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# taz.de -- Landgrabbing in Ostdeutschland: Aldi-Erben greifen nach Agrarland
> Immer mehr Großinvestoren steigen in ostdeutsche Landwirtschaftsbetriebe
> ein. Agraraktivisten sprechen sogar von illegitimer Aneignung von Land.
Bild: Wer macht hier in Thüringen Kasse? Die reichen Erben aus dem Westen?
Das Landgrabbing in Ostdeutschland geht ungebremst weiter – trotz aller
Kritik. Denn immer mehr Äcker und Wiesen gelangen in die Hände von
ortsfremden Großinvestoren, und immer mehr Gewinne fließen von armen
Regionen im Osten in wohlhabendere im Westen.
Die Behörden schauen meist untätig zu. So verhinderten die Ämter in
Sachsen-Anhalt zum Beispiel nicht, dass jetzt auch eine Stiftung der
Aldi-Erben in ein Landwirtschaftsunternehmen eingestiegen ist. Ende Juni
nahm die Genossenschaftsversammlung des Agrarbetriebs Kayna in
Sachsen-Anhalt drei Firmen mit dem Namen Boscor im Titel als Mitglieder
auf, wie aus dem Sitzungsprotokoll hervorgeht, das der taz vorliegt.
Alleiniger Gesellschafter dieser Unternehmen ist laut Handelsregister die
Lukas-Stiftung, eine der drei Eigentümerinnen des Discounters Aldi Nord.
Die nunmehr acht Genossen wählten zwei Geschäftsführer der Boscor-Firmen zu
ihren alleinigen Vorstandsmitgliedern. Die Aldi-Leute haben also die
Führung des Agrarbetriebs übernommen. Es ist die erste bekannt gewordene
Investition einer Aldi-Stiftung in einen Agrarbetrieb.
Die Firma erhielt laut [1][Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung]
im vergangenen Jahr ungefähr eine halbe Million Euro Agrarsubventionen von
der Europäischen Union, davon 350.213 Euro Basisprämie. Diese betrug dem
Bundesagrarministerium zufolge in Sachsen-Anhalt [2][pro Hektar 179 Euro].
Der Betrieb bewirtschaftete also etwa 2.000 Hektar. Das ist sehr viel,
selbst in Sachsen-Anhalt, wo der Flächendurchschnitt der Agrarbetriebe mit
[3][273 Hektar] im Vergleich zu Westdeutschland schon sehr hoch ist.
„Das ist ein Privatinvestment der Lukas-Stiftung“, sagte Florian Scholbeck,
Sprecher der Unternehmensgruppe Aldi Nord, der taz. Er könne aber
ausschließen, dass der Agrarbetrieb ein Zulieferer von Aldi werden solle.
Eine Kontaktmöglichkeit der Stiftung für Nachfragen gebe es nicht. Deshalb
bleibt zum Beispiel der Kaufpreis unbekannt. Der Agrarbetrieb selbst wollte
sich auf taz-Anfrage nicht äußern. Aldi Süd ließ die Frage unbeantwortet,
ob auch seine Stiftungen in landwirtschaftliche Betriebe investiert haben.
## Agrarsubventionen versprechen sichere Rendite
Wahrscheinlich wollen die Aldi-Nord-Eigentümer ihr Milliardenvermögen nun
auch in Agrarflächen investieren, weil Staaten und Banken kaum noch Zinsen
etwa auf Anleihen zahlen. Wegen der Niedrigzinsphase kaufen zunehmend sogar
Konzerne Äcker, die dank der größtenteils je Hektar gezahlten
EU-Agrarsubventionen eine sichere Rendite versprechen.
Eine [4][Studie des bundeseigenen Thünen-Forschungsinstituts] für Ländliche
Räume zeigt, dass immer mehr ostdeutsche Agrarunternehmen Ortsfremden
gehören. Das traf Anfang 2017 auf 34 Prozent der 853 untersuchten Firmen in
allen neuen Bundesländern zu. 2007 waren es nur 22 Prozent gewesen.
