# taz.de -- Leben im Wohnmobil: On the road again! | |
> Menschen, die ihre Wohnung kündigen und im Wohnmobil leben, erzählen gern | |
> von der großen Freiheit und dem Leben in der Natur. | |
Bild: Mit dem Wohnmobil kann man sich die Landschaft aussuchen, in der man lebe… | |
Der Arbeitsplatz von Sabine und Michael Quadflieg ist heute in Portugal. | |
Über Skype sieht man knorrige mediterrane Bäume vor bewölktem Himmel. Die | |
Landschaft wirkt sanft und blass. Ein riesiger See ist die Kulisse ihres | |
Stellplatzes, ein kleines Dorf befindet sich nicht weit entfernt. Sie | |
nehmen sich die Freiheit, nicht zu wissen, wie es heißt. Sie sitzen in | |
ihrem Reisemobil Herman, einem umgebauten Lkw, und schauen auf die tiefen | |
Wolken. „Wenn man hart drauf ist, kann man es T-Shirt-Wetter nennen“, sagt | |
Michael Quadflieg. Es ist vollkommen still. | |
Sabine und Michael Quadflieg sind das, was man früher Aussteiger genannt | |
hätte. Menschen, die mit eigenem Mobil dauerhaft unterwegs sind. Im Van, im | |
Wohnmobil, in einem umgebauten Bus oder Lkw. Die Fotos, die die Geschichte | |
des Paars erzählen, zeigen weite Landschaften aus Fels, einsame Strände | |
oder grüne Ebenen, wild, ursprünglich. | |
Seit zweieinhalb Jahren finden Leben und Arbeit des Paars unterwegs statt, | |
„on the road“. „Wir wollten zuerst sparen, bis wir 50 sind“, sagt Micha… | |
Quadflieg. „Aber dann dachten wir: Was kann bis dahin alles passieren?“ Sie | |
planen lange. Sie haben Angst, aber zweifeln nie. Nach drei Jahren | |
Vorbereitung und Umbauarbeiten am Reisemobil kündigen sie Wohnung und Jobs | |
und brechen auf. Für immer. | |
Das Reisemobil und die Lust an der Unabhängigkeit des Seins erfahren gerade | |
eine Wiedergeburt in einer langen Geschichte. Auf der CMT-Messe der Branche | |
in Stuttgart werden Rekorde verkündet. Die Käufer im Alterssegment 50 plus | |
inspizieren luxuriöse Wohnmobile, junge Paare klettern in die günstigeren | |
Caravans. Viele Familien sind gekommen. Wohnmobile und Caravans boomen: Der | |
deutsche Caravaning Industrie Verband (CIVD) vermeldet ein historisches | |
Spitzenjahr, was die Neuzulassungen in Deutschland angeht: rund 63.000 | |
Fahrzeuge. der Absatz stieg gegenüber 2016 um 17 Prozent. | |
Auch der Gebrauchtmarkt ist fast leer geräumt: „Jedes Fahrzeug findet | |
schnell einen Abnehmer“, sagt Daniel Onggowinarso, Geschäftsführer beim | |
CIVD. Der Neupreis für ein Reisemobil liegt derzeit bei rund 70.000 Euro. | |
Die Ausstattung ist oft hochkomfortabel. Wer lange gespart hat, will sich | |
auch etwas gönnen. | |
## Raus in die Natur | |
„Es gibt einen Trend zu Individualität“, sagt Onggowinarso. „Die Kunden | |
wollen immer weniger Dienstleistungen von der Stange. Der Reiz der | |
Urlaubsform liegt darin, unabhängig zu sein.“ Und: „Es gibt ein großes | |
Bedürfnis, wieder raus in die Natur zu kommen.“ | |
„Diese VanLife-Szene erfährt einen ganz schönen Hype“, sagt auch Sabine | |
Quadflieg. „Jeder, der schon mal einen Bulli besessen hat, ist ein | |
VanLifer.“ Sie sagt das mit ein bisschen Ironie. Denn die meisten | |
Dauercamper sind nicht ausgestiegen. Sie sind raus, aber mittendrin. Viele | |
verkaufen den Traum online: Auf ihren Blogs mit Produktwerbung, als selbst | |
ernannte Life Coaches und unter Hashtags wie VanLife, wo sie von der | |
