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# taz.de -- Stimmen aus Sachsen-Anhalt: „Es gibt viele Initiativen“
> Vor der Landtagswahl: Was erwartet die Zivilgesellschaft von der Politik?
> Sechs Menschen, die sich vor Ort engagieren, über sich und ihre Wünsche.
Bild: Rote Linie: TeilnehmerInnen von #unteilbar in Magdeburg
## „Wir brauchen Transparenz“
Ich bin in Zeitz geboren und heimatverbunden in dem Sinne, dass ich mich
hier engagiere und Zukunft gestalten will. Bei Initiativen wie der
Wiederbelebung des Klosters Posa als Kultur- und Bildungsstätte und der
alten Stadtbibliothek ist mir daran gelegen, dass der sogenannte
Strukturwandel in eine nachhaltige Zukunft geführt wird und es Chancen
gibt, etwas aufzubauen.
[1][Momentan passiert sehr viel in Zeitz], die Stadt hat mittlerweile einen
gewissen Bekanntheitsgrad. Das ist auch toll, aber ich habe das Gefühl,
dass wir damit ein bisschen überrannt werden und vieles über die Köpfe der
Menschen vor Ort hinweg passiert. Ich erwarte von den Wahlen, dass sich
dahingehend etwas ändert: Beteiligung, Transparenz sowie eine
gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung sind mein Fokus und mein Wunsch für
die Zukunft.
Ich bin sehr politisch interessiert, aber durch meine Arbeit auf Stadtebene
merke ich auch, dass ich mehr und mehr politikverdrossen werde, weil ich
viele Dinge gar nicht mehr nachvollziehen kann. Mein Eindruck ist, dass die
Schere zwischen dem, was die Politik plant, und dem, was der gemeine Bürger
braucht und möchte, weit auseinandergeht. Da wünsche ich mir deutlich mehr
Nachhaltigkeit mit klaren Zielen für die Zukunft.
Aber das kann eben nur gemeinsam geschehen, mit Problemlösungen statt nur
Diskussionen. Ich hoffe, dass die Politik zielorientierter wird und wir als
das schöne Sachsen-Anhalt nicht immer Schlusslicht sind, sondern auch
strategisch und parteiübergreifend Probleme angegangen werden.
Wir brauchen mehr Freiräume für Initiativen, Möglichkeitsstrukturen,
[2][mehr Bürgerbeteiligung], mehr Transparenz, Abbau von Behördenstrukturen
und bessere Förderprogramme für Kunst und Kultur. Von Hochglanzplakaten bis
zu dem, was Akteure vor Ort davon haben, ist es ein weiter Weg.
## „Noch immer viele Klischees“
Ich bin Mitbegründerin der [3][Fraueninitiative Magdeburg], die sich 1989
gegründet hat. Seitdem bin ich aktiv, seit vielen Jahren Geschäftsführerin
des Frauen- und soziokulturellen Zentrums Courage im Volksbad Buckau. Wir
machen soziokulturelle und soziale Arbeit im Hinblick auf Frauen und
Mädchen, dafür bin ich auch in verschiedenen Gremien des Landes und der
Stadt, zum Beispiel dem queerpolitischen Tisch.
Die Landesregierung hat, was LSBTQA-Themen (lesbische, schwule, bisexuelle,
trans, queere und asexuelle) angeht, noch einiges zu tun. Wir haben für die
Landtagswahl Prüfsteine erarbeitet – insbesondere im Hinblick auf die AfD
habe ich schon Sorge. Wenn es wirklich eine noch größere Mehrheit für die
AfD geben sollte, werden wir politisch alle Hände voll zu tun haben. Da
sollten sich alle demokratischen Parteien zusammenschließen, um mindestens
das Level zu halten, das wir aktuell haben.
Eigentlich müssten wir aber noch voranschreiten. Die CDU hat das
Gleichstellungsgesetz bislang blockiert – aber das muss in der nächsten
Legislaturperiode kommen. Es gibt immer noch viele Klischees über Menschen,
die nicht heterosexuell leben möchten. Insbesondere in ländlichen Gebieten
muss da etwas passieren, auch im Hinblick auf [4][Klima und Umweltschutz].
Die Grünen haben sich in diesem Punkt viel eingebracht in der Koalition.
Und die Linken sind es, die soziale Themen abdecken. Die Coronakrise zeigt
auch: Kliniken müssen ebenso wie große Energiefirmen in staatliche Hand.
Daher hoffe ich auch, dass viele Menschen grün oder links wählen.
## „Es gibt kein Geld in den Kommunen“
Ich bin vor einigen Jahren aus Rostock über das Wendland in die Altmark
gekommen. 2019 habe ich beispielsweise initiiert, dass unsere Gemeinde
Kalbe (Milde) als erste Gemeinde in Sachsen-Anhalt den [5][Klimanotstand
ausgerufen] hat. Wir haben hier Glück, weil wir einen recht aufgeklärten
Bürgermeister haben, der viele Sachen mitmacht, wenn auch nur als
Statement. Aktuell hat die Gemeinde ein Agroforstprojekt angeschoben, aber
es wird sich zeigen, ob das auch umgesetzt wird.