Agraraktivisten sprechen von Landgrabbing, also der illegitimen Aneignung
von Land. Die Gewinne aus der Nutzung des Bodens und milliardenschwere
Agrarsubventionen fließen aus den Gemeinden ab. So wird der Wohlstand immer
ungleicher verteilt. Das trägt zur Frustration von Menschen auf dem Land
bei, vor allem im Osten. Sie merken zum Beispiel: Die reichen Erben aus dem
Westen machen hier Kasse und schaffen das Geld in den Westen. Den Gemeinden
gehen Einnahmen verloren, denn überregionale aktive Kapitaleigentümer
zahlen keine Ertrags- oder Einkommensteuer am Sitz ihrer
Tochterunternehmen.
Zudem tragen die Käufer von außerhalb dazu bei, dass die Bodenpreise noch
weiter steigen. Seit 2007 haben sich die Verkaufswerte von
landwirtschaftlich genutztem Land laut Statistischem Bundesamt im Schnitt
mehr als verdoppelt. Gerade kleine Bauern können in diesem Bieterkampf
nicht mithalten. Dabei bieten ihre Höfe durchschnittlich mehr Arbeitsplätze
pro Hektar und eine größere Vielfalt von Pflanzen und Tieren.
## Die Kleinen kommen kaum zum Zuge
Selbst wenn ein Großinvestor in Schwierigkeiten gerät und Land wieder
verkaufen muss, kommen die Kleinen kaum zum Zuge. Das belegt das Beispiel
der Unternehmerfamilie Steinhoff aus Niedersachsen. Sie ist einer der
größten Agrarlandbesitzer Deutschlands und an dem Möbelkonzern
[5][Steinhoff International Holdings] beteiligt, der angibt, 12.000
Geschäfte in über 30 Ländern zu besitzen.
Ab 2017 wurde der Konzern von einem Skandal um milliardenschwere
Bilanzmanipulationen erschüttert. Nun bestätigen Eintragungen im
Handelsregister nach Recherchen der ökologisch orientierten
Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, dass die Familienholding
drei Tochtergesellschaften mit insgesamt rund 2.700 Hektar verkauft hat.
Nicht an viele Kleinbauern, sondern an einen einzelnen Investor
beziehungsweise sein Firmengeflecht: an den Milliardär Ludwig Merckle, Erbe
von Adolf Merckle, der den Arzneimittelhersteller Ratiopharm gegründet hat.
Eigentlich können die Behörden laut Grundstücksverkehrsgesetz Käufe von
Agrarland verhindern, wenn der Erwerber nicht Landwirt ist und ein Bauer
die Fläche benötigt. Aber diese Regeln werden umgangen, wenn der Käufer
nicht das Land allein, sondern Anteile einer Firma kauft, der die Fläche
gehört.
## Die Behörden erlaubten den Deal
Genau so einen Share Deal fädelten Steinhoff/Merckle ein. Hinzu kommt, dass
der Käufer bei solchen Verträgen die Grunderwerbsteuer in Höhe von je nach
Bundesland 3,5 bis 6,5 Prozent spart, wenn er nur maximal 94,9 Prozent der
Firma erwirbt. Der Rest geht typischerweise an einen Strohmann.
Doch auch wenn die Flächen zunächst nicht per Share Deal verkauft werden,
schaffen es die Behörden zuweilen nicht, diese Geschäfte zu verhindern:
[6][2015 verkauften mehrere Tochterfirmen der Holding KTG Agrar an eine
weitere Tochter namens ATU rund 2.800 Hektar Acker]. Das mussten sie sich
von den jeweiligen Landkreisen nach dem Grundstücksverkehrsgesetz
genehmigen lassen. Die Behörden erlaubten den Deal, denn die ATU war ja
tatsächlich ein Agrarbetrieb. Nachdem aber das ganze Land der ATU gehörte,
wurde die Firma von dem weltgrößten Rücksicherungskonzern Munich Re gekauft
– per Share Deal, der nicht genehmigt werden musste. Als die Behörden das
merkten, fühlten sie sich getäuscht und hoben die Erlaubnisse für die
Verkäufe an die ATU auf.
