| # taz.de -- Kulturbotschaft Lichtenberg: Eine Werkstatt für die Kunst | |
| > Das Refugium für ehemalige Künