Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Der Gärtnerinnenhof: Raketenwissenschaft auf dem Feld
> Die „Ackeramazonen“ bewirtschaften einen Hof in Blumberg. Sie kümmern
> sich um Selbstermächtigung und das richtige Wirsingtiming.
Bild: Isabel Burmeister und Maria Natt auf einem Acker des Gärnerinnenhofs
Es nieselt, als Isabel Burmeister an einem Freitag ihre Morgenrunde mit
Hund Lucy dreht. Sie raucht drei Zigaretten hintereinander, die schwarze
Mütze tief in die Stirn gezogen. „Ich hoffe eigentlich, dass ich auf diesem
Acker eines Tages tot umfalle“, sagt sie. Vor zweieinhalb Jahren hat
Burmeister den Gärtnerinnenhof Blumberg im Berliner Speckgürtel zusammen
mit ihrer Geschäftspartnerin Maria Natt übernommen. Gemeinsam bauen sie,
beide 32 Jahre alt, auf über drei Hektar Fläche Gemüse, Beeren und Kräuter
nach ökologischen Kriterien an.
An Freitagen ist Hofverkauf: Nachdem sie zurück von ihrer Morgenrunde ist,
wuchtet Burmeister grüne Plastikkisten voller Gemüse aus der Lagerhalle und
schichtet sie vor der großen Holztür auf. „Ein bisschen Farbe im Leben“,
ruft sie, als sie zufrieden auf die leuchtende Auslage blickt.
Burmeister arbeitet seit ihrem Freiwilligen Ökologischen Jahr (FÖJ) vor
knapp 15 Jahren auf dem Gärtnerinnenhof. Schnell wollte sie nicht wieder
weg, denn nirgendwo, befand sie, war es schöner. Obwohl sie sich selbst als
„Großstadtmensch“ und „Nachteule“ bezeichnet, liebt sie an ihrem Beruf…
alles: „Es ist draußen, ich steh auf körperliche Arbeit, ich liebe unser
Gemüse und ich finde es schön, Dinge wachsen zu sehen“, sagt sie. „Du hast
dieses Pups-Samenkorn, und zum Schluss zwei Meter hohe Pflanzen, an denen
anderthalb Kilo Ochsenherztomaten dranhängen. Irre!“
Den Hofverkauf überlässt sie heute – es ist Ende Januar – der 18-jährigen
Lena Spies. Die behält den Gemüsestand vom Gewächshaus aus im Blick, wo sie
Koriander und Dill aussät. „Dieser Hof ist einmalig“, sagt Spies. Sie macht
ein FÖJ und ist eher zufällig in dem Betrieb gelandet, der nur von Frauen
bewirtschaftet wird. Inzwischen findet sie das ein Glück. „Ich habe eher
wenig Durchsetzungsvermögen. Aber hier habe ich die Möglichkeit, mich
einzubringen und mitzumachen.“ Sie bezweifelt, dass sie sich auf einem Hof,
wo Männer das Sagen haben, genauso gut zurechtfinden würde.
## „Ziemlich krasse Bräute“
„Ackeramazonen“, nennt Burmeister sich und die anderen Gärtnerinnen. „We…
ich schon finde, dass wir alles ziemlich krasse Bräute sind.“ Sie sitzt
jetzt etwas ausgepowert im Büro und telefoniert herum, auf der Suche nach
Palettengabeln und Feldspritzen. [1][Garten- und Feldarbeit sei ein harter
Job], meint sie. „Wenn wir bei 32 Grad bei der Kartoffelernte stehen, dafür
muss man stark sein. Nicht nur hier“ – Burmeister zeigt auf ihren Oberarm �…
„sondern auch innerlich, man muss Durchhaltewillen haben.“
Der Gärtnerinnenhof Blumberg ist direkt nach der Wende aus einer
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Frauen entstanden und [2][blieb ein
Frauenbetrieb,] Burmeister zögert dennoch, sich als Feministin zu
bezeichnen – für Sexismus habe sie keine Antennen. Maria Natt, die mit
Unterbrechungen seit sechs Jahren auf dem Hof arbeitet, war es wichtig,
dass hier weiterhin nur Frauen arbeiten. „Das ist ein ganz besonderer Raum,
der so entsteht“, schwärmt sie. Natt schätzt die solidarische Atmosphäre,
in der sehr aufeinander geachtet werde. „Das ist ein sicherer Ort. Hier
können junge Frauen und Mädchen ihre Potenziale entfesseln, total
loslassen.“ Und in gemischten Betrieben seien es am Ende häufig die Männer,
die auf den Treckern säßen.
