# taz.de -- Berater über Großgenossenschaften: „Das ist nicht wie bei der t… | |
> Genossenschaftliche Konzerne wie Edeka haben ein Demokratiedefizit, sagt | |
> Berater Burghard Flieger. Er fordert mehr Rechte für Minderheiten. | |
Bild: Genossenschaften können auch böse sein: hier das Beispiel Edeka. | |
taz: Herr Flieger, Edeka will die Kaisers/Tengelmann-Filialen übernehmen. | |
Ist das nicht erfreulich, da Edeka eine Genossenschaft mit dem Prinzip „ein | |
Mitglied, eine Stimme“ ist? | |
Burghard Flieger: Bei Großgenossenschaften wie Edeka hat das einzelne | |
Mitglied nur noch sehr begrenzt Einfluss. Die Konzernzentrale hat sich von | |
ihren Genossen, den selbständigen Einzelhändlern, weitgehend entfernt. | |
Dafür hat sie einen verschachtelten Konzern aufgebaut, der schwierig zu | |
durchschauen ist. Ähnlich ist das bei fast allen Genossenschaften, die mehr | |
oder minder internationale Konzerne geworden sind, zum Beispiel dem größten | |
Zuckerhersteller weltweit, Südzucker, oder dem Deutschen Milchkontor, der | |
größten Molkerei in Deutschland. | |
Aber in allen Genossenschaften können die Mitglieder doch durch Wahlen | |
mitbestimmen. | |
Am krassesten lässt sich das an den meisten Volksbanken zeigen: Die haben | |
Vertreterversammlungen, die den Aufsichtsrat bestimmen, der wiederum den | |
Vorstand kontrollieren soll. Die Vertreter werden aber über eine Liste | |
gewählt, die sich fast immer aus Leuten mit besonders guten Kontakten zu | |
Vorstand und Aufsichtsrat zusammensetzt. Und die Aufsichtsräte werden in | |
Absprache mit den Vorständen ausgewählt. So suchen sich die Manager ihre | |
eigenen Kontrolleure aus. | |
Können die Genossen nicht zwischen verschiedenen Listen wählen? | |
Fast nie. Anders als bei den Volkskammer-Wahlen in der DDR kann man noch | |
nicht einmal einzelne Kandidaten durchstreichen. Und die meisten Genossen | |
erfahren überhaupt nicht, dass es eine Wahl gibt. | |
Werden die nicht informiert? | |
Nein, das ist nicht wie bei der taz, wo man eine Einladung zur | |
Generalversammlung kriegt, sondern das steht dann im Anzeigenteil der | |
Regionalzeitung und oft sogar nur in Aushängen. | |
Was haben die Mitglieder nach den Wahlen zu sagen? | |
Mein „Buhmann“ ist hier die Frankfurter Volksbank: Die hat 190.000 | |
Mitglieder. Um ein Thema auch nur auf die Tagesordnung der | |
Vertreterversammlung zu setzen, brauche ich 10 Prozent der Stimmen, das | |
sind 19.000 Leute. Die kriege ich aber nie zusammen, schon weil ich die | |
Liste der Mitglieder nicht bekomme. Bei einer Aktionärsversammlung dagegen | |
habe ich das Recht, zur Hauptversammlung zu kommen und gegebenenfalls mich | |
zu Wort zu melden. Während ich bei einer Vertreterversammlung als einfaches | |
Mitglied noch nicht einmal hereingelassen werde. | |
Wie kann man diese Demokratiedefizite beheben? | |
Das Genossenschaftsgesetz sollte festschreiben, dass maximal 200 oder 300 | |
Mitglieder nötig sind, um ein Anliegen auf die Tagesordnung zu setzen. Für | |
das Einberufen einer außerordentlichen Versammlung sollten 500 Mitglieder | |
genügen. Ab einer bestimmten Größenordnung müsste die Genossenschaft eine | |
Förderbilanz darüber erstellen, was sie außer der Dividende für die | |
Mitglieder gemacht hat, zum Beispiel für ihr demokratisches | |
Selbstverständnis. Und der Bundesverein zur Förderung des | |
Genossenschaftsgedankens hat vorgeschlagen, in das Genossenschaftsgesetz | |
die Formulierung aufzunehmen: „Eine Listenwahl ist nicht zulässig.“ Dem | |
kann ich mich anschließen. | |
Gut, aber das ist Zukunftsmusik. Sind große Genossenschaften also auch | |
nicht besser als rein gewinnorientierte Unternehmen? | |
Wenn man Genossenschaften mit herkömmlichen kapitalistischen Unternehmen | |
vergleicht, handeln sie gesellschaftlich fast immer verantwortlicher. Die | |
Volks- und Raiffeisenbanken etwa haben im Vergleich zu den klassischen | |
Investment- und Spekulationsbanken eine sauberere Weste. Das liegt auch an | |
der Verankerung vor Ort, die sie zu einer stärkeren Verantwortung für ihr | |
lokales Umfeld zwingt: Sie vergeben auch Kredite an das Kleingewerbe und | |
den Mittelstand und sind kaum an Spekulationsgeschäften beteiligt. | |
Wie demokratisch ist eigentlich die taz-Genossenschaft? | |
Die Konsumenten unter den Genossen haben bei weitem nicht so viel Rechte | |
wie die Mitglieder aus der Belegschaft, was anfangs nicht genug | |
kommuniziert wurde. Die Regelung selbst halte ich aber für berechtigt, weil | |
die taz ja früher ein kleiner selbstverwalteter Betrieb war, der sich als | |
Genossenschaft geöffnet hat. Vorbildlich an der taz-Genossenschaft ist, | |
dass sie auf ihren Generalversammlungen nicht nur die Bilanzverabschiedung | |
in den Mittelpunkt stellt, sondern auch richtige Strategiediskussionen | |
führt – etwa darüber, ob und wo Regionalredaktionen verankert werden | |
sollen. | |
22 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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