Das Problem ist: Es gibt kein Geld in den Kommunen – aber die müssen
gestärkt werden. Ich erwarte von der Landespolitik, dass sie Kommunen mehr
freie Hand für die Nutzung von Geldern gibt, aber auch mehr langfristige
Ziele stärkt. Insbesondere die ländliche Region wird oft vernachlässigt.
Die Gelder kommen nicht bei uns an, sie werden in städtische Projekte
gepumpt oder [6][in Autobahnen investiert], während die Infrastruktur hier
fehlt.
Wir bräuchten zum Beispiel den Ausbau des ÖPNV-Netzwerkes oder von
Fahrradwegen auf den bereits existierenden Straßen. Dazu gehört auch, dass
wir als Ideengeber nicht zum Bittsteller werden, sondern es andersherum
funktioniert. Die Politik muss nachhaltiger sein, nicht nur ökologisch,
sondern auch sozial. Momentan werden kommunale Flächen aus Geldknappheit
verkauft, zum Beispiel der Stadtwald in Salzwedel. Kommunen sollten Land
aber eher zurückkaufen, eigene Innovationen starten und damit das
Gemeinwohl bereichern.
Die ländliche Infrastruktur muss sich dahingehend entwickeln, dass es hier
lebenswert bleibt. Und dass es das ist, das haben wir durch Corona ja
gesehen. Ich bin aber immer auch voller Hoffnung, sonst wäre ich nicht im
Ortschaftsrat. Die Altmark bietet viele Freiräume für Ideen, man kann viel
ausprobieren.
Für mich als linken Menschen gibt es ein gutes soziales Umfeld, die
Menschen sind zwar vielleicht etwas verschlossen, aber nicht unbedingt voll
mit Ressentiments. Wenn ich auf meine Nachbarn zugehe, empfangen die mich
mit offenen Armen. Und es gibt viele Initiativen von jungen Leuten. Ich
wünsche mir, dass diese Fuß fassen können und irgendwann dann in die
Landespolitik kommen.
## „Junge Leute politisieren sich jetzt mehr“
Ich bin Studentin, Aktivistin und eine Schwarze deutsche Frau. Ich bin in
mehreren Gruppen aktiv: Der [7][Seebrücke Magdeburg], dem Bündnis M -Wort
abschaffen Sachsen-Anhalt, dem (un)Sichtbar – Netzwerk für Women of Color
sowie platz*machen e. V. Seit viereinhalb Jahren wohne ich in Magdeburg
und beschäftige mich vor allem mit den Themen Antirassismus,
Antikapitalismus, Queerfeminismus und Antifaschismus.
Ich finde es sehr problematisch, dass in den letzten Jahren extrem rechte
Positionen stark normalisiert worden sind, auch durch die AfD. Andere
demokratische Parteien haben das zum Anlass genommen, generell nach rechts
zu rücken, wahrscheinlich, um Wähler:innenstimmen nicht zu verlieren.
Aber ich denke, das ist der falsche Ansatz. Man sollte eher die eigene
Position stark machen und vor allem klare Kante gegen rechts zeigen.
Ich habe Schwierigkeiten damit, die parlamentarische Politik positiv zu
sehen. Meine Hoffnung sehe ich angesichts der Entwicklungen eher
außerparlamentarisch, also viel in der politischen Arbeit die in Gruppen
und Organisationen und vor allem von jungen Leuten stattfindet. Es gibt
generell eine niedrige Wahlbeteiligung bei jungen Leuten in Sachsen-Anhalt,
aber ich habe dennoch das Gefühl, dass junge Leute sich mehr politisieren.
Viele sind sehr engagiert und fangen an, sich zu organisieren – das gibt
mir Hoffnung.
Ich wünsche mir, dass [8][soziale Themen mehr in den Fokus] gerückt werden
und rechte Hetze und Rassismus weniger Platz haben. Und dass stattdessen
Themen, die alle Bürger:innen betreffen, diskutiert werden. Themen wie
Arbeiter:innenkämpfe sollten wieder stärker links besetzt werden. Es
geht also auch darum, dass Menschen in sozial schwächeren Positionen
politisch abgeholt werden.
## „Miteinander liegt mir am Herzen“
In meinem Beruf begegnen mir jeden Tag ganz verschiedene Menschen. Kleine
Kinder, Jugendliche und manchmal auch Erwachsene werden getauft,
Jugendliche lassen sich konfirmieren. Es ist gerade in dieser Zeit wichtig,
sich des geistlichen Zuspruchs zu versichern. Brautpaare wünschen den Segen
für ihren gemeinsamen Lebensweg, Kranke wünschen Besuche, Angehörige Trost
beim Abschied von Verstorbenen.
In den letzten Monaten war mein Arbeitsalltag ganz besonders stark geprägt
von seelsorgerlichen Gesprächen. Den Menschen schlägt die Zeit der Pandemie
aufs Gemüt. Ich erhoffe mir für die Landtagswahlen, dass sich sehr viele
Menschen beteiligen. Ich bin in der DDR aufgewachsen, freie und
demokratische Wahlen sind für mich eine hohe Errungenschaft.