großen Freiheit erzählen. Die Instagram-Bilder von schönen jungen | |
Menschen, die in der Hängematte am Laptop arbeiten, führen Außenstehende | |
mit eher naivem Gemüt schnell in Versuchung. | |
„Viele gehen das Leben im Reisemobil schon sehr blauäugig an. Die sehen, | |
dass manche es machen, und denken, es wäre eine ganz einfache Sache.“ Die | |
Quadfliegs bekommen viele Zuschriften von Leuten, die stolz erzählen, sie | |
hätten jetzt ihren Job gekündigt und würden ins Wohnmobil ziehen. In den | |
Texten auf ihrem eigenen Blog erzählt das Paar vom Nomadenleben ehrlicher, | |
kritischer. Aber auch die Quadfliegs zeigen bei Instagram vor allem die | |
Hängematten-Sonnenuntergänge. „Es ist ein Stück weit ein selbst gemachtes | |
Problem der Szene“, räumt Michael Quadflieg ein. „Um mit so was erfolgreich | |
zu sein, musst du einen Lifestyle verkaufen und Begierde schaffen.“ Der | |
ökonomische Druck zur Selbstvermarktung auf die Dauercamper ist hoch. | |
## Drei Jahre Planung | |
Es ist das Glück der Quadfliegs, dass sie das Leben im Reisemobil nie | |
rosarot sehen. Sabine Quadflieg fürchtete sich vor dem Schritt. „Ich habe | |
mir echt einen Kopf gemacht: Was ist, wenn am Arsch der Welt die Karre | |
kaputt geht? Und finanziell, ob das tatsächlich möglich ist, unterwegs | |
Geld zu verdienen?“ Die Eltern warnen davor, das Studium und das eigene | |
Potenzial wegzuwerfen. Sie selbst seien eigentlich „die totalen Spießer“, | |
scherzt Michael Quadflieg. Sie legen eine Geldreserve an für den Fall, | |
dass etwas schiefgeht. Drei Jahre verwenden sie auf die Planung. Trotzdem | |
dauert der Umbau des Lkws zu lange. Weil die Wohnung schon gekündigt ist, | |
leben die Quadfliegs ein halbes Jahr in einem Kastenwagen. Kaum scheint | |
alles bereit, ist der Motor kaputt. Wieder ein halbes Jahr dauert es, das | |
Ersatzteil zu beschaffen. Wären sie da schon unterwegs gewesen, sagt Sabine | |
Quadflieg, hätte sie aufgegeben. | |
So aber erfüllen sie sich ihren Traum. Die Quadfliegs lernen ein anderes | |
Europa kennen. Eines der schweigenden Ebenen, der einsamen Seen, und Nächte | |
unter Palmen bei klarem Sternenhimmel. Sie fahren durch Marokko, offroad in | |
die Wüste. Sie haben sich noch nie so frei gefühlt. Man muss sich nicht | |
immer so viele Sorgen machen, lernt Sabine Quadflieg. Es kommt schon hin. | |
Man kann mit sehr wenigen Dingen glücklich sein, lernt Michael Quadflieg. | |
Das Nomadenleben ist ihr großes Glück. Und das Glück ist harte Arbeit. | |
Michael Quadflieg, der Art Director in einer Werbeagentur war, realisiert | |
bald, dass der Job von unterwegs aus nicht praktikabel ist. Eher zufällig | |
entsteht nebenbei der eigene Blog, von dem sie mittlerweile größtenteils | |
leben. Mit einem gemeinsamen Budget von weniger als 1.500 Euro. „Meistens | |
brechen die Leute ab, weil sie sich die Reise anders und entspannter | |
vorgestellt hatten“, sagt Sabine Quadflieg. „Eine Langzeitreise ist kein | |
Urlaub.“ | |
## Der Weg ist hart | |
Die Quadfliegs arbeiten jeden Tag, außer Sonntag, acht bis zwölf Stunden. | |
Ein Fortschritt gegenüber der ersten Zeit ihres Camperdaseins, als es oft | |
16 Stunden waren. „Du stehst an den grandiosesten Plätzen, aber teilweise | |
kommen wir über Wochen nicht aus dem Auto raus, weil wir drinsitzen und | |