Bei der Gründung des Gärtnerinnenhofs sei anfänglich von „Weiberwirtschaft…
die Rede gewesen, habe ihnen ihre ehemalige Chefin erzählt. Auch einige
Fenster seien damals in den 90er-Jahren eingeworfen worden – deshalb hätte
sie sich einen Hund angeschafft. Heute fühlen Burmeister und Natt sich in
Blumberg akzeptiert. Seit Corona mache ihr Betrieb den doppelten bis
dreifachen Umsatz, sagt Burmeister. Ob es daran liegt, dass die Menschen
mehr kochen oder lieber unter freiem Himmel auf Märkten einkaufen?
Möglicherweise. Seit der Übernahme des Gärtnerinnenhofs haben Burmeister
und Natt Produktion, Verkauf und Werbung optimiert. Die Maßnahmen tragen
jetzt die ersten Früchte.
## „Essen ist politisch“
Die beiden freuen sich, wenn sie mit ihrem Hof zeigen können, dass
[3][ökologische Landwirtschaft] wirtschaftlich sein kann. „Ich begreife die
Arbeit, die wir hier machen, per se als politisch“, sagt Natt. „Denn Essen
ist politisch und die Agrarwende längst überfällig.“
Heute läuft Burmeister nur einmal selbst über den Acker, eine weitere
Zigarette anzündend, um im Nieselregen den gesetzten Portulak zu
inspizieren. „Ich weiß auch nicht, ob der schön wird“, ruft sie Maria Natt
zu, die gerade mehrere Schubkarren voll Rindenmulch in die Gewächshäuser
transportiert. Dort drinnen riecht es nach Erde, der Regen trommelt sanft
gegen das Dach. Natt ist sichtlich froh, endlich mal wieder draußen
arbeiten und selbst Hand anlegen zu dürfen, nachdem sie die vergangenen
Wochen vor allem am Schreibtisch über der Kalkulation von Wasserrohren
verbracht hat.
Die Entscheidungen von Burmeister und Natt, die Landwirtschaft zum Beruf zu
machen, sorgte bei ihrer beider Eltern zunächst für Irritationen. „Mein
Vater dachte, Maria muss sich jetzt erst einmal auf der Alm austoben und
dann wird sie schon wieder vernünftig“, erinnert sich Natt. Dabei sei er
selbst auf einem landwirtschaftlichen Betrieb groß geworden – doch ihr
Vater habe es als Errungenschaft betrachtet, dass er eben nicht Bauer
geworden sei, sondern habe studieren können. „Der dachte: Endlich hat das
ein Ende – und dann hat das nur eine Generation gehalten“, sagt sie.
In Isabel Burmeisters Familie gab es zwar kein landwirtschaftliches Erbe,
doch auch ihr Vater war zu Beginn nicht begeistert: „Mit Abitur geht man
studieren, sonst macht man halt kein Abitur.“
Natt ärgert es, dass Leute meinen, mit einem Abitur sei man für
Landwirtschaft oder Gartenbau überqualifiziert. [4][Das sei das Klischee
vom dummen Bauern:] „Es ist definitiv ein Beruf, wo man keinesfalls zu kurz
kommt, wenn man Grips und intellektuelle Fähigkeiten hat. Im Englischen
sagt man ja: ‚It’s not rocket science‘, wenn es nicht so kompliziert ist,
aber Ackerbau und Bodenmatrix, das ist tatsächlich Raketenwissenschaft.“
Die beiden Frauen sind experimentierfreudig und probieren gerne Neues aus.
Dieses Jahr freut sich Burmeister vor allem auf die Anwendung von
Komposttee, bei der Pflanzen mit Mikroorganismen besprüht werden, um sie
präventiv gegen Stressfaktoren wie Hitze oder Wind zu stärken.
## Selbstermächtigung der Bäuerinnen
Natt hat Kurse zu regenerativer Landwirtschaft besucht, das gebe ihr
„Souveränität und Unabhängigkeit“. Selbstermächtigungsprozesse von
Landwirt*innen sind ihr wichtig, denn sie sieht die Aufteilung in
Agrarwissenschaftler*innen, „die dann die Systeme konstruieren, wie die
Landwirtschaft funktionieren soll“, und die Beraterindustrie, „die
dann die ‚dummen Bauern‘ berät, die eh nichts können“, kritisch.
Den Nachmittag verbringen Natt und Burmeister gemeinsam mit einer
Auszubildenden und zwei Hunden, die gelegentlich kläffen und viel pupsen,
im kleinen Büroraum. Isabel Burmeister sitzt über eine Excel-Tabelle
gebeugt am Schreibtisch, mit vorgeschobener Unterlippe sieht sie leicht
trotzig aus. Die drei Frauen besprechen geduldig die kleinteilige
Anbauplanung für die nächste Saison. „Das Wirsingtiming fand ich gut
letztes Jahr“, erinnert sich Natt, deren Stärke das Planerische ist. Sie
gießt Burmeister einen Tee auf, die Auszubildende reicht Energiebällchen
aus Tahin herum.
