# taz.de -- Anders wohnen und leben: Ins Kloster, Genossen! | |
> Gemeinschaftliches Wohnen gilt vielen als die Zukunft. Doch in | |
> Großstädten haben es solche Projekte schwer. Eine Genossenschaft geht nun | |
> aufs Land. | |
Bild: Die Künstlerin Anna Schölß in ihrem Atelier im Kloster | |
SCHLEHDORF taz | Wer durch die Klosterpforte das Gebäude betritt, wird von | |
einer Tafel begrüßt: „Kommt herein, hier ist gut sein“ steht darüber. Und | |
dann folgt in unterschiedlichen Schriften, wozu es hier im oberbayerischen | |
Kloster Schlehdorf gut sein ist: zum Ruhe finden, Zukunft gestalten, | |
Wandern, gemütlich Bier trinken, in die Berge schauen, Tanzen und, und, und | |
… Dahinter ein mannshohes Kruzifix. | |
Nein, es sind nicht die Missionsdominikanerinnen, die solchermaßen ihre | |
Besucher empfangen. Über 100 Jahre haben sie hier gelebt, aber jetzt sind | |
neue Zeiten angebrochen. Inzwischen ist die ganz und gar weltliche Münchner | |
Wohnungsbaugenossenschaft Wogeno hier Hausherrin. Im Oktober hat der | |
Aufsichtsrat dem Kauf des Klosters zugestimmt. | |
Es könnte der Beginn eines neuen Trends sein: Genossenschaften erobern den | |
ländlichen Raum. Denn schließlich platzt München aus allen Nähten, es fehlt | |
an bezahlbarem Wohnraum. Und auch die Wohnungsbaugenossenschaften, die ja | |
gerade für solchen sorgen wollen, suchen meist vergebens nach | |
erschwinglichen Grundstücken oder Bestandsimmobilien für ihre Projekte. | |
Der Schritt über die Stadtgrenzen hinaus ist deshalb naheliegend – wenn | |
auch neu. „Bisher ist es so“, erklärt Johannes Hochholzer, der das Projekt | |
in Schlehdorf für die Wogeno betreut: „Es gibt Genossenschaften, die in der | |
Stadt bauen, und es gibt Genossenschaften, die auf dem Land bauen. Aber die | |
Verbindung dazwischen fehlt.“ | |
Die Wogeno startet deshalb jetzt ihre ersten Projekte auf dem Land. Drei | |
sind es, Kloster Schlehdorf ist das am weitesten gediehene. Cohaus nennen | |
sie es. | |
Schlehdorf ist ein Dorf mit rund 1.200 Einwohnern im Pfaffenwinkel, knapp | |
70 Kilometer südlich von München. Viel gibt es über die Gemeinde nicht zu | |
sagen. Die Schauspielerin Andrea Sawatzki ist hier geboren. Größte | |
Sehenswürdigkeit: das Kloster. Sonst gibt es hier vor allem Natur, den | |
Kochelsee. Auch Murnau ist nicht weit, die Künstler des Blauen Reiter haben | |
dort gelebt und gearbeitet. | |
Anna Schölß ist ebenfalls in der Gegend gelandet. Vor sechs Jahren schon, | |
als das Kloster noch gar nicht zum Verkauf stand. Die Künstlerin lebte | |
zuvor an einer besonders lauten Straße im Münchner Stadtteil Sendling und | |
wollte einfach nur raus aus der Stadt. Erst wohnte sie mit anderen | |
Künstlern zusammen in einer Landkommune ein paar Kilometer weiter, | |
schließlich zog sie mit ihrem Freund nach Schlehdorf. | |
Als dann das Cohaus den Probebetrieb aufnahm, bewarb sie sich sofort für | |
eines der dortigen Ateliers. Hier malt sie nun, wo früher Schwester Josepha | |
ihr Büro hatte – mit postkartenverdächtigem Bergblick. 290 Euro Miete zahlt | |
Schölß derzeit. Gern würde sie nun mit ihrer Familie – inzwischen hat sie | |
eine Tochter – ganz hier einziehen. „Ich finde das Projekt sehr spannend“, | |
erzählt die 36-Jährige, „deshalb habe ich gleich angedockt.“ | |
Wohnen, Arbeiten, Lernen – das ist der Dreiklang, den sich die Wogeno für | |
