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# taz.de -- Abgehängt als Touri in der Schweiz: Finanzpolitik am Tresen
> Auf dem Splügenpass kurz vor Italien, im Nebel und Nieselregen zwischen
> Berghängen ging nichts mehr. Ein teurer Zwischenstopp.
Bild: Der Splügenpass im Nebel
Der Rezeptionist ist ein netter Mann. Wir teilen unsere Abende mit ihm in
einem Schweizer Hotel einer Billigkette, er hinter dem Tresen, wir die
einzigen Leute an der Bar. Er serviert uns zu stolzen Preisen aufgewärmte
Fertigmenüs, ein Stück weiches, lauwarmes Schnitzel unter Tomatensoße, das
auf der Karte Steak heißt und 22 Franken kostet. Draußen stürmt und regnet
es ununterbrochen, es ist eine Szenerie wie aus einer Bar in einem
US-Midwest-Kaff. Der Rezeptionist und wir führen immer dasselbe Gespräch.
Wir klagen, wie teuer es in der Schweiz sei. Er versucht sich an
aufhellenden Worten.
Auf dem Splügenpass kurz vor Italien, im Nebel und Nieselregen zwischen
Berghängen, waren wir hängen geblieben. Mein Freund sagte trocken: „Wir
brennen.“ Tatsache, das Getriebe unseres Wohntrucks ging gerade in Flammen
auf. Ich rettete mechanisch Pässe, Handys, die Landkarte, für
[1][Alpenüberquerung oder so was]. In einem Wink des Schicksals hatten wir
kurz vorher Feuerlöscher montiert, der Wagen überlebte. Dann holte uns in
einer denkwürdigen Aktion ein sehr geschäftstüchtiger Abschleppdienst für
eine vierstellige Summe die Serpentinen runter. Und damit begannen wir,
sehr viel Geld in der Schweiz zu lassen.
Der Rezeptionist fand, es hätte schlimmer kommen können. In Italien, das
sei un’ altra mentalità. „Da könnt ihr froh sein, wenn ihr den Wagen aus
der Werkstatt wiederkriegt und er nicht zu Onkel Giuseppe nach Sizilien
wandert. Und immer ist entweder Wochenende oder Feiertag, Santa Maria oder
San Giuseppe.“
Es war unterhaltsam. Einmal kam ein Anruf, er erzählte: „Das war die
Konkurrenz. Die geben sich als italienische Kunden aus, um rauszufinden,
wie unsere Preise gerade sind.“ Dazu fiel ihm die legendäre Weihnachtsfeier
im Hotel ein, wo eine ganze Firma verschwand, ohne zu bezahlen. „Es gibt
viel zu viele verrückte Leute.“
Irgendwann fällt uns auf, wie schräg unser Gejammer über Preise ist. Für
Deutsche soll Ausland billig sein. Ob Polen oder Portugal, Thailand oder
Tunesien, überall kost ja nix. Jeden Abend im Restaurant essen, na und?
Viersternehotel, komm, passt schon. Zum ersten Mal bekommen wir eine
Ahnung, wie es ist, im Ausland nicht König von Mallorca zu sein, und
schämen uns ein bisschen für die Erkenntnis. Manchmal wirkte der
Rezeptionist still genervt von den geizigen Deutschen. Dann wieder
verkündete er ungetrübt: „Der Euro macht sowieso nicht mehr lang.“ Lieber
sollten wir in Pfund investieren.
Er erzählte uns, er habe sich an jedem einzelnen Kiosk in Liechtenstein
beworben. Erfolglos. „Die nehmen nur Liechtensteiner, damit das Geld da
bleibt.“ Liechtenstein, der Spitzenprädator der Wirtschaftsmigration. Und
wir und der Schweizer Rezeptionist im fehlenden Gelde vereint. Wohin
emigrieren eigentlich Liechtensteiner?
23 Nov 2020
## LINKS
[1] /Alpenwanderung-in-Zeiten-der-Pandemie/!5727772
## AUTOREN
Alina Schwermer
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