# taz.de -- Kommentar Diskriminierung: Dreifache Angriffsfläche | |
> Die Aufregung um die Rolex von Sawsan Chebli zeigt, wie sehr Rassismus, | |
> Sexismus und Klassismus in dieser Gesellschaft zusammenwirken. | |
Bild: Chebli ist Bildungsaufsteigerin, Frau und Muslima – das zieht viele Hat… | |
Egal ob sich die Berliner [1][Staatssekretärin Sawsan Chebli zu | |
Alltagssexismus] äußert oder zur Vereinbarkeit von Scharia und Grundgesetz | |
– es scheint Teil einer festen Dramaturgie zu sein, dass sie stets mit | |
rassistischen und sexistischen Kommentaren überschüttet wird, unabhängig | |
vom Sachverhalt. Aktuell geht es um ein in sozialen Medien viral gegangenes | |
Foto aus dem Jahr 2014, auf dem sie eine Rolex trägt. | |
Dieses Foto wurde zum Anlass, über Reichtum, Symbolik und linke | |
Glaubwürdigkeit zu streiten. In der Konsequenz hieß das, überspitzt | |
formuliert: Es wurde diskutiert, ob Chebli schuld an der Misere der | |
Sozialdemokraten sei. Im Zuge dieser Debatte erntete sie so viele | |
Hasskommentare, dass sie schließlich entschied, ihr Facebookprofil zu | |
deaktivieren. | |
Immerhin waren sich selbst FDP-Chef Christian Lindner, Fraktionschef der | |
Linken, Dietmar Bartsch, und SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil einig, | |
[2][dass es Privatsache ist, was jemand mit seinem Geld anstellt]. Doch die | |
Angriffe auf Chebli als einfache Neiddebatte abzutun greift zu kurz. Denn | |
die wiederkehrenden Kontroversen um ihre Person erzählen viel über | |
Wirkungsmechanismen und Ungleichheiten unserer Gesellschaft. | |
Vordergründig wird das Tragen einer Luxusuhr verhandelt, doch im Kern geht | |
es um das, was Chebli in einer Person verkörpert. Sie bietet dreifach | |
Angriffsfläche: Bildungsaufsteigerin, Frau und Muslima. Nur wer Klassismus, | |
also die Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft, Sexismus und | |
antimuslimischen Rassismus zusammendenkt, kann erklären, warum sie immer | |
wieder einer solchen Hetze ausgesetzt ist. | |
## Weidel muss sich nicht rechtfertigen | |
An erfolgreiche Frauen werden gern andere Maßstäbe als an Männer angesetzt. | |
Ebenso folgt es einer sexistischen Tradition, Frauen vorzuschreiben, was | |
sie tragen sollten – egal ob es nun eine Rolex ist, ein tiefer Ausschnitt | |
oder ein Kopftuch. Chebli, selbst gläubige Muslimin, hat sich entschieden, | |
keines zu tragen. Doch für alle jene, die eine vermeintliche Islamisierung | |
heraufbeschwören, bleibt sie, ob mit oder ohne Kopftuch, ein willkommenes | |
Angriffsziel. AfD-Chefin Alice Weidel trägt ebenfalls Rolex – aber dafür | |
rechtfertigen muss sie sich nicht. Chebli schon. | |
Doch neben Sexismus und Rassismus spielt auch ihre soziale Herkunft eine | |
Rolle. Sawsan Chebli, 1978 in Westberlin geboren, stammt aus einer | |
palästinensischen Familie, die in Deutschland Asyl suchte. Bis zu ihrem 15. | |
Lebensjahr war sie staatenlos und geduldet, wuchs in armen Verhältnissen | |
auf, was sie später aber nicht daran hinderte, zu studieren und in die | |
Politik zu gehen. | |
Zunächst als Grundsatzreferentin für interkulturelle Angelegenheiten in der | |
Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport, später als | |
stellvertretende [3][Sprecherin des Auswärtigen Amts]. Seit Ende 2016 ist | |
sie Bevollmächtigte des Landes Berlin beim Bund und Staatssekretärin für | |
Bürgerschaftliches Engagement und Internationales. | |
## Sozialer Aufstieg hängt vom Bildungsgrad ab | |
Egal, wie jemand inhaltlich zu Chebli steht: Sie hat sich von unten nach | |
