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# taz.de -- Landgrabbing in Sachsen-Anhalt: Im Reich der Großagrarier
> Der Boden in Sachsen-Anhalt ist besonders fruchtbar. Eine Reform sollte
> die Kleinbauern stärken – doch dann nutzten riesige Betriebe ihre
> Lobbymacht.
Bild: Typisch Sachsen-Anhalt: riesige Felder, hier Raps in Neinstedt, so weit d…
Berlin taz | Claudia Gerster hat einen Biobauernhof im Süden von
Sachsen-Anhalt, gemeinsam mit ihrem Mann erzeugt sie dort Lebensmittel. Ihr
„[1][Sonnengut Gerster]“ hat 5 Mitarbeiter und 22 Milchkühe, mit 200 Hektar
Äcker und Weiden liegt der Hof unter dem Landesdurchschnitt. „Wenn wir bei
Bieterverfahren Land kaufen oder pachten wollen, sind wir ständig
unterlegen“, sagt die Bäuerin in ihrem 1718 erbauten Vierseithof mit
Holzbalkendecke. Größere Betriebe würden sie überbieten. [2][Ein
Agrarstrukturgesetz könnte die Position von kleineren Höfen bei
Landverkäufen stärken.] Deshalb hält Gerster es für „eine Katastrophe“,
dass Sachsen-Anhalts Regierungskoalition mit einem Gesetzesprojekt gegen
„Landgrabbing“ und gegen eine zu hohe Konzentration von Agrarflächen
gescheitert ist.
Lutz Trautmann hat sich darüber gefreut. Er ist Chef der
[3][Agrargenossenschaft Hedersleben] im Westen des Bundeslandes. 4.500
Hektar hat das Unternehmen. „Das ist auch für ostdeutsche Verhältnisse
relativ groß“, sagt Trautmann in seinem Büro im Verwaltungsgebäude des
Unternehmens. Es arbeitet konventionell, also auch mit
chemisch-synthetischen Pestiziden, die Umweltschützern als Bedrohung der
Artenvielfalt gelten. Rund 2.000 Rinder und 62 Mitarbeiter habe der
Betrieb, erzählt Trautmann. An dem Gesetzentwurf störte ihn vor allem
eines: Die Behörden sollten Betrieben, die bereits mehr als die Hälfte der
Agrarfläche in einer Region besitzen oder pachten, weitere Käufe dort
untersagen können.
Die Agrarbranche ist für Sachsen-Anhalt wichtiger als für andere
Bundesländer. Ende 2019 nutzte sie hier laut Statistischem Bundesamt [4][60
Prozent der Bodenfläche], im deutschen Durchschnitt nur 51 Prozent. Sie
wirkt also erheblich auf die Umwelt ein, zum Beispiel trägt sie durch
Pestizide zum Artensterben bei und stößt Treibhausgase aus. Der Anteil der
Branche an der Bruttowertschöpfung ist auch in Sachsen-Anhalt gering, aber
mit 1,8 Prozent im verganbenen Jahr immerhin mehr als doppelt so hoch wie
im Bundesschnitt. Das liegt auch daran, dass seine Böden zu den
fruchtbarsten überhaupt zählen.
Dieses „schwarze Gold“ haben vor allem sehr große Betriebe unter Beschlag.
[5][Das durchschnittliche Agrarunternehmen in Sachsen-Anhalt hat 265
Hektar] – etwa 4-mal so viel wie der Bundesdurchschnitt. Typisch sind
riesige Felder, auf denen Getreide, Raps oder Zuckerrüben wachsen, aber
kaum Bäume oder Hecken, die Rückzugsräume für Insekten oder Vögel bieten.
Die großen Strukturen sind vor allem ein Erbe der DDR, die Bauern in
Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) zwang.
Aus so einer LPG ist nach dem Ende der DDR auch Trautmanns
Agrargenossenschaft entstanden. Mittlerweile hat sie so viel Fläche wie nur
wenige Betriebe in Deutschland. Und er will weiter expandieren. „Wir
brauchen kein neues Agrarstrukturgesetz“, sagt Trautmann deshalb. Der
Entwurf versuche, „stabile Strukturen in der Landwirtschaft von hintenrum
wieder abzufangen und in Kleinst-Manufakturbetrieben zu organisieren“. Er
hält große Unternehmen für nötig, weil sie zum Beispiel Mähdrescher besser
ausnutzen und so die Stückkosten der Produkte senken könnten. Nur so könne
die Landwirtschaft bei den niedrigen Preisen für Lebensmittel Arbeitsplätze
mit akzeptablen Bedingungen anbieten.