„Manchmal denkt man, wir sind in zehn Minuten fertig“, sagt Burmeister,
„aber dann klingelt dreimal das Handy, sieben Hunde bellen, und ein
Elektriker kommt.“ Im Winter steht immer viel Bürozeit an:
Neuanschaffungen, Buchhaltung, Renovierungsarbeiten. Nach Monaten der
Vorbereitung sind die Frauen erpicht darauf, bald endlich wieder auf dem
Acker stehen zu können – auch wenn das in der Erntezeit Arbeitszeiten
zwischen 50 und 80 Stunden pro Woche bedeutet.
Seit zehn Jahren kennen sich Natt und Burmeister, sie sind ein
eingespieltes Team. Burmeister hat mit ihrem Partner im Sommer 2020 eine
Wohnung im Ortskern von Blumberg bezogen. Natt wohnt hingegen in einem
Bauwagen auf dem Hofgelände. „Ich wäre nicht ganz, wenn meine Matratze
irgendwo anders wäre“, sagt sie. „Für mich ist ein essenzieller Teil vom
Leben, dass das so ineinander verwoben ist, harmonisch zusammenfließt und
eine Ganzheit bildet.“ Seitdem sie auf den Acker gezogen sei, habe sie ein
besseres Gespür für das Wetter und eine erhöhte Feinfühligkeit für den
Boden. „Man fühlt den Ort auf jeden Fall besser, wenn er auch der eigene
Lebensraum ist.“
Burmeister braucht etwas mehr Abstand, die Trennung von Beruf und Privatem
ist ihr wichtig. „Da muss Ruhe sein zu Hause. Ich will nicht, dass mich
abends noch jemand von der Seite vollquatscht, dass die Weintrauben
dahinten aber scheiße aussehen“, sagt sie. Im ersten gemeinsamen Jahr habe
sie „ein richtig schlimm schlechtes Gewissen“ gehabt, weil sie dachte, sie
mache weniger als Maria Natt.
Doch einen freien Tag die Woche müsse sie einfach haben, um keine schlechte
Laune zu bekommen. „Das war mein Prozess, zu lernen: Ich arbeite hier, was
ich kann und was ich möchte. Und manchmal sage ich dann: Nee, ist jetzt
eben nicht Hof. Ist jetzt Sonntag. Bin jetzt raus.“
19 Jun 2021
## LINKS
[1] /Ausbeutung-in-der-Landwirtschaft/!5752321
[2] /Frauen-in-Fuehrungspositionen/!5707911
[3] /Naturschutz-contra-erneuerbare-Energie/!5773026
[4] /Agrarwissenschaftler-ueber-sein-Modelabel/!5603822
## AUTOREN
Henrike Koch
## TAGS
Emanzipation
Ernährung
GNS
Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft
Schwerpunkt Bio-Landwirtschaft
Sarah Wiener
Cem Özdemir
Wirtschaftsförderung
Schwerpunkt Landtagswahl in Sachsen-Anhalt
Robert Habeck
Schwerpunkt Glyphosat
## ARTIKEL ZUM THEMA
Aus dem Garten auf den Tisch: Da haben wir den Salat
Salat ist auch lecker zu gebratenen Wachteleiern! Nehmen Sie ein paar
Blätter und erleben Sie, wie vielfältig sie sich kombinieren lassen.
„Wir haben es satt!“-Demo in Berlin: Cem Özdemir kommt vor die Tür
Seit 2011 demonstriert das Bündnis „Wir haben es satt!“ für eine
Agrarwende. Erstmals stellte sich ein Bundeslandwirtschaftsminister den
Protestierenden.
Lokale Wirtschaft: Rendite für Regionen
Die Covid-Krise hat gezeigt: Wir müssen endlich nachhaltiger und regionaler
wirtschaften. Vielversprechende Ansätze dafür gibt es bereits.
Landgrabbing in Sachsen-Anhalt: Im Reich der Großagrarier
Der Boden in Sachsen-Anhalt ist besonders fruchtbar. Eine Reform sollte die
Kleinbauern stärken – doch dann nutzten riesige Betriebe ihre Lobbymacht.
Kritik an Klöckner von den Grünen: EU-Agrarreform stockt
Die Grünen geben Bundesministerin Klöckner eine Mitschuld am Abbruch der
jüngsten EU-Gespräche. Es geht um jährlich 55 Milliarden Euro für
Landwirte.
Kein Schutz für Insekten: Union kippt Bienen-Schutz-Gesetz
Der Bundesrat hat Angst vor den Protesten der Landwirte. Deswegen hat er
die Anwendungsverordnung zum Pflanzenschutz von der Tagesordnung geworfen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.