Der in Sachsen-Anhalt zuständige Landkreis Börde begründete das damit, dass
ein 1.453 Hektar großer Betrieb aus der Region das Land dringend benötige.
Die Munich Re zog daraufhin vor das Amtsgericht Magdeburg – und gewann. Im
Juni urteilten die Richter, dass der Verkauf an die ATU legal war. Denn der
1.453-Hektar-Betrieb zähle „zu den größten Betrieben des Bundeslandes“,
schrieben sie. Rund 45 Prozent des Landes seien sein Eigentum, also nicht
nur gepachtet – eine überdurchschnittlich gute Quote in der Region. Der
Landkreis hat gegen das Urteil innerhalb der gesetzten Frist keine
Rechtsmittel eingelegt, wie das Gericht der taz mitteilte. Er hat also
aufgegeben.
Die Brandenburger Behörden dagegen haben nach Angaben des Agrarministeriums
in Potsdam [7][vor dem Amtsgericht Neuruppin gegen die Munich Re weitgehend
gewonnen], doch geht der Fall jetzt in die nächste Instanz. Egal wie er
ausgeht: Die Munich Re wird das meiste KTG-Land behalten dürfen. Denn
Brandenburg hatte laut Ministerium die Verkaufsgenehmigungen nur für 463
Hektar der dortigen 2.263 Hektar aufgehoben. Lediglich für diese 20 Prozent
der Gesamtfläche hätten sich Bauern gefunden, die das Land benötigen. Dem
Vernehmen nach waren die Preise einfach zu hoch.
## Und was tut die Politik?
Der Deutsche Bauernverband schweigt zum Thema Landgrabbing meist, offenbar
auch, weil mehrere aktuelle oder ehemalige Funktionäre der Organisation vom
Ausverkauf der Landwirtschaft profitieren, [8][wie die taz im April 2018
aufdeckte]. Aber Kurt-Henning Klamroth, Präsident des Deutschen
Bauernbunds, kritisiert: „Die Länder sind häufig mit der Aufgabe
überfordert, das Grundstücksverkehrsrecht durchzusetzen oder zu
reformieren.“ Sie sollten laut Bauernbund vorschreiben, dass auch [9][für
Share Deals von landwirtschaftlichen Unternehmen Genehmigungen] von den
Behörden erforderlich sind.
Und was tut die Politik? Sachsen-Anhalts grüne Landwirtschaftsministerin
Claudia Dalbert will handeln, doch hat sie den Widerstand ihrer
Koalitionspartner SPD und CDU bisher nicht brechen können. „Ich warte
täglich auf den geeinten Entwurf des Agrarstrukturgesetzes“ der Fraktionen,
sagte sie der taz. Auf die Frage, ob Sachsen-Anhalt im Fall Munich Re
versagt habe, antwortet sie nicht. Neue Hoffnung gibt es in Brandenburg, wo
bald über die künftige Regierung verhandelt wird. „Ein Agrarstrukturgesetz
ist eine wichtige Kernforderung in unseren letzten beiden Wahlprogrammen“,
sagte Grünen-Fraktionschef Axel Vogel der taz. „Es wird in möglichen
Verhandlungen eine wichtige Rolle spielen.“ Die Grünen würden sich nicht
mit Prüfaufträgen oder den Verweis an den Bund abspeisen lassen, „in der
Erwartung, dass es nie zu einem Landesgesetz kommen wird“.
8 Sep 2019
## LINKS
[1] https://www.agrar-fischerei-zahlungen.de/Suche
[2] https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Landwirtschaft/Agrar-Sozialpolitik…
[3] https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Jahrbuch/jb-land-forstwirtsch…
[4] /Landgrabbing-im-Osten/!5465965
[5] http://www.steinhoffinternational.com/who-we-are-and-what-we-do.php
[6] /Landgrabbing-in-Brandenburg/!5354610
[7] https://mlul.brandenburg.de/mlul/de/aktuelles/presseinformationen/detail/~2…
[8] /Ausverkauf-der-Landwirtschaft/!5498480
[9] https://www.bauernbund.de/index.php/2014-03-23-11-29-15/standpunkte
## AUTOREN
Jost Maurin
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