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# taz.de -- Buchautor über seine Reisen im Bulli: „Wenn ich losfahre, habe i…
> Der Buchautor Oliver Lück hat das Reisen in seinem Bulli zum Beruf
> gemacht. Ein Gespräch über den Faktor Zeit und Henstedt-Ulzburgs
> exotische Seite.
Bild: Hotel, Büro, Zuhause: Seit 20 Jahren sind Oliver Lück und sein hellblau…
taz: Herr Lück, was macht die Coronapandemie mit einem Reisenden wie Ihnen?
Oliver Lück: Mich beeinträchtigt das genauso wie jeden anderen. Das ist
klar. Ich bin da nicht privilegiert und reise jetzt einfach so durch die
Weltgeschichte.
Normalerweise fahren Sie mit Ihrem himmelblauen VW-Bus durch Europa und
schreiben Bücher über Menschen, denen Sie auf Ihren Reisen begegnen. Das
geht jetzt nicht.
Die Pandemie verändert mein Arbeitsmodell. Ich kann nicht mehr frei
entscheiden, wohin ich fahre, wie lange ich dort bleibe. Sogar die
Landesgrenzen in Deutschland wurden quasi dichtgemacht. Zum Beispiel durfte
ich meine Eltern in ihrem Ferienhaus in Mecklenburg-Vorpommern nicht mehr
besuchen. Das ist schon alles ziemlich schräg. Trotzdem bin ich gar nicht
so unglücklich, dass ich gerade nicht viel verreisen darf.
Das müssen Sie erklären.
Es ist ein Irrglaube, dass man erst mal hunderte Kilometer fahren muss, um
etwas Neues zu entdecken. Früher dachte ich das auch. Nach dem Abi 1993 bin
ich durch die Welt getingelt. Nach Indien, Angola, China, Panama. Man muss
aber gar nicht so weit wegfahren, sondern nur mal die Perspektive wechseln.
Manchmal reicht es schon, das Haus zu verlassen und irgendwo abzubiegen, wo
man noch nicht war. Viele werden überrascht sein, wie viel Neues sich da im
Umkreis von nicht mal 50 Kilometern auftut.
Sie haben in einem Ihrer Bücher geschrieben, dass „jeder Ort etwas
Exotisches hat“. Was ist denn an Henstedt-Ulzburg exotisch?
Das ist eine fiese Frage. Ich sage selber, ich wohne da, wo
Schleswig-Holstein nicht mehr schön ist und Hamburg noch nicht. Da gehe ich
hart mit meiner Heimat ins Gericht. Das heißt aber nicht, dass ich das
alles hier doof finde. Ich bin sehr gerne hier. Nach Reisen komme ich immer
wieder gern zurück. Wenn ich das nicht hätte, könnte ich gar nicht
losfahren. Ich brauche dieses Gefühl, nach Hause kommen zu können und auch
zu wollen.
Aber wirklich exotisch ist es nicht, oder?
Es kommt auf die Definition an. Ich persönlich finde es schon exotisch,
wenn ich mich auf dem Feld hinter meinem Haus in einen Knick setze und
Vögel oder Käfer finde, die ich bis dahin nicht kannte.
Was tut mehr weh: Heimweh oder Fernweh?
Beides. Das kommt immer in Wellen, mal Heimweh, mal Fernweh. Ich habe oft
so einen Moment kurz vorm Losfahren, wenn ich den Schlüssel schon fast
umgedreht habe, dass ich mir denke: Jetzt will ich gar nicht weg. Aber dann
geht es auch sehr schnell, dass ich mich in die Reise hineinfinde und
genieße. Unterwegs bekomme ich auch Heimweh, das ist ein gutes Gefühl.
Gerade wird aber das Fernweh wieder stärker.
Sie haben Familie. Was sagen die, wenn Sie ständig weg sind?
Mein Reisen hat sich sehr verändert. Ich bin nicht mehr ständig unterwegs.
Meine Kinder sind neun, sieben und fünf Jahre alt. Wir sind auch als
Familie viel zusammen verreist, manchmal mehrere Monate, aber seit der
Älteste in die Schule geht, sind wir an die Ferien gebunden.
Zu fünft im VW-Bus?
Ja, der Platz ist begrenzt, aber es geht. Mittlerweile haben wir ein
Dachzelt und Vorzelt. Manchmal lachen die Leute, wenn wir alle aus dem Bus
krabbeln, aber wenn wir aufgebaut haben, lacht niemand mehr. Dann sieht man
den Bus irgendwann nicht mehr.
Wieso eigentlich VW-Bus?
