# taz.de -- Kolumne Navigationshilfe: Im Hühnertransporter | |
> Im Chicken Bus durch Nicaragua. Empanada-Verkäufer preisen ihre Ware an. | |
> Und ein dubioser Heiler nach dem anderen kommt vorbei. | |
Bild: Busfahrer und Schaffner eine Chicken Bus in Nicaragua bei der Rast | |
Der Mann in Hemd und Schlapphut hatte einen eindrucksvollen Bauch und die | |
monotone Stimme eines Empanada-Verkäufers, eines solchen, der noch einen | |
halben Korb und einen ganzen Tag vor sich hat. Er sei ein weltbekannter | |
Arzt, stellte er sich selbstbewusst den Busfahrenden vor. | |
Empanada-Doc stieg in San Carlos im Süden Nicaraguas zu, in den Chicken | |
Bus. Der Chicken Bus, das sind diese bunten Gefährte, die nicht ganz | |
grundlos an Hühnertransporter erinnern, nur, dass sie statt zu | |
guillotinierender Hühner schwitzende Menschen transportieren. Innen | |
herrscht eine Mischung aus Autokino und nahöstlichem Basar. Da mitzufahren | |
macht eigentlich großen Spaß. An jeder Ecke steigen Frauen ein, die | |
Bananenchips, Teigtaschen, Getränke, Obst und was nicht alles verkaufen. | |
Und eben waschechte Scharlatane. | |
„Meine Damen und Herren, ich habe ein weltbekanntes Mittel erfunden, dieses | |
Mittel hier, schauen Sie“, leierte Empanada-Doc. Er hielt ein Tablet hoch, | |
auf dem ein YouTube-Vortrag von ihm zu sehen war. Die Kulisse darauf sah | |
verdächtig nach Wohnzimmer aus. Mit der Linken hielt er Tabletten in die | |
Luft: „Sie heilen Krebs, Multiple Sklerose, Rheuma, Malaria, Demenz, aber | |
auch Kopfschmerzen, Übelkeit, Bauchschmerzen …“, versprach er. | |
Die irren Dinger heilten einfach alles. Die Fahrgäste lauschten stoisch | |
diesem Internet-Clickköder aus Fleisch und Blut. Nach Empanada-Doc traten | |
im Bus immer mehr Wunderheiler auf: einer detailverliebt kostümiert im | |
blauen OP-Kittel, ein anderer mit einem Fotobuch unappetitlicher | |
Hautkrankheiten. | |
Ich fühlte mich ein bisschen an Karl May erinnert, da gab es diese | |
Romanfigur, den Acqua-Salamander-Verkäufer, und natürlich an den | |
Hochstapler May selbst. Nicaragua hätte dem alten Sachsen gefallen. | |
Und die Passagiere, mehrheitlich nicaraguanische Muttis, kauften. Ich weiß | |
nicht, ob sie die Märchen glaubten, oder ob sie keine anderen Medikamente | |
bezahlen konnten; es hatte einen bitteren Nachgeschmack. Die Doktoren haben | |
natürlich im reichen Norden große Vorbilder: Die ganze Industrie von | |
„Globuli bitte drei Mal nach links umrühren Experten“, Heilstein-Freunden, | |
Handauflegern, sagenhaft erfolgreich vor allem bei den Verzweifelten, denn | |
es könnte ja funktionieren. | |
Der große Chai-Latte-Anteil unter der deutschen Kundschaft jedenfalls kann | |
das Geld, das er in Quacksalber investiert, zumindest erübrigen. Und einige | |
scheinen sich meiner Erfahrung nach an ihrem hobbymäßigen Gang zur Heilerin | |
sehr zu erfreuen. Hier im billigsten Bus von San Carlos war das Geschäft | |
schlicht gemein. In den besseren Bussen haben wir die Docs nie gesehen. | |
Gern wollten wir eine Tablette kaufen, aber ein Verkäufer nach dem anderen | |
eilte an uns vorbei. Falsche Klientel. Dann stiegen sie aus; | |
wahrscheinlich, um in der Apotheke neue Aspirin zu kaufen. | |
26 Jan 2019 | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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