Ich würde mir wünschen, dass diejenigen, die in den Landtag gewählt werden,
mit einer hohen Wahlbeteiligung gewählt werden. Ich befürchte aber, dass
viele nicht wissen, wen oder welche Partei sie wählen sollen, und deshalb
gar nicht erst zur Wahl gehen. Aber jede und jeder ist gefragt, sich zu
beteiligen.
Sachsen-Anhalt, gerade unser [9][Landkreis Harz], ist [10][ein
wunderschönes Fleckchen Erde]. Wir alle hier lieben unsere Natur, die
Wälder, die herrlichen Wanderwege, den Brocken. Ich wünsche mir
gemeinschaftliche Anstrengungen zur Bewahrung der Schöpfung. Außerdem liegt
mir das Miteinander am Herzen. Mir begegnen Tag für Tag Menschen, die sehr
unterschiedliche Meinungen zu den Fragen des Lebens und auch zu politischen
Fragen haben.
Mir wäre es wichtig, dass wir in Sachsen-Anhalt eine niveauvolle
Gesprächskultur pflegen. In sachlichen Fragen darf es durchaus
unterschiedliche Standpunkte geben, Austausch und Diskurs sollten aber auf
allen Ebenen konstruktiv und wertschätzend gepflegt werden. Menschlich,
vernünftig und mit Augenmaß abwägen und entscheiden – diese Kunst und
Weisheit wünsche ich den Männern und Frauen, die in unseren Landtag gewählt
werden.
## „Keine Opferrolle für ländliche Regionen“
Meine Perspektive ist die aus einer sehr ländlichen, dünn besiedelten,
strukturschwachen Region, aber ich wehre mich gegen eine Opferdarstellung
unserer Region. Es gibt hier viele Leute die neue Ansätze entwickeln. Aber
häufig wird in der Landespolitik nicht berücksichtigt, welche Bedürfnisse
es in der Bevölkerung gibt. Wir beraten zu kommunalen Konflikten und hören
immer wieder, dass es eine Kluft zwischen Verantwortlichen in Städten und
Gemeinden und der Zivilgesellschaft oder Bevölkerung gibt.
Was auf Landesebene beschlossen wird, nimmt häufig die Ballungsräume in den
Blick und kommt in den [11][entlegenen Regionen] sehr spät an. Wir
versuchen, eine zivilgesellschaftlich-staatliche Zusammenarbeit auf die
Beine zu stellen, um die anstehenden Zukunftsaufgaben mitzugestalten. Das
braucht eine finanzielle Ausstattung ebenso wie Personal in den Behörden.
In Sachsen-Anhalt haben wir eine demokratische Krise, deshalb müssen die
demokratiebildenden Projekte gestärkt werden. Das Landesprogramm für
Demokratieentwicklung ist finanziell viel zu dünn aufgestellt. Es ist
erstaunlich, dass das spätestens seit der letzten Landtagswahl nicht
ausgebaut wurde. Es gab vielfältige Veränderungen im Land, ob durch die
Migrationspolitik 2015/16, durch die Elbeflut 2013 oder die heißen Sommer.
In denen wurde zum Beispiel Wasser aus den Gärten und Feldern der
ländlichen Regionen abgeleitet, um die Elbe schiffbar zu machen. Bei den
Leuten kommt dann an: Wir sind nichts wert, wir sind ja nur der ländliche
Raum.
Es gibt Gemeinden, die uns gesagt haben, dass seit den 1990ern kein
Politiker der Bundes- oder Landesebene mehr bei ihnen aufgetreten ist. Es
macht was mit den Menschen, wenn man nur das Gebiet der Überschwemmungen
oder der Wölfe ist. Es ist wichtig, diese Menschen mehr zu hören und
wahrzunehmen, welche Ideen und welches Innovationspotenzial vorhanden sind,
sowie gleichzeitig [12][Räume für Aushandlungen] zu schaffen. Denn Krisen
führen auch dazu, dass Menschen sich aufmachen und neue Dinge entwickeln.
6 Jun 2021
## LINKS
[1] https://www.zeitz.de/Leben/Bauen-und-Wohnen/Stadtentwicklung/
[2] /Daenische-Probe-aufs-Exempel/!5765146
[3] https://www.courageimvolksbad.de/
[4] /Anti-Autobahn-Aktionstag-gegen-die-A14/!5771715
[5] https://www.az-online.de/altmark/kalbe/kalbe-ruft-klimanotstand-13245869.ht…
[6] /Anti-Autobahn-Aktionstag-gegen-die-A14/!5771715
[7] https://seebruecke.org/lokalgruppen/magdeburg-2/
[8] /taz-Community-ueber-Klima-und-Klassismus/!5773706
[9] /Der-Wald-in-Sachsen-Anhalt/!5771949
[10] https://www.wernigerode-tourismus.de/
[11] /Migration-aus-Sarajevo-in-die-Pfalz/!5754375
[12] http://xn--Rume%20fr%20Aushandlungen-51b17c
## AUTOREN
Sarah Ulrich
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