| # taz.de -- Debatte Kapitalismuskritik: Gold-Steak verpflichtet | |
| > Empörung über Protz-Promis wird oft als Neid abgetan. Dabei braucht | |
| > Kapitalismuskritik definitiv die Kritik an dekadentem Konsum. | |
| Bild: Warum hat ihn nur niemand aufgehalten? Hitzkopf Franck Ribéry | |
| Bayern-Kicker Franck Ribéry isst gerne vergoldete Steaks, SPD-Politikerin | |
| Sawsan Chebli trägt gerne Rolex und die Linken-Fraktionsvorsitzende Sahra | |
| Wagenknecht trägt gerne [1][Pelzkragen]. Dekadent? Durchaus. Kritisierbar? | |
| Auf gar keinen Fall. Noch nicht einmal, wenn sie sich auf Video aufnehmen | |
| und hochladen lassen. Das ist zumindest der Tenor von Kommentaren | |
| verschiedener Medien, ob nun der taz oder der Bild. Nur: Warum ist Protz | |
| nicht kritisierbar? | |
| Es gibt inzwischen eine feste Formel für Shitstorms über den | |
| ausschweifenden Lebensstil bestimmter Menschen: Promi leistet sich | |
| irgendwas, was sich fast niemand leisten kann. Das landet auf Social Media, | |
| oft vom Promi selbst hochgeladen. Menschen kritisieren das und das | |
| kritisierte Verhalten wird viral. Daraufhin kritisieren andere Menschen die | |
| Kritik an den Promis. Sie können doch mit ihrem Geld machen, was sie | |
| wollen, und Deutschland sei ein Land voller Neider. Einfach, aber zu | |
| einfach. | |
| Natürlich ist Konsumkritik nicht immer richtig: Auf der einen Seite kann | |
| sie schnell diskriminieren und die ökonomischen Verhältnisse ignorieren, in | |
| denen Menschen leben. Wer von allen Menschen fordert, sie sollen nur vegan | |
| essen, beim Biobauern einkaufen und ausschließlich Fair-Trade tragen, hat | |
| gute Absichten. | |
| ## Angebot und Nachfrage war mal | |
| Doch er vergisst, dass sich viele Menschen diese moralische Überlegenheit | |
| finanziell nicht leisten können. Ob nun der Student, der sein Bafög | |
| verspätet bekommt und einen Aushilfsjob zwischen die Vorlesungen quetschen | |
| muss, die Schichtarbeiterin, die ihre Familie ernähren muss, oder der | |
| alleinerziehende Vater von zwei Kindern. | |
| Dass unser Kaufverhalten und damit Angebot und Nachfrage aka die | |
| unsichtbare Hand des Marktes im heutigen Kapitalismus nicht mehr überall | |
| greift, wird nebenher auch ausgeblendet. | |
| So produziert Deutschland immer mehr Fleisch, obwohl der Konsum sinkt. Das | |
| überschüssige Fleisch wird durch undurchsichtige und diktierte | |
| Freihandelsabkommen in andere Länder exportiert: unser Geflügel nach Afrika | |
| etwa oder unser Schwein nach China. Im Endeffekt bedeutet das, dass der | |
| Einzelne durch sein Kaufverhalten nicht mehr den Markt lenken kann. | |
| Zumindest in diesem Wirtschaftssystem. | |
| Deswegen nimmt das wohlhabende Menschen oder Menschen mit Vorbildfunktion | |
| aber nicht aus der Verantwortung. Denn wie soll man das Wirtschaftssystem | |
| ändern, wenn man dekadenten Konsum nicht kritisieren darf? | |
| ## Ökonomischer Aufstieg als Freifahrtschein | |
| So auch [2][Sawsan Chebli]. Die Berliner Staatssekretärin hat auf einem | |
| Foto mit einer Rolex am Handgelenk posiert, die neu knapp 7.000 Euro | |
| kostet. Ausgerechnet als SPD-Politikerin. Dafür wurde sie so heftig | |
| kritisiert, dass sie sogar ihren Facebook-Account gelöscht und ein | |
| Statement getwittert hat: „Wer von Euch Hatern hat mit 12 Geschwistern in 2 | |