das Cohaus wünscht. Konkret soll das, wenn im neuen Jahr der eigentliche | |
Betrieb begonnen hat, so aussehen: Rund 70 Zimmer werden an | |
Wogeno-Mitglieder vergeben, aufgeteilt in mehrere Cluster. Das heißt: | |
möglichst wenig Privatfläche, möglichst viel Gemeinschaftsfläche. Ein | |
Konzept, das die Wogeno hier zum ersten Mal umsetzt. | |
## Das Leben spielt sich draußen ab | |
Die Zimmer sind klein, 11 bis 30 Quadratmeter, inklusive Nasszelle. Miete: | |
300 bis 450 Euro, dazu kommt eine Einlage von rund 10.000 Euro. Die Zimmer | |
dienen vor allem als Rückzugsort. Das Leben spielt sich großteils außerhalb | |
dieser vier Wände ab: in den Küchen, in den Gemeinschaftsräumen, im | |
Rosengarten. | |
Was das für Gemeinschaftsräume sein werden, darauf will sich Hausleiter | |
Hochholzer nicht festlegen. „Es gibt sehr viele Flächen, die einfach zur | |
Verfügung stehen, und da muss sich die Hausgemeinschaft Gedanken machen: | |
Wollen wir eine Werkstatt, ein Billardzimmer, ein Kino, einen | |
Fahrradreparaturraum? Ich könnte mir auch vorstellen, dass einer der | |
Gemeinschaftsräume zum Spielezimmer für die Kinder wird.“ Car- und | |
Bikesharing-Angebote soll es in jedem Fall geben, auch Coworking-Plätze. | |
Hochholzer führt durchs Haus, durch die bislang noch eher klösterlich-karg | |
wirkenden Gänge. „Das sind hier noch die alten Möbel der Nonnen“, sagt er, | |
als er die Tür zu einem der Gästezimmer aufschließt. Hier können | |
Seminarteilnehmer, Wogeno-Mitglieder aus München oder auch die Gäste von | |
Hausbewohnern nächtigen. Auch die „Bauernstube“ ist genauso belassen, wie | |
sie die Schwestern hinterlassen haben. Mit Kruzifix, Marienstatue, Engeln | |
und rustikaler Einrichtung. | |
An der Flügeltür zu einem Gang steht noch: „Klausur. Schwesternbereich. | |
Kein Durchgang.“ Eine Psychologin wohnt und arbeitet nun hier, auch ein | |
Künstler. Im ehemaligen Gebetsraum sind ein kleiner Filmverleih und eine | |
Musiktherapeutin untergebracht. Davor parken zwei Bobbycars, ein paar Meter | |
weiter liegt auf einer massiven Kommode eine dicke Bibel, das | |
Lukas-Evangelium ist aufgeschlagen. Daneben eine Holzfigur, der heilige | |
Dominikus. | |
Das Konzept sei darauf angelegt, dass es sich auch an Situationen anpassen | |
könne, die sich vielleicht erst in der Zukunft ergeben, erklärt Hochholzer. | |
Das Gelingen hänge aber stark vom Engagement der Bewohner ab, so der | |
studierte Physiker. „Genossenschaftswohnen ist ja oft so: Ich zieh wo ein, | |
und das ist meine Wohnung und meine Genossenschaft für den Rest meines | |
Lebens.“ Hier dagegen ist alles im Fluss. Theoretisch zumindest. | |
Neben den Wohnungen soll es auch 16 Gewerbeeinheiten geben, die von den | |
hier wohnenden Genossen, aber beispielsweise auch von Leuten aus dem Dorf | |
angemietet werden können. So wie das Atelier von Anna Schölß. Dazu kommt | |
als dritte, kleinste Säule des Projekts ein Seminarbetrieb. Schölß | |
beispielsweise ist auch Yoga-Lehrerin. Regelmäßig gibt sie hier Kurse für | |
Interessierte aus der Umgebung. Auch Externe können die Räume für Seminare | |
mieten. | |
An Möglichkeiten mangelt es nicht. Schölß hat gerade eine Ausstellung unten | |
im Haus. „Das ist unglaublich toll, dass man so eine Möglichkeit hat. Ideen | |
werden hier eigentlich immer aufgegriffen.“ Auch einen Künstlerstammtisch | |
