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# taz.de -- Verbandschef über Genossenschaften: „Wir warten nicht auf den St…
> Genossenschaften könnten Probleme schrumpfender Regionen lösen, sagt Ralf
> W. Barkey, Vorstandschef des Genossenschaftsverbandes.
Bild: Unabhängige Stromversorgung: Aufbau eines Windrads im Windpark Feldheim …
taz: Herr Barkey, wann ist die Genossenschaft die beste Rechtsform für ein
Unternehmen?
Ralf W. Barkey: Das ist natürlich eine Fangfrage. Sie werden verstehen,
dass ich die genossenschaftliche Rechtsform prinzipiell für die beste
Rechtsform halte.
Geht klar. Aber was ist so gut an einer Genossenschaft?
Die Genossenschaft als Rechtsform ist urdemokratisch. Bei Abstimmungen hat
jedes Mitglied immer eine Stimme, egal wie viele Anteile es hat. Wenn Sie
als Mitglied also etwas durchsetzen wollen, müssen Sie Ihre Mitgenossen
überzeugen, Sie können sie nicht dominieren. Zugleich ist sie juristisch
die am einfachsten handelbare: Sie brauchen nur zwei Mitstreiter, die sich
zusammenschließen. Sie brauchen keinen Notar, wenn Sie ein- oder austreten;
wenn Sie austreten, können Sie Ihre Anteile wieder mitnehmen.
In der Diskussion um mangelnde Perspektiven für den ländlichen Raum müssen
Genossenschaften immer wieder als Problemlöser herhalten. Können sie das
leisten?
Der Genossenschaftsgedanke ist ja aus einer solchen Notsituation heraus
entstanden. Und wir stellen fest, dass dieser Gedanke sehr modern ist.
Dort, wo wir gesellschaftliche, wirtschaftliche oder soziale Problemlagen
haben, sagen Menschen immer wieder, wir warten nicht auf den Staat, wir
ergreifen selbst die Initiative und gründen Genossenschaften. Wenn Kommunen
Schulen, Schwimmbäder, Kitas nicht mehr führen können, engagieren sich
Bürger und übernehmen sie in Genossenschaften.
Und dann sind diese Einrichtungen wieder finanzierbar?
Ich habe in meiner näheren Umgebung eine Eissporthalle, die die Kommune vor
einigen Jahren hochdefizitär an eine Genossenschaft übergeben hat. Die
schreibt heute schwarze Zahlen, weil sich die Menschen dort ehrenamtlich
engagieren und weil sie etwa die Öffnungszeiten nicht auf die Bedürfnisse
des öffentlichen Dienstes, sondern auf die ihrer Mitglieder abgestimmt
haben. Sie öffnet nun vor allem am Wochenende, wenn die meisten Zeit haben.
Wenn der Staat nicht kann, kommt die Stunde der Genossenschaften?
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wir sagen nicht, wir brauchen keinen
Staat. Der Staat steht schon in der Verantwortung und muss die
Mindestinfrastruktur bereitstellen. Aber bei Zusatzangeboten sind
Genossenschaften manchmal die bessere Lösung. Oder wo der Staat zu langsam
ist.
Was meinen Sie damit?
Thema Breitband. In vielen ländlichen Regionen wollen Bürger und
mittelständische Wirtschaft nicht auf das Angebot der Telekom warten. In
NRW haben deshalb die ersten Genossenschaften die Versorgung übernommen.
Die gehen auf zwei Architekten zurück, die ihre Angebote mangels schnellem
Internet nicht elektronisch abgeben konnten und entscheiden mussten, ob sie
zumachen oder wegziehen. Sie wählten den dritten Weg. Inzwischen steht die
Entwicklung der ländlichen Räume übrigens als Ziel in jedem
Koalitionsvertrag. Da fragen die Ministerpräsidenten bei uns an: Wie machen
wir das? Wie kriegen wir die Verkehrsversorgung hin, wie
Freizeitmöglichkeiten?
Genossenschaften werden aber doch nicht von oben gegründet!
Aber manchmal kommen schon die Kommunen mit Investitionsbedarf und fragen
uns, wie sie an Geld kommen. Und dann gibt es ganz schlaue Kämmerer, die
sagen, wir wandeln unser Elektrizitätswerk in eine Genossenschaft um und
behalten 51 Prozent, damit wir das Sagen haben. Da müssen wir natürlich
entgegnen, dass eine Genossenschaft keine Kapitalsammelstelle ist, sondern
eine Unternehmensrechtsform mit demokratischen Strukturen, in der niemand
über einen Mehrheitsanteil verfügt. Wenn sie aber bereit sind, sich auf
diesen Gedanken einzulassen, kann die Initiative auch von der Kommune
ausgehen. In der Regel werden Genossenschaften aber natürlich von
Bürgerinnen und Bürgern initiiert.
