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# taz.de -- Lokale Wirtschaft: Rendite für Regionen
> Die Covid-Krise hat gezeigt: Wir müssen endlich nachhaltiger und
> regionaler wirtschaften. Vielversprechende Ansätze dafür gibt es bereits.
Bild: Äpfel und Birnen aus der Region auf einem Wochenmarkt in Freiburg
Klassische Wirtschaftsförderung sieht oft so aus: Ein Unternehmen will sich
vergrößern, also sucht man ein Grundstück. Ein Unternehmen braucht einen
Standort, man findet einen. Fortwährend asphaltieren die Kommunen
Grünflächen, um weitere Flächen für Gewerbe anzubieten. Mitunter scheint
es, als diene der [1][Flächenverbrauch] als Arbeitsnachweis für eine
gelungene Wirtschaftsförderung. Gleichzeitig stehen bestehende Gebäude
leer oder werden zu wenig genutzt.
Städte und Gemeinden sollten endlich beginnen, die Regionalwirtschaft
systematisch zu stärken, etwa durch ein Bündnis für regionale Beschaffung.
Neben der Kommunalverwaltung könnten beispielsweise Krankenhäuser,
Stadtwerke, Diakonisches Werk oder Universitäten Teil eines solchen
Bündnisses sein. Auch größere Unternehmen, die die sich dem Gemeinwohl oder
der Region verpflichtet fühlen, ließen sich einbeziehen.
Lokale Wirtschaft stärken heißt auch, Produktion zurückzuholen. In den
letzten Jahrzehnten ist das Gegenteil passiert. An der Herstellung einer
simplen Tiefkühllasagne sind Dutzende Betriebe und 20 Nationen beteiligt.
Es gibt so viele Dinge, die Unternehmen vor Ort herstellen könnten, wenn es
beispielsweise gute Strukturen für Direktvermarktung gibt. Doch so etwas
kommt nicht von allein.
Hier sollte Politik handeln und Unternehmen fördern, die wieder auf kürzere
Wertschöpfungsketten setzen. Es geht dabei nicht darum, Fernseher wieder
lokal zu montieren. Gleichwohl ist eine Renaissance der regionalen
Produktion erstrebenswert und möglich, besonders bei Lebensmitteln und
Kleidung. In den Szenevierteln der urbanen Regionen lässt sich zudem eine
gewisse Sehnsucht nach lokalen Produkten spüren, mit denen man sich
identifizieren kann, die irgendwie besonders oder gar einmalig sind.
Es gibt im Land eine Vielzahl von Projekten, Initiativen und Konzepten,
die noch zu wenig bekannt sind. Die [2][solidarische Landwirtschaft etwa].
Das Konzept – es muss nicht nur Bio sein – sichert und schafft
Arbeitsplätze und ermöglicht Vielfalt in der Nahversorgung: Die umliegenden
Landwirte sind nicht zu Monokultur und Preisdumping gezwungen, sondern
profitieren von fairen Preisen, Kundenbindung und Wertschätzung. Zudem
bindet die Direktvermarktung Rendite an die Region, verkürzt
Wertschöpfungsketten und leistet einen Beitrag zum Klimaschutz. Woran es
hakt, sind aktive Förderimpulse aus den Städten und Regionen.
Wegweisend ist das Engagement der Regionalbewegung. In dem Bundesverband
vernetzen sich Initiativen, Unternehmen und Politik. Sie tauschen sich
darüber aus, wie man die Nahversorgung mit Lebensmitteln des täglichen
Bedarfs ausbauen kann. Es geht aber auch um regionale Finanzdienstleister,
regionale erneuerbare Energien und das regionale Handwerk.
Genossenschaften und Stiftungen sind übrigens sehr sinnvoll, um Renditen an
die Region zu binden. Anders beim Verkauf von Wohnungsbaugesellschaften an
Anleger aus aller Welt, der vor Ort die Mieten steigen lässt, profitieren
bei einer Genossenschaft die Bewohner:innen von den Gewinnen. Ein
anderes Beispiel sind Stadtwerke. Einige gehören noch zu 100 Prozent der
Kommune. Die Gewinne stützen als Bürgerrendite etwa defizitäre Schwimmbäder
oder füllen die Stadtkasse.
Als Alternative zu [3][Essenslieferplattformen], deren Gebühren in andere
Regionen fließen und lokale Gastronomie schwächen, könnten diese eine
eigene Plattform gründen, am besten genossenschaftlich und ohne
Gewinnorientierung. Man kann mit einer App überall bestellen, und Wirte
werden nicht abgezockt. In Münster gibt es bereits eine alternative
Plattform namens „Münster isst“, mit rund 180 Restaurants. Die Gebühr ist
mit 250 Euro im Jahr unschlagbar günstig.
Statt euphorisch jedes Start-up zu feiern, das zwei, drei MitarbeiterInnen
hat, lohnt sich ein Blick auf Initiativen, die bereits da sind: Das
Repair-Café entwickelt sich womöglich zum professionellen Reparaturbetrieb,
erweitert durch Second-Hand-Angebote. Möglich sind auch hypermoderne
öffentliche Werkstätten, die zugleich von ambitionierten Laien und Profis
genutzt werden, die sich noch keinen eigenen Betrieb leisten können. Solche
Orte gibt es in einigen Städten schon.
Mit einer „Wirtschaftsförderung 4.0“ kann auch die Gemeinwohlökonomie von
innovativen Technologien profitieren. Carsharing beispielsweise war vor 20
Jahren zumeist eine Initiative von Vereinen, wenig bekannt und mit
kompliziertem Buchungssystem. Die Digitalisierung hat es möglich gemacht,
dass aus dem ehrenamtlich getragenen Konzept ein großes Business geworden
ist. Ideal ist es, wenn der Carsharing-Betrieb den Bürgern gehört.
Reparaturwesen, Sharingkonzepte, urbane Produktion und Nahversorgung sind
zudem Orte der Begegnung: Teilen, Tauschen, Schenken, Kooperieren,
Selbsthilfe – all dies stärkt das Gemeinschaftsgefühl, den sozialen
Zusammenhalt. Und dort, wo sich Menschen zu Hause fühlen, möchten sie gerne
arbeiten und leben, dort findet sich qualifiziertes Personal. Das wirkt
zugleich nationalistischen Tendenzen entgegen.
Wir sollten uns öfter fragen, was gut funktioniert, wenn der Export
schlecht läuft, wenn die Weltwirtschaft schwächelt. Welche Faktoren
stabilisieren unsere Wirtschaftsgesellschaft, was ist krisenfest? Kurzum,
es geht um eine wirklich nachhaltige Wirtschaft. Förderungswürdig sind nur
enkeltaugliche Geschäftsmodelle. Die „Wirtschaftsförderung 4.0“ entwickelt
Strategien, mit denen die Risiken der Globalisierung abgesichert werden
können. Eine zukunftsfähige Ökonomie dient dem Gemeinwohl der
Stadtgesellschaft, dem guten Leben.
25 Sep 2021
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## AUTOREN
Michael Kopatz
## TAGS
Wirtschaftsförderung
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Bayern
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