# taz.de -- Die Mitfahrgelegenheit: Schweigsame Gesellen | |
> Nie ging es um Namen, selten um Persönliches, meist um den | |
> Globetrotter-Schwanzvergleich – die Kommunikation unterwegs ist oft | |
> beschränkt. | |
Bild: Auf der Walz | |
Kürzlich haben wir im Auto zwei Jungs an einer Tankstelle aufgelesen, auf | |
dem Weg von Hamburg nach Köln, Gesellen auf Walz. Ein Zimmermann und ein | |
Hufschmied, die, wie auf [1][Walz] üblich, ihren Weg als Tramper machten. | |
Doch einmal im Auto, antworteten die Jungs einsilbig. Sie stellten keine | |
Gegenfragen, sie hakten höflich, aber routiniert ab: ja, sie finden die | |
Walz toll, ja, sie sind in einem Schacht, ja, sie machen auch Fernreisen, | |
der Zimmermann war bis Indien. | |
Irgendwann fragte ich, ob es anstrengend sei, jeden Tag neue Leute | |
kennenzulernen, da brach es aus dem Zimmermann heraus: „Ja. Das ist jetzt | |
nicht böse gemeint, aber man wird immer dasselbe gefragt. Woher kommst du, | |
seit wann bist du unterwegs, was arbeitest du.“ Es schien das erste Mal, | |
dass ihn das Gespräch wirklich interessierte. „Die Monate, wo man in einem | |
Projekt arbeitet“, sagte er entschieden, „sind eigentlich schöner als das | |
Reisen. Da baut man Beziehungen auf, da redet man auch mal über | |
tiefgründigere Dinge.“ | |
Ich fand das nachvollziehbar. Ich erinnerte mich an Tausende Hostel-Abende | |
zu Backpacker-Zeiten, die immer nach demselben Schema verliefen. „So where | |
are you guys from?“ Nie ging es um Namen, selten um Persönliches, meist um | |
den Globetrotter-Schwanzvergleich, wer wo die krassesten Dinge erlebt hat. | |
Irgendwann hatte ich keine Lust mehr drauf. Aber ich empfand ihre Attitüde | |
auch als merkwürdig. Denn ihr eigenes Desinteresse machte die Art des | |
Reisens zu reiner Formelhaftigkeit. Trampen um des Trampens willen, ohne | |
wissen zu wollen, mit wem man im Auto sitzt. Nur die Dienstleistung, bitte. | |
Durch zig Länder Zentralasiens war der Zimmermann gereist, darüber zu | |
erzählen hatte er nichts. An seinem Endziel Indien hatte er kein Interesse. | |
Er war nur da gewesen, weil sein Begleiter mit geschlossenen Augen auf den | |
Globus getippt hatte. Posen des alternativen Unterwegsseins. | |
Trotzdem liebten sie die Walz, die Freiheit, die Subkultur. Der schweigsame | |
Hufschmied, noch ein Novize unterwegs, sagte, es sei die beste Entscheidung | |
gewesen. Der Zimmermann will nie zurück ins bürgerliche Dableiben, sondern | |
im Wohnwagen reisen und arbeiten. Kontakte im Ausland habe er schon | |
aufgebaut. Erst als wir erzählten, dass wir im Wohnwagen leben, war eine | |
Verbindung da. Sie berichteten, wie sie draußen schlafen, wenn sie nichts | |
finden, auf einer Parkbank, auch schon mal im Regen. „Irgendwann“, sagte | |
der Zimmermann, „hört man auf, sich Sorgen zu machen.“ Die Walz als | |
Befreiung von Konventionen. Und als, nun ja, Befreiung davon, sich für | |
andere Leute interessieren zu müssen. | |
Erleichtert wirkten die beiden erst, als wir verstanden, was sie sich in | |
dieser Nacht eigentlich erhofften: auf der Rückbank sitzen und in Ruhe | |
gelassen werden. | |
25 Oct 2020 | |
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## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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