arbeiten“, sagt Sabine Quadflieg. „Das unterschätzen viele.“ Michael | |
Quadflieg gesteht: „Bei der letzten Tour sind wir oft zu irgendwelchen | |
Spots hingehechtet: Oh, Mist, wir haben schon fünf Uhr, das Licht ist | |
gerade super.“ | |
Abschalten können sie kaum, freie Wochen sind nicht drin. Und die laufenden | |
Kosten in einem Reisemobil sind, vor allem wegen der Reparaturen, nicht | |
viel niedriger als die einer Mietwohnung. Die Quadfliegs lieben die | |
Freiheit. Eine feste Wohnung wollen sie nie wieder haben. Aber der Weg ist | |
hart. | |
Es muss nicht unbedingt ein Reisemobil kaufen, wer Freiheit schmecken will. | |
2013 reist ein 23-jähriger portugiesischer Student durch Australien. Er | |
sieht die Campingkultur vor Ort und fragt sich, warum die Studenten zu | |
Hause das nicht machen. Reisemobile sind teuer, gelten als spießig. Zurück | |
zu Hause, gründet er Indie Campers, einen Verleih für Campervans. Die sind | |
auf Hippie-Nostalgie gemacht, man kann sie an anderen Standorten in Europa | |
wieder abgeben. Sie beginnen mit drei Vans im ersten Jahr. Heute hat Indie | |
Campers eine Flotte von 400 Vans, nächstes Jahr werden es 1.000 sein. Ein | |
Start-up-Traum. | |
„Wir erleben eine Modernisierung der Branche“, sagt Pressesprecher Filipe | |
Almeida. „Wir ziehen ein junges Publikum an. Immer mehr Leute wollen einen | |
Lebensstil ausprobieren, der nahe dran ist an der Natur. Es ist eine | |
Mischung aus neuer Erfahrung und einem Gefühl von Freiheit.“ Er erinnert | |
sich an eine Gruppe von Freunden, die einen Van mieteten, um die | |
portugiesische Küste entlangzufahren. Am ersten Tag kommen sie an einen | |
Strand. Sie bleiben die ganze Zeit dort. „Solche Freiheit kriegst du nur | |
als Camper.“ | |
## Ohne Geld geht es nicht | |
Auch die Quadfliegs genießen die Unabhängigkeit. Aber billig ist sie nicht. | |
Der Oldtimer-Lkw hat rund 6.000 Euro gekostet; der Umbau rund 50.000 Euro. | |
Für 20.000 bis 30.000 kann umbauen, wer es ganz spartanisch macht. Wer | |
luxusfrei auf ein paar Quadratmetern im Reisemobil leben will, braucht | |
ironischerweise erst mal Geld. | |
Als alle Hürden genommen sind, lernen die Quadfliegs eine Szene kennen, die | |
ihre Erwartungen übertrifft. „Es ist eine der tollsten Gemeinschaften, die | |
ich je erlebt habe“, sagt Sabine Quadflieg. Die internationale Community | |
ist über Facebook extrem gut vernetzt; Menschen verschiedenster | |
Altersklassen und Berufssparten, auch Familien, die einander helfen. „Wenn | |
irgendjemand ein Problem hat, ist direkt die Besatzung von zig Karren am | |
Start.“ Die Quadfliegs erinnern sich an gemeinsame Touren in Marokko. Die | |
Einsamkeit in einem Tal, wo man von Rand zu Rand schauen kann und sich ganz | |
klein fühlt. Die Begegnung mit einem alten Karawanenführer. | |
Sabine Quadflieg, die aus dem Pfälzer Wald stammt, sagt, sie hätte nie | |
geglaubt, dass sie die Wüste so lieben würde. Michael Quadflieg sagt: „Für | |
mich ist das Freiheit.“ Hinter dem glitzernden Instagram-Schleier wartet | |
Härte. Und hinter der Härte doch die Freiheit. Was hat man da noch für | |
Wünsche? Die Quadfliegs sagen: ein paar Tage Urlaub. | |
7 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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