Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Heimatgefühle auf Reisen: Polyamorie der Heimaten
> Seit Jahren wieder einmal am Mittelmeer. Die salzhaltige Seeluft, der
> Duft der Pinien und Zypressen, und sogleich sind Erinnerungen da.
Bild: Leicht salzige Brise und der Duft der Pinien: Fühlt sich ein bisschen wi…
Es ist eine leichte Brise, die dafür sorgt, dass ich mich ein Stück zu
Hause fühle. Salzig, aber nicht zu sehr, nicht nordseesalzig. Die Luft
riecht nach Pinien und Zypressen und anderen Bäumen, deren Namen ich nicht
kenne. Ich konnte nie gut diese Botanik-Auflistung, die beim Reiseschreiben
so hip ist. Ich kenne nur Pinien. Es ist warm und der Himmel wolkenlos
blau, in einem offensiven und einladenden Blau wie hinter getönten
Brillengläsern, nicht wollpulloverblau. Er bedeutet Mittelmeer und einen
Splitter Heimat. Ich bin zum ersten Mal seit Jahren länger hier. Kindheit,
denke ich, und überraschenderweise: Heimat. Man sagt, Heimat sei dort, wo
man geboren oder zumindest aufgewachsen ist. Aber ist das noch richtig in
einer globalisierten und partiell reisenden Welt?
Sich woanders heimisch zu fühlen gilt als anmaßend. Akzeptiert höchstens
für Leute mit Migrationshintergrund: Ach ja, du hast ja Wurzeln da. Es
herrscht eine sehr [1][seltsam biologische Definition der Heimat], auch
gerade vonseiten derer, die angeblich nicht biologisch denken. Einfach so
Heimat zu empfinden gilt als privilegiert, irgendwie neokolonial, je nach
ökonomischen Verhältnissen sogar unanständig. Sich als Deutsche in New York
heimisch zu fühlen, okay. Aber in Ghana? Argh. Reisen sind natürlich
Ausweis von Klasse und Privileg, aber auch nicht mehr als Theater, Turnen
oder Twitter. Heimat wirklich polyamorös zu denken wäre ein hoffnungsvolles
Zeichen. Nicht biologisch oder ethnisch, denn auch die vermeintlich
ursprünglich irgendwo heimischen Gruppen waren Zugereiste oder Eroberer.
Nein, [2][Heimat als subjektives Empfinden für alle]. Überall.
Dafür müssen sich Machtverhältnisse ändern. Solange sich kaum PeruanerInnen
einen Aufenthalt in Deutschland leisten können, ist ein neues Weltbild von
Heimaten naiv. Immerhin ist für zunehmend mehr Kinder Reisen ein Teil der
Kindheit, und das ist gut. Das verändert Menschen. Als Kind war ich mit der
Familie oft am Mittelmeer in Urlaub. Mallorca, Italien, Griechenland,
Türkei. Strand, Museen, Restaurants und römische Steinbrocken gucken. Und
es hat dazu geführt, dass ich mich dort ein Stück heimisch fühle bei diesem
leichten Geruch von Salz und Pinien. Es betrifft auch andere Länder, manche
sogar als Distanzliebe. Der Iran weckt Sehnsucht, obwohl ich nie dort war.
Heimaten sind verwunderlich.
Heimaten sind natürlich anders als Heimat. Egal wie oft man wiederkommt,
man bleibt immer Touristin. Das Wissen ist limitiert, wirklich dazugehören
werden Reisende nie. Es ist eher ein Zwitterstatus: eingeweiht gegenüber
Außenstehenden, außen gegenüber innen Stehenden. Aber das trifft ja uns
alle. Eine Russin aus Moskau erzählte mir kürzlich auf einem Dorf, sie
fühle sich hier wie im Ausland. Anders aber als die koloniale
Romantisierung, die das Fremde zugleich überhöhte, infantilisierte und sich
davon abgestoßen fühlte, wollte sie verstehen. Das macht Hoffnung auf eine
ernsthafte Polygamie der Heimaten. Schön wäre es.
20 Dec 2020
## LINKS
[1] /Gastkommentar-Gruener-Heimatbegriff/!5451388
[2] /Forscherin-ueber-umstrittenen-Begriff/!5642441
## AUTOREN
Alina Schwermer
## TAGS
Navigationshilfe​
Heimat
Reisen
Schwerpunkt Coronavirus
Navigationshilfe​
Navigationshilfe​
Navigationshilfe​
## ARTIKEL ZUM THEMA
Fernweh in Coronakrise: Es nagt und ruft
Der Wunsch auf Reisen zu gehen, kann in diesen Coronazeiten unerträglich
werden. Was tun, wenn das Innere unaufhörlich schreit: Ich muss gehen.
Abgehängt als Touri in der Schweiz: Finanzpolitik am Tresen
Auf dem Splügenpass kurz vor Italien, im Nebel und Nieselregen zwischen
Berghängen ging nichts mehr. Ein teurer Zwischenstopp.
Die Mitfahrgelegenheit: Schweigsame Gesellen
Nie ging es um Namen, selten um Persönliches, meist um den
Globetrotter-Schwanzvergleich – die Kommunikation unterwegs ist oft
beschränkt.
Begegnung im Süden Frankreichs: Unter Gelbwesten
Abendessen mit einer der letzten aktiven Gelbwesten-Gruppe. Sie ist
durchmischter als manch vermeintlich progressive Crowd. Eine kuriose
Mischung.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.