hat sie bereits ins Leben gerufen. | |
Das Unflexibelste an dem Kloster sind letzten Endes die Gemäuer selbst. | |
„Wir behandeln das Kloster so behutsam wie möglich“, verspricht Hochholzer. | |
„Wir werden jetzt hier nicht alle Klostermauern einreißen und umbauen.“ | |
Ginge auch gar nicht. Denn nicht nur die Fassade, sondern auch das Innere | |
des Klosters steht zu einem Großteil unter Denkmalschutz. So wird sich | |
manche seit Langem hier ansässige Heiligenstatue künftig mit den neuen | |
Bewohnern die Räume teilen und an die Geschichte des rund 300 Jahre alten | |
Klosters erinnern. | |
Die wurde seit Anfang des 20. Jahrhunderts von den Missionsdominikanerinnen | |
geprägt, einem internationalen Orden. „Zum Teil haben hier 100 Schwestern | |
gelebt“, erzählt Schwester Margit, die gerade mal wieder in ihrem alten | |
Zuhause vorbeischaut. Doch dann wurde es immer weniger. | |
## Das Spirituelle steckt in den Räumen | |
Als sie selbst 1974 in den Orden eintrat, waren sie noch etwas mehr als 60; | |
vor 20 Jahren waren die letzten Novizinnen hier. Das Haus wurde zu groß, | |
schließlich boten sie es zum Verkauf an. Kostenpunkt: 4,2 Millionen Euro. | |
Von dem Erlös haben sich die Schwestern auf dem Grundstück ein kleines | |
neues Wohnhaus gebaut. Dort leben jetzt noch 27 von ihnen. Alter: 65 bis 93 | |
Jahre. | |
„Uns war sehr wichtig, dass dieses Kloster wieder mit Leben erfüllt wird“, | |
erklärt die Nonne. „Wir hatten am Schluss so viele Räume, die wir verwaltet | |
haben, aber nicht mehr genutzt. Und das ist ja nicht der Sinn eines | |
Gebäudes.“ Anfangs seien viele Investoren auf sie zugekommen, die hätten | |
aus dem Kloster Eigentumswohnungen oder ein Hotel machen wollen. Doch für | |
die Schwestern kam das nicht in Frage. Das Projekt der Wogeno dagegen habe | |
sie gleich begeistert. Gemeinschaftliches Wohnen und Arbeiten – das kam | |
ihnen bekannt vor. | |
Und die Wogeno ihrerseits merkte schnell, dass die Struktur, in der die | |
Schwestern das Haus genutzt hatten, auch für ihr Projekt ideal war. Denn | |
letztendlich haben diese schon Clusterwohnen betrieben, als es den Begriff | |
noch gar nicht gab. | |
Sicher, es gibt Unterschiede: Während an der Pforte noch ein Schild aus der | |
Zeit, als hier die Nonnen wohnten, den Weg zum „Münzfernsprecher“ zeigt, | |
erfährt man auf einem provisorisch an die Wand geklebten Zettel das | |
Passwort fürs W-LAN. Und während Schwester Margit erzählt, wie sie und die | |
übrigen verbliebenen Nonnen jeden Tag bis zur Kaufentscheidung darum | |
gebetet haben, dass das Haus in gute Hände kommt, jongliert Hochholzer mit | |
Begriffen wie „partizipativer Prozess“, „agiles Mobilmanagement“ und | |
„Nutzungsmix“. Aber eine Vokabel benutzen sie alle, Schwestern wie | |
Genossen: „Gemeinschaft“. | |
„Das, was hier gewachsen ist, die Spiritualität, das steckt ja in den | |
Räumen“, sagt Schwester Margit. Dem Haus bleiben die Ordensfrauen noch | |
immer verbunden. Den Ersten Advent haben sie gemeinsam mit den neuen | |
Hausbewohnern gefeiert. Und ihr Gebet haben sie umformuliert. Jetzt bitten | |
sie den Herrgott darum, dass es dem Kloster unter den neuen Eigentümern gut | |
ergehe. „Das beten wir jetzt aber nur noch einmal in der Woche.“ | |
25 Dec 2019 | |
## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
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