Ein beliebtes Feld für Genossenschaften war in den vergangenen Jahren die
Energiewende. Da scheint der Boom aber inzwischen nachzulassen. Woran liegt
das?
Energiegenossenschaften sind seit 15 Jahren das große Thema, 50 Prozent
aller alternativ erzeugten Energien in Deutschland sind inzwischen
sogenannte Bürgerenergie. Das ist ein klares Bekenntnis der Menschen vor
Ort, selbst entscheiden zu wollen, wir wollen für unser Dorf Windkraft
nutzen, wir holen aber keinen Investor, der uns den Strom dann teuer
verkauft. Wir wollen regionale Wertschöpfung, wollen selbst etwas davon
haben, über die Mitglieder steuern, wie groß etwa die Anlage sein und wie
weit weg vom Ortskern sie stehen soll.
Das klingt, als ließen sich damit viele der bekannten Konflikte der
Windenergie mit dem Naturschutz oder mit Lärmschutz von vornherein
vermeiden. Aber noch mal: Woran hakt es im Moment?
Es ist nicht so, dass das Thema die Menschen nicht mehr interessiert. In
NRW haben wir 120 Millionen Euro Investitionskapital auf Halde liegen, die
Genossenschaften für neue Wind- und Photovoltaikanlagen einsetzen würden.
Aber die Bundesländer – und hier ist NRW vorn dabei – sind dabei, über
Landesentwicklungspläne so viel zu regulieren, dass kaum noch etwas geht.
Allein das Abstandsgebot von 1.500 Metern – in dichtbesiedelten Ländern wie
NRW bekommen Sie da keine neuen Anlagen mehr genehmigt. Wir sind doch keine
Freunde davon, Anlagen gegen den Bürgerwillen durchzusetzen. Dann kämen
auch gar keine Genossenschaften zustande.
Wie groß sind denn die Energiegenossenschaften?
Im Schnitt haben wir dort 400 Mitglieder. Das ist in vielen Fällen schon
ein großer Teil der Dorfgemeinschaft. Wenn die dann sagen, 800 Meter
Abstand ist in Ordnung, das ist der ideale Platz – warum muss die Politik
das mit Zwangsbeglückung kaputtmachen?
Sie fordern also generell mehr Flexibilität – oder eine Sonderrolle für
Genossenschaften?
Genossenschaften spielen eine besondere Rolle bei der Umsetzung der
Energiewende. Und die sollte berücksichtigt werden. In der Realität ist
aber oft das Gegenteil der Fall.
Was meinen Sie?
Genossenschaften werden oft gar nicht mitgedacht. Das fängt an bei der
Beratung, wenn Sie eine Existenz gründen wollen. Dann werden Ihnen die
klassischen Rechtsformen erklärt, Einzelgesellschaften, GmbH, GmbH und Co
KG. Die Genossenschaft kommt nicht vor. Und das geht bei der
Gründungsförderung weiter, wo es auf Landes- und Bundesebene ein sehr
reiches Instrumentarium gibt. Wenn Sie sich selbstständig machen wollen,
können Sie die Programme in Anspruch nehmen, nicht jedoch als
genossenschaftlicher Gründer.
Warum nicht?
Wenn wir mit Politikern reden, heißt es oft: Ja, stimmt, haben wir
vergessen. Da müssen wir also ran und die Politik sensibilisieren.
Allerdings gibt es auch bei den Genossenschaften schwarze Schafe. Wie
Eventus, eine Wohnungsbaugenossenschaft, die knapp 10 Millionen Euro
Genossenschaftsanteile sammelte, die dann plötzlich weg waren.
Ja, es gab ein paar wenige Fälle, in denen unter dem plakativ
hervorgehobenen Begriff Genossenschaft Kapital eingesammelt und veruntreut
worden ist. Das sind am ehesten Immobilien-Genossenschaften, weil da viel
Geld zu holen ist.
Aber Eventus war eine eingetragene Genossenschaft. Wie kann so etwas
passieren?
Da hat jemand kriminell agiert und leider ist auch nicht adäquat geprüft
worden. Jede Genossenschaft muss Mitglied in einem Prüfungsverband sein,
wie wir einer sind. Sie kann diesen Verband aber frei wählen und lässt sich
vielleicht vom Preis blenden. Aber wenn die Prüfung wenig kostet, fällt sie
womöglich auch oberflächlich aus und stellt solche Fehlentwicklungen nicht
fest.
Wie lässt sich das ändern?
Hier ist der Staat gefordert. Er hat die Aufsicht für die Prüfungsverbände
und muss dafür sorgen, dass die auch die entsprechende Leistung erbringen.
Auch im Interesse der genossenschaftlichen Idee und der über 23 Millionen
Genossenschaftsmitglieder in Deutschland.
29 Oct 2019
## AUTOREN
Beate Willms
## TAGS
Bürgerenergie
Windkraft
Genossenschaft
Bayern
Genossenschaft
Erneuerbare Energien
Übernahme
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