| # taz.de -- Erste Ateliergenossenschaft in Berlin: Selbstbestimmte Arbeitsverh�… | |
| > In Charlottenburg hat das erste selbstfinanzierte Atelierhaus für | |
| > Künstler eröffnet. Die Idee ist aus der Not heraus entstanden: Es | |
| > herrscht Ateliernotstand. | |
| Bild: Ateliergenossenschaft am Eröffnungstag: im Atelier von Katrin Bremermann | |
| Das Wort Genossenschaft ist eine deutsche Besonderheit. In vielen Sprachen | |
| heißt das Prinzip einfach Kooperative, also Zusammenarbeit. Manche | |
| Fremdsprachler denken daher, die deutsche Form von Genossenschaft habe | |
| etwas mit Genießen zu tun. Eine Genossenschaft wäre also eine Art | |
| Zusammenschluss von Leuten, die zusammen etwas genossen haben – und | |
| wahrscheinlich auch in Zukunft noch genießen wollen. | |
| Die Künstlerin Kiki Gebauer erinnerte am vergangenen Freitagabend zur | |
| Eröffnungsfeier [1][des ersten Berliner Ateliergenossenschafthauses] an | |
| solche Übersetzungschwierigkeiten. Kiki Gebauer ist selbst Genossin und war | |
| eine der ersten Künstler*innen, die jener vor drei Jahren gründeten | |
| „Kooperative“ neuen Typs beitraten, deren Zweck Erwerb und Nutzung von | |
| Arbeitsraum für die eigenen künstlerische Zwecke sein sollte. Man könnte | |
| auch einfach sagen: Die Idee war das Genießen selbstbestimmter | |
| Arbeitsverhältnisse. Das Wort Genosse kommt übrigens tatsächlich von | |
| Genießen: „Jemand, der mit einem anderen etwas genießt“, erklärt das | |
| Lexikon. | |
| Inzwischen ist aus der Absicht Realität geworden. Die | |
| Atelierhaus-Genossenschaft-Berlin (AHGB eG) darf ab sofort von sich sagen, | |
| sie habe das erste selbst finanzierte Atelierhaus für Künstler in Berlin | |
| eröffnet. Standort: Stieffring 7 im Gewerbegebiet von Charlottenburg-Nord | |
| zwischen Kleingartenkolonien, Baumarkt und den Gefängnissen von Plötzensee. | |
| Keine 1A-Lage also, aber ein solider wenngleich gesichtsloser Büroklotz | |
| einer ehemaligen Sanitärfirma, das ist das neue Arbeitsdomizil von Kiki | |
| Gebauer und rund 30 – hauptsächlich weiblichen – Mitgliedern der | |
| außergewöhnlichen Genossenschaft. Alte Werkstätten im Erdgeschoss des | |
| Gebäudes bieten sogar Platz für Bildhauer oder Installationskünstler. | |
| Ein Glücksfall, überhaupt eine Immobilie gefunden zu haben. Natürlich ging | |
| es beim Kauf nicht ohne Kredit. Hier half eine andere Genossenschaft – die | |
| Volksbank. | |
| ## Modell für den Mittelstand | |
| Nur, ist das Genossenschaftsmodell eine echte Alternative, dem den Mangel | |
| an geeigneten Arbeitsräumen für Künstler in der Stadt abzuhelfen? | |
| Schließlich verringere sich nach Aussage von [2][Berlins | |
| Atelierbeauftragten Martin Schwegmann] die Zahl an bezahlbaren Ateliers in | |
| der Stadt um 350 pro Jahr. Das Modell richte sich an den „Mittelstand“, so | |
| formuliert es Kiki Gebauer. | |
| Wer 380 Euro pro Quadratmeter für sein Atelier als Einstandseinlage | |
| übrighat und zusätzlich monatlich 8 Euro pro Quadratmeter an laufenden | |
| Kosten berappen kann, für den war die AHGB wohl eine echte Gelegenheit: | |
| „Ich habe die dauerhafte Sicherheit, dass mich keiner rausschmeißt“, | |
| erklärt Kiki Gebauer nun den entscheidenden Vorteil. Die Genossen und | |
| Genossinnen müssen weder mit Kündigungen noch mit dubiosen | |
| Preissteigerungen der Miete rechnen. Und sie müssen auch nicht nach | |
| spätestens acht Jahren ausziehen, wie bei den vom Land Berlin | |
| subventionierten Ateliers – die dafür allerdings auch nur 4 Euro den | |
| Quadratmeter kosten. | |
| Der infrage kommende künstlerische „Mittelstand“, der sich oft durch | |
| (männliche) Ehepartner finanziert, hat beim Genossenschaftsmodell auch den | |
| Vorteil, nicht ständig seine Bedürftigkeit nachweisen zu müssen, um in | |
| seinen subventionierten Senatsateliers ausharren zu dürfen. | |
| Auch der Papierkram zur Gründung der AHGB als juristische korrekte | |
| „eingetragenen Genossenschaft“ liegt erst mal hinter den Mitgliedern der | |
| Ateliergenossenschaft. Christian Hamm vom Kunstverein Tiergarten und Ulf | |
| Heitmann, Vorstandsmitglied der Wohnungsbaugenossenschaft Bremer Höhe, von | |
| denen die Initiative zur Gründung der Genossenschaft ausging, haben da sehr | |
| geholfen. | |
| ## Mut zur Investition | |
| Am Eröffnungsabend mit „offenen Ateliers“ freuten sich jedenfalls die | |
| Ateliergenossen und deren Sympathisanten über ihr frisch renoviertes, neues | |
| Domizil. Denn es bedurfte für die angehenden Genossen und Genossinnen | |
| durchaus Mut, in ein Projekt zu investieren, von dem am Anfang niemand | |
| wusste, ob es überhaupt funktionieren würde. | |
| Reinhard Naumann (SPD,) Bezirksbürgermeister von Charlottenburg, | |
| entrichtete zur Einweihungszeremonie nicht nur ein „fröhliches Hallo“ | |
| sondern übernahm auch gleich die Rolle eines Talkmasters. So entlockte er | |
| Astrid Köppe, jetzt im Vorstand der AHGB und natürlich selbst Künstlerin | |
| mit Atelier im neuen Haus, das Bekenntnis: Die Idee zur | |
| Ateliergenossenschaft sei als Ergebnis „schwerer Not“ entstanden. In Berlin | |
| herrsche „Ateliernotstand“. | |
| Der Stolz, eigene Ateliers, ohne jegliche öffentliche Förderung selbst | |
| finanziert und in Eigenregie realisiert zu haben, war ihr und ihren | |
| Genossen an diesem Abend deutlich anzusehen. Bürgermeister Naumann konnte | |
| da für das „proaktive Engagement“ der Künstler*innen nur ein | |
| „Riesenkompliment“ aussprechen. | |
| Den geschätzt vielleicht vier‑ bis fünftausend Künstlern, die in Berlin | |
| derzeit noch ein bezahlbares Atelier suchen und nicht zum betuchten | |
| Mittelstand zählen, wäre zu wünschen, dass die Politik für sie vielleicht | |
| mehr übrighat als nett gemeinte Komplimente. Schließlich schmückt sich | |
| Berlin ständig nicht nur beim Stadtmarketing mit dem Hippness-Faktor von | |
| Kunst und Künstlern. | |
| 16 Sep 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://ahgb.info/ | |
| [2] http://www.bbk-kulturwerk.de/con/kulturwerk/front_content.php?idart=3157 | |
| ## AUTOREN | |
| Ronald Berg | |
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