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# taz.de -- Sabbatical für Superreiche: Teure Reise in die Armut
> Eine Londoner Reise-Agentur bietet Millionären Auszeiten in ärmlichster
> Umgebung an. Die Nachfrage ist groß. Eine Geschäftsidee mit Potenzial?
Bild: Noch Platz für Millionäre auf Selbstfindungstrip? Lagerfeuerrunde in Ta…
Es gibt eine Sehnsucht, die offenbar alle ganz unabhängig vom Einkommen
teilen. Es ist die Sehnsucht nach einer Auszeit, einem Sabbatical. Es ist
die Sehnsucht, dem Alltag zu entkommen, so weit wie nur möglich. Und für
die Superreichen dieser Erde liegt eben die Armut in nahezu unerreichbarer
Ferne. Logisch eigentlich, dass eine Lononder Reise-Agentur mit dem Namen
„Original Travel“ auf die Idee gekommen ist, ihrer betuchten Kundschaft
exklusive Ausflüge ins Reich der Trostlosigkeit anzubieten.
Tom Barber, ein Mitbegründer der Reise-Agentur, [1][erzählte dem britischen
Guardian], die Nachfrage nach diesen Angeboten sei groß, „ein riesiger
Trend“. Er spricht von einem exponentiellen Wachstum. Natürlich ist so eine
Reise in die Armut nicht ganz billig. Mitunter, erzählt Barber, gibt die
Kundschaft dafür auch eine Million Pfund aus.
Oft würden die Großverdiener ihre Sabbatical-Abenteuer mit der kompletten
Familie antreten. Zum einen, weil sie ansonsten ja nur selten Zeit für sie
hätten. Zum anderen wollten sie ihren Kindern zeigen, wie gewöhnliche
Menschen leben, und wie groß und bedeutend die Kraft des Geldes ist. Dies
soll dank der Veranstalter in möglichst gesichertem Rahmen geschehen. Bei
der einheimischen Bevölkerung in Botswana etwa lernen die Millionäre und
Milliardäre in geschützten Verhältnissen, wie man sein eigenes Essen jagt
und kocht.
Lehrer können für die Kinder gleich mitgebucht werden, damit sie den
Anschluss in der Schule nicht verlieren. Und die Reiseagentur erstellt für
ihre Klientel während der Reisezeit eine persönliche Webseite, damit auch
die Verwandten und Freunde anschaulich informiert werden.
## Prahlen mit Armut
Denn Barber weiß, dass der Hang zur Prahlerei bei einem Teil der
Buchungswilligen nicht gering ist. Einige wollten dank ihres Geldes Türen
öffnen, die für andere verschlossen blieben, und ihren Freunden von ihren
Erlebnissen erzählen.
Auch in Deutschland kennt man die Sehnsucht nach Armut. Der TV-Privatsender
RTL2 hat vor nicht allzu langer Zeit die Doku „Promis auf Hartz IV“
gedreht. [2][Das Fürstenpaar von Sayn-Wittgenstein] etwa wollte unbedingt
einmal eine Auszeit von ihrem erdrückenden Luxus nehmen.
Möglicherweise könnte das funktionierende Geschäftsmodell der Londoner
Reise-Agentur auch ein Baustein moderner Sozialpolitik sein. Großverdiener,
die immer wieder über die Belastung von Spitzensteuersätzen klagen, sind
offenbar zu großzügigen Ausgaben bereit, wenn ihnen das als Entlastung von
ihrem eintönigen Alltag verkauft wird. Staatliche Stellen hätten auch einen
viel besseren Überblick über attraktive Reiseziele in besonders prekäre
Notlagen und könnten als Vermittler das Geld für die Sozialkassen selbst
einziehen.
Die Gefahr, dass notleidende Menschen die große Nachfrage dazu nutzen,
kostenlose Austauschprogramme anzubieten, muss niemand fürchten. Denn eines
kann als sicher gelten: Geschenkt wollen die Reichen die Armut in keinem
Fall. Sie soll schon teuer erkauft werden.
8 Jan 2019
## LINKS
[1] https://www.theguardian.com/news/2019/jan/06/super-rich-sabbatical-the-boom…
[2] https://www.rtl2.de/videos/19530-interviews/55208-ich-stamme-aus-extrem-aer…
## AUTOREN
Johannes Kopp
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