oben durchgekämpft. Dafür verdient sie Anerkennung. Auf eine perfide Weise | |
wird ihr dennoch gerne vorgeworfen, nur so weit gekommen zu sein, weil sie | |
Frau mit Migrationshintergrund ist – ein Mechanismus, mit dem man wunderbar | |
verhindern kann, sich mit tatsächlichen Ursachen sozialer Ungerechtigkeit | |
auseinanderzusetzen. Cheblis Biografie ist eine Ausnahme der Regel, dass in | |
diesem Land sozialer Aufstieg immer noch stark vom Bildungsgrad der Eltern | |
abhängt. Kinder von Nichtakademikern studieren deutlich seltener als solche | |
mit Akademikereltern, diese Tatsache betrifft Menschen mit und ohne | |
Migrationshintergrund. | |
Der Soziologe Didier Eribon schreibt in „Rückkehr nach Reims“, dass die | |
schlechten Aufstiegschancen von Arbeiter*innen zu einer Art Selbstexklusion | |
führen: „Dass es anderswo anders zugeht, dass andere Leute (…) andere | |
Möglichkeiten haben, weiß man sehr wohl, aber dieses Anderswo liegt in | |
einem so unerreichbaren, separaten Universum, dass man sich weder | |
ausgeschlossen noch benachteiligt fühlt, wenn einem der Zugang zu den | |
Selbstverständlichkeiten der anderen verwehrt bleibt.“ | |
Doch die Abgrenzung findet auch von anderer Seite statt. Wie oft wird in | |
linksliberalen Kreisen über „Pauschalurlaub auf Mallorca“ gewitzelt? Wie | |
oft machen sich Geburtsreiche über den Protz von Neureichen lustig? Das ist | |
keine Frage des Humors. Es ist eine Strategie, unsichtbare, aber dennoch | |
vorhandene gesellschaftliche Trennlinien aufrechtzuerhalten. | |
## Öfter über Klassismus reden | |
In Folge dieser elitären Überheblichkeit gehört es gewissermaßen zum | |
Einmaleins von Bildungsaufsteiger*innen, alles, was an die soziale | |
Herkunft erinnert, möglichst unsichtbar zu machen. Praktisch bedeutet das: | |
Anpassung in Kleidung, Sprache und Auftreten. Wer arm ist und arm aussieht, | |
bringt es nicht weit. Die erforderte Anpassung an das Zielmilieu könnte | |
zumindest erklären, warum viele derjenigen, die den Sprung schaffen, sich | |
so weit von ihrem Ursprungsmilieu entfernen. Entfremdung quasi als Preis | |
für den gesellschaftlichen Aufstieg. | |
Warum genau Chebli eine Rolex trägt, kann nur sie beantworten. Es geht auch | |
niemanden etwas an. Fest steht: Jeder, der ihr vorwirft, die Belange der | |
Armen nicht zu kennen, verkennt ihre Lebensgeschichte. Die Hasskommentare | |
[4][auf Twitter konterte sie selbst so]: „Wer von Euch Hatern hat mit 12 | |
Geschwistern in 2 Zimmern gewohnt, auf dem Boden geschlafen&gegessen, am | |
Wochenende Holz gehackt, weil Kohle zu teuer war? Wer musste Monate für | |
Holzbuntstifte warten? Mir sagt keiner, was Armut ist. #Rolex“ | |
Chebli hat auf persönliche Angriffe persönlich reagiert. [5][Das war nicht | |
unprofessionell, sondern richtig.] Nur indem sie ihre soziale Herkunft | |
sichtbar gemacht hat, konnte sie die Doppel- und Dreifachmoral ihrer | |
Kritiker*innen offenlegen. Menschen, die es betrifft, sollten öfter über | |
Klassismus sprechen. Das könnte nicht nur eine gerechtere Politik | |
befördern, sondern gleichzeitig Teil einer Strategie gegen Rechts sein. | |
26 Oct 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Sexismus-und-der-Fall-Sawsan-Chebli/!5453306 | |
[2] https://twitter.com/c_lindner/status/1054035101749780480 | |
[3] /Neue-Sprecherin-des-Auswaertigen-Amts/!5049967 | |
[4] https://twitter.com/SawsanChebli/status/1053618315099336704 | |
[5] /Kommentar-Cheblis-Rolex-und-SPD-Politik/!5541023 | |
## AUTOREN | |
Jasmin Kalarickal | |
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