Claudia Gerster aber sagt: „Wir zahlen unseren Mitarbeitern mehr als viele
große Betriebe.“ Ihr Hof halte sich schon seit 27 Jahren am Markt, „und wir
können davon leben“. Man müsse eben mehr auf Qualität statt auf Quantität
setzen: Ihre Bioprodukte kosten mehr als Trautmanns konventionelle. Anders
als er verkauft sie ihre meisten Lebensmittel nicht über den anonymen
Großmarkt, sondern direkt an Bioläden, auf Wochenmärkten und im eigenen
Hofladen – so kann sie bessere Preise erzielen.
Aber sie hat zu wenig Kapital, um sich bei Landverkäufen gegen Betriebe
durchzusetzen, die wie Trautmanns hauptsächlich wegen ihrer Größe jedes
Jahr 1,2 Millionen Euro EU-Agrarsubventionen bekommen. „Das
Agrarstrukturgesetz hätte dafür gesorgt, dass wir nicht in Konkurrenz
treten müssen mit großen Betrieben, wenn wir Land kaufen wollen“, sagt
Gerster. „Da geht es um soziale Gerechtigkeit.“
Aus diesem Grund begrüßte Gerster auch, dass die Behörden laut Entwurf
erstmals auch den Kauf von Firmen verbieten können sollten, die große
Ackerflächen besitzen. Bisher dürfen die Landkreise nur Käufe von Agrarland
untersagen, aber nicht von Firmen mit solchen Grundstücken. Dieses
Schlupfloch haben zum Beispiel Eigentümer des Discounters Aldi Nord oder
des Rückversicherungskonzerns Munich Re genutzt. Sie kauften durch so einen
„Share Deal“ ohne Genehmigung der Landwirtschaftsbehörden große Länderei…
in Ostdeutschland. Äcker versprechen auch wegen der Subventionen im
Vergleich zu derzeit niedrig verzinsten Anleihen hohe Rendite. Deshalb sind
sie ein beliebtes Investitionsobjekt für Anleger, die eigentlich nichts mit
Landwirtschaft zu tun haben und auch nicht vor Ort wohnen und Steuern
zahlen.
Trautmann sieht darin aber kein großes Problem. Nur 1 Prozent der
Agrarfläche würden jedes Jahr in die Hand außerlandwirtschaftlicher
Investoren gelangen. Gerster dagegen verweist auf eine Studie des
bundeseigenen Thünen-Forschungsinstituts für Ländliche Räume. Sie zeigt,
dass Anfang 2017 34 Prozent der 853 untersuchten Firmen in allen neuen
Bundesländern ortsfremden Investoren gehörten.
Gerster ist auch stellvertretende Vorsitzende der ökologisch orientierten
Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft Mitteldeutschland. Trautmann
ist Vizepräsident des Landesbauernverbands, der viele Großbetriebe
vertritt. Gerster unterstellt den Bauernverbandsfunktionären, nicht im
Interesse ihrer eigenen Betriebe zu handeln, was Share Deals betrifft.
Vielmehr gehe es den Agrarmanagern darum, ihre Firmen zu einem möglichst
hohen Preis zu verkaufen, wenn sie in den Ruhestand gehen.
Für sich persönlich bestreitet Trautmann solche Absichten. Aber er würde
das okay finden: „Selbst wenn man das machen wollte, was ist daran denn
nicht gesetzeskonform?“
Nachdem der Bauernverband den Entwurf des Agrarstrukturgesetzes abgelehnt
hatte, knickte vor allem die Regierungspartei CDU ein, die traditionell eng
verbunden mit der Agrarlobby ist. Auch der CDU-Politiker Hermann Onko
Aeikens, bis 2016 Agrarminister in Sachsen-Anhalt, war schon mit einem
ähnlichen Vorstoß gescheitert.
Ihre Ablehnung scheint die CDU auch nach der Wahl am Sonntag beibehalten zu
wollen: In ihrem Wahlprogramm taucht das Gesetz nicht auf. So ist es auch
bei der FDP. Die AfD äußert sich in ihrem Programm überhaupt nicht zur
Landwirtschaft. Nur Grüne und SPD werben in ihren Programmen damit, dass
sie ein Agrarstrukturgesetz erreichen wollen.
Hinweis: Die Interviews für diesen Artikel fanden wegen der Coronapandemie
per Videotelefonat statt.
5 Jun 2021
## LINKS
[1] https://sonnengut-gerster.de/
[2] /Sachsen-Anhalt-erschwert-Landgrabbing/!5728393
[3] https://www.ag-hedersleben.de/
[4] https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-Forst…
[5] https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-Forst…
## AUTOREN
Jost Maurin
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