| Zimmern gewohnt, auf dem Boden geschlafen & gegessen, am Wochenende Holz | |
| gehackt, weil Kohle zu teuer war? Wer musste Monate für Holzbuntstifte | |
| warten? Mir sagt keiner, was Armut ist. #Rolex“ | |
| Nun kam ein Großteil der Kritik, weil sie eine muslimische Frau ist. Es | |
| waren viele Beleidigungen dabei. Bei einem weißen Mann hätte es wohl | |
| weniger gestört, und das ist ungerecht. Auch ist die SPD spätestens seit | |
| Gerhard Schröders Kanzlerschaft keine linke Arbeiterpartei mehr. Man sollte | |
| also annehmen, dass eine Rolex kein Tabubruch für eine Sozialdemokratin | |
| sein sollte. Doch solange die Partei so tut, als wäre sie noch an sozialer | |
| Gerechtigkeit interessiert, sollte sie sich nach außen nicht wie die FDP | |
| geben. | |
| Chebli ist arm aufgewachsen. Es ist schön, dass sie diese Verhältnisse | |
| „überwunden“ hat. Dass sie aufgestiegen ist, obwohl das Menschen der | |
| Unterschicht, vor allem Frauen, People of Color und Muslimen schwer gemacht | |
| wird. Doch rechtfertigt Aufstieg nicht, sich wie Aufstieg zu benehmen. | |
| Genauso [3][Franck Ribéry]. Er kommt aus armen Verhältnissen, macht schnell | |
| als Fußballer Karriere, spielt für Weltklasse-Vereine wie Galatasaray | |
| Istanbul (zumindest damals noch Weltklasse) und den FC Bayern München. Doch | |
| ihm scheint der Ruhm zu Kopf gestiegen zu sein, wie so vielen anderen | |
| Prominenten. | |
| Jüngster Eklat: Das Instagram-Video, in dem er in einem von Nusret Gökçes | |
| alias Salt Baes Restaurants sitzt. Vor ihm ein 1.200 Euro-Steak, das | |
| vollkommen mit Gold umwickelt ist und das er Salt-Bae-like mit den | |
| Fingerspitzen aus der Luft salzt. Salt Bae ist der Spitzname von Gökçe, der | |
| durch seine Salz-Streu-Technik im Internet viral wurde. | |
| ## In Deutschland redet man nicht über Geld | |
| Hier fällt es schwer, zu begründen, warum das okay sei, außer aus Prinzip | |
| „Mit seinem Geld kann er machen, was er will“, zu sagen. Gold schmeckt nach | |
| nichts. Für den Restaurantbesucher ist es nur ein Statussymbol, das | |
| schreit: „Schaut her, diese Person hat Kohle!“ Für den Minenarbeiter, der | |
| das Gold erwirtschaftet, bedeutet es vielleicht fehlende Finger und | |
| Sklaverei. | |
| Als Argument nehmen Einige die sogenannte Neiddebatte zur Hand. In | |
| Deutschland redet man schließlich nicht über Geld. Wer das doch tut, gilt | |
| als Neider. Ganz im Sinne von Profi-Fußballern, Lobbyisten und | |
| Banken-Managern. Ihnen spielt das in die Hände. Das macht sie unantastbar | |
| und verschiebt ihre Wahrnehmung von Recht und Unrecht. Es verklärt außerdem | |
| die Debatte: Konstruktive Kapitalismus-Kritik muss erlaubt sein, sonst | |
| trägt man zum Systemerhalt bei. | |
| Heißt das, dass Menschen mit ihrem Geld nicht machen sollen, was sie | |
| wollen? Doch, solange sie niemanden benachteiligen und ihr Geld auch sauber | |
| verdienen, nicht etwa durch Steuerbetrug. Aber Eigentum verpflichtet. Hier | |
| gilt das Solidaritätsprinzip. Wer mehr Einkommen hat, hat auch eine größere | |
| Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Das heißt auch: Wer mit seiner | |
| Dekadenz prahlt oder sie zumindest in die Öffentlichkeit trägt, muss auch | |
| Kritik über sich ergehen lassen. | |
| 12 Jan 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Baha Kirlidokme | |
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