsraten | |
alle wohlmeinenden Versuche und Projekte, den internationalen Tourismus | |
umwelt- und sozialverträglicher zu gestalten. | |
Vor den Fridays-for-Future-Demonstrationen und der Erfindung des Wortes | |
„Flugscham“ schienen sich nicht viele für die Verwüstungen zu | |
interessieren, die der Tourismus hinterlässt. Was scheren uns | |
Dumpingangebote, die auf dem Rücken der Beschäftigten erzeugt werden, oder | |
Billigflieger, die an Löhnen und Personal sparen und die Luft verpesten, | |
oder die Kreuzfahrtschiffe, die das Meer verschmutzen und die angefahrenen | |
Orte überfordern? Wir wollen Spaß, Abwechslung, Vielfalt. Es ist müßig, den | |
Begpacker moralisch zu verurteilen. Er reiht sich nahtlos ein in die | |
bewusstlose, ganz normale Wohlstandsverwahrlosung und Anspruchshaltung. | |
Und überhaupt: In Zeiten von Crowdfunding für Zeitungen, für Ideen, für den | |
deutschen Wald kann das Betteln zur Erweiterung des eigenen Ichs durchaus | |
als Alternative erscheinen. Hauptsache, man ist so naiv, ichbezogen und | |
schlicht, um von der eigenen Mission völlig überzeugt zu sein. | |
15 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Edith Kresta | |
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