Das war ein Zufall. 1996 habe ich ein Fahrzeug für meine erste große Reise
in Europa gesucht. Im Nachbarort verkaufte mir jemand seinen rostigen
gelben T2-Bus, mein Baujahr. Mit dem habe ich meine erste Tour bis nach
Portugal und fast zurück gemacht. Nach 85 Tagen war aber Schluss,
Motorschaden am Offenbacher Kreuz. Dann kam ein Roter, seit 20 Jahren fahre
ich den Hellblauen. Alles in allem habe ich über eine halbe Million
Kilometer gemacht. Der Bus ist mein Hotel, mein Büro, mein Zuhause. Da ist
alles drin, was ich brauche, sehr minimalistisch, aber ausreichend.
Ihr voriges Buch heißt „Zeit als Ziel“. Was bedeutet Zeit für Sie?
Zeit ist eine Einstellung. Ich musste das erst lernen. Auch ich war jemand,
der möglichst schnell von A nach B wollte. Bis ich dann das erste Mal im
Bus unterwegs war und gar nicht schnell vorwärts kommen konnte, der fährt
ja maximal 100.
Haben Sie nie Zeitdruck?
Natürlich erwische ich mich oft selbst bei dem Gedanken: Ich habe jetzt
keine Zeit. Besonders im Alltag mit drei Kindern kann es auch mal hektisch
werden. Aber wenn ich in meinen blauen Bus steige und losfahre, dann habe
ich Zeit. Die nehme ich mir dann. Helfen tut mir dabei auch, dass meine Uhr
im Bus kaputt ist. Die zeigt immer fünf vor zehn.
Wieso fünf vor zehn?
Das ist meine Lieblingszeit. Morgens kann man sich noch ’nen Kaffee machen
und bis mittags noch viel schaffen. Abends ist es schön, weil der Abend
noch nicht rum ist. Ich fühle mich um fünf vor zehn immer sehr wohl.
Es gibt ja auch Menschen, die sind völlig überfordert, wenn sie zu viel
Zeit haben. In der Pandemie sind Fitnessstudios, Kultureinrichtungen
geschlossen, mit Freunden kann man sich nur begrenzt treffen. Wohin mit der
ganzen Zeit?
Man kann es den Leuten nicht verübeln, wenn sie durchdrehen. Denn plötzlich
müssen sie sich mit dem Menschen auseinandersetzen, den sie am besten
kennen: mit sich selbst. Und das überfordert viele. Das klingt jetzt
vielleicht banal, aber man sollte dann am besten mal das machen, wo man
vorher immer sagte: Dafür habe ich keine Zeit. Stricken, Joggen oder in die
Luft starren.
Was machen Sie mit der extra Zeit?
Bei mir sind vergangenes Jahr rund 70 Lesungen und Vorträge weggefallen,
damit verdiene ich normalerweise meinen Lebensunterhalt. Das war schon
hart. Aber ich bleibe optimistisch, es gibt Plan B und C und es
funktioniert. Ich sitze momentan an einem neuen Buch über Strände und
alles, was man dort findet. Und ich koche jeden Mittag für die ganze
Familie.
Wird sich das Reisen durch die Pandemie verändern?
Es hat sich schon sehr viel verändert. Im vergangenen Sommer waren viele
Urlauber in Deutschland unterwegs, Wohnmobile sind ein richtiger Trend
geworden. Einerseits ist es schön, dass die Menschen ihr eigenes Land mal
kennenlernen wollen, anderseits sind manche Orte richtig überlaufen. Mit
etwas Glück findet man aber noch einsame Plätze. Das klappt natürlich nur
im Hinterland.
Geheimtipps verraten oder für sich behalten?
Manche verrate ich, andere nicht. Ich hatte mal eine Kolumne bei
Spiegel-Online, da habe ich geheime Orte zum Übernachten verraten. In den
Kommentaren las ich dann: Wie kann der Lück das machen, jetzt ist dieser
Ort für immer zerstört. Klar besteht die Gefahr, dass dort Menschen
auftauchen, die sich nicht benehmen können, weil sie ihren Müll und andere
Hinterlassenschaften zurücklassen. Da muss man sich nicht wundern, wenn
plötzlich überall Verbotsschilder aufgestellt werden.
Sie fahren immer ohne Navi.
Ja, immer. Das Schöne daran ist, dass man immer wieder überrascht wird.
Egal ob das eine Begegnung mit einem Menschen ist oder ein Schlafplatz, den
man im Dunkeln gesucht hat und am Morgen mit einer wunderschönen Aussicht
aufwacht. Ich kann jedem nur raten, das Navi mal auszuschalten.
2 Apr 2021
## AUTOREN
Juliane Preiß
## TAGS
IG
Schleswig-Holstein
Reisen
Zeit
Autor
Schwerpunkt Coronavirus
Sehnsucht Sommer
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