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# taz.de -- Bildungsprojekt für junge Arbeitslose: Raus aus Hartz IV, rein in …
> Ein Projekt im Wedding will jungen Arbeitslosen den Weg in künstlerische
> Berufe ebnen – denn gerade benachteiligte Jugendliche kommen dort zu
> selten an.
Bild: „Es geht bei allem, was wir hier tun, letztendlich immer um Selbstbefä…
Belül Akinci sitzt in der ersten Etage eines ehemaligen Weddinger
Fabrikgebäudes in einem angenehm unaufgeräumten Atelier und wischt
zielstrebig auf ihrem Smartphone nach links, dann nach oben – und reicht
der Reporterin ihr Telefon. „Hier“, sagt die junge Frau, „können Sie mal
schauen.“
Akinci hat Kunst auf ihrem Smartphone, die 20-Jährige hat sie selbst
gemacht: Kohlezeichnungen, Stillleben, Abstraktes, Selbstporträts. Die
Arbeiten sind, so viel sieht der Laie, gut. Eine kleine digitale Werkschau
im PDF-Format, über deren Existenz Akinci selbst ein wenig erstaunt
scheint. Eigentlich, sagt die junge Frau, hatte sie doch letztes Jahr nach
ihrem Fachabi „keinen Plan“, was sie machen solle. Also zahlte ihr das
Jobcenter erst mal Hartz IV – und vermittelte sie in das Projekt der
Werkstatt für neue Technologien und Kultur in der Bornemannstraße.
Hier, in den Räumen der ehemaligen Druckmaschinenfabrik Rotaprint, hat die
Künstlerin Anna Schuster eine Atelierwerkstatt eingerichtet, die jungen
Hartz-IV-BezieherInnen den Weg in künstlerische Berufe ebnen will. Das mit
EU- und Bundesmitteln sowie Jobcentergeldern geförderte Projekt gibt es
inzwischen seit zehn Jahren. Rund 30 Plätze, aufgeteilt in zwei Gruppen,
werden pro Jahr finanziert. Träger ist die gemeinnützige WeTeK Berlin
gGmbH. Die Nachfrage, gerade seitens der Jobcenter, sei definitiv
vorhanden, sagt Schuster.
Sechs bis neun Monate bleiben die 18- bis 25-Jährigen in der
Kunstwerkstatt. Es gehe zunächst mal darum, Orientierung zu geben, sagt
Schuster – Grafikdesign, Architektur, freie Kunst, Modellbau,
Produktdesign. Was gibt es da überhaupt für jemanden wie Akinci, die
zunächst „keinen Plan“ hatte, aber immerhin wusste, dass sie ganz gut
Manga-Comics zeichnen kann.
## Talente gesucht
Man versuche natürlich rauszufinden: Arbeitet da jemand gerne mit Farben
und Formen?, fragt Schuster. Oder sitzt da vielleicht ein Modellbauer und
hat „eine Ingenieursseele“, sagt Ilona Winter, neben Schuster eine von drei
Anleiterinnen im Projekt.
Es gibt Übungen in Porträt zeichnen genauso wie die Basics in Modellbau und
Fotografie. Heike Nowotnik, die dritte im Bunde, deutet auf großformatige
Zeichnungen an den Wänden. Zeichnungen von Körperteilen, von Händen und
Gesichtern, die vor dem Auge des Betrachters seltsam verschwimmen. Als habe
jemand zwanzigmal versucht, die gleiche Linie nachzuzeichnen und sei beim
Versuch immer ein klein wenig verrutscht. Strukturübungen, erklärt
Nowotnik. Gut für den Anfang! Es gehe darum, auf den Gegenstand zu schauen,
nicht aufs Papier. Und darum, die Angst vor der Größe des Blattes und der
Aufgabe zu verlieren.
„Es geht“, sagt Schuster, „bei allem, was wir hier tun, letztendlich immer
um Selbstbefähigung.“
Und natürlich ist das, neben dem Techniktraining, der springende Punkt des
Projekts. Schuster, die lange Jahre an der Universität der Künste
unterrichtet hat, sagt, es habe sie geärgert, dass immer die gleiche
Klientel in ihren Kursen saß. Diese Ungleichheit in den Bildungschancen.
Der künstlerische Nachwuchs kam zumeist aus dem Akademikermilieu, verfügte
über die entsprechenden Möglichkeiten und Netzwerke – und auch „über das
Selbstvertrauen, sich überhaupt in einem solchen Beruf zu sehen“.
Die Kunstwerkstatt, sagt Schuster, wolle denen einen Zugang zu kreativen
Berufen ermöglichen, die sonst vermutlich nicht dort ankommen würden. Weil
sie es sich nicht zutrauen, weil sie keine Förderung aus dem Umfeld
erfahren.
## Unterschiedliche Hintergründe
Manche der Teilnehmer haben Abitur wie Belül Akinci. Andere eine
abgebrochene Ausbildung, manche überhaupt keinen Schulabschluss. Rund die
Hälfte hat einen Migrationshintergrund. Auch das sei übrigens kulturelle
Bildung im besten Sinne, sagt Schusters Kollegin Winter. Hier säßen
Menschen zusammen, die sonst vielleicht nicht miteinander über die
Porträttechniken alter Meister ins Gespräch kommen würden. „Das ist in
jeder Hinsicht und für alle Beteiligten eine Form der Milieuerweiterung.“
Kaum einer komme mit der konkreten Idee vom Jobcenter, später mal
Grafikdesignerin oder Kunstpädagoge werden zu wollen. „Aber alle“, betont
Schuster, „sind freiwillig hier. Alles andere würde auch nicht
funktionieren.“ Was die jungen Leute eint, ist also die vage Idee, dass da
eine Neigung sein könnte, mit der es jetzt etwas anzufangen gilt.
Am Ende des Kurses steht die Mappe, das Portfolio. Belül Akinci will sich
mit ihren Zeichnungen bei einem Neuköllner Verein bewerben, der mit
Kunstprojekten in Kitas und Schulen geht. „Wir sind aber kein Mappenkurs“,
betont Schuster. Mit dem Portfolio am Ende des Kurses erfüllt sie die
Förderauflagen der Geldgeber. Denn das Projekt ist eine sogenannte
AGH-Maßnahme, die Abkürzung ist Jobcenter-Deutsch für „Arbeitsgelegenheit�…
Das Portfolio ist das sichtbare Produkt, das am Ende steht.
Aber es ist eben nicht das einzige Ergebnis. Die Vermittlungsquote des
Projekts in den letzten fünf Jahren ist beachtlich. Rund 70 Prozent von 100
TeilnehmerInnen hatten nach dem Kurs „einen Plan“, besagt die Statistik für
eine der beiden Teilgruppen. Rund ein Drittel begann ein Studium, etwa an
der Kunsthochschule in Weißensee. Rund ein Fünftel machte an einem
beruflichen Oberstufenzentrum den Schulabschluss nach oder begann eine
Ausbildung, zum Beispiel zur Grafikdesignerin beim Lette-Verein.
Manche nutzen die sechs bis neun Monate freilich auch, um ihr Leben mal
grundsätzlich auf die Reihe zu kriegen. „Sonstige Problemlagen“, nennt das
Meike von Appen, die eine Stelle als „JobCoach“ bei dem Projekt hat. Da
geht es etwa um die schizophrene Mutter zu Hause, die nicht gezahlte Miete,
psychische Erkrankungen. Von Appen sortiert mit einer Sozialpädagogin diese
„Problemlagen“, die zweimal pro Woche im Projekt vorbeischaut.
Akinci legt ihr Smartphone auf den Tisch und schiebt es zögerlich hin und
her. Sie freue sich auf das Praktikum in Neukölln, das hoffentlich klappe.
Kunstpädagogik, das wäre vielleicht etwas, sagt sie.
13 Sep 2018
## AUTOREN
Anna Klöpper
## TAGS
Kunst Berlin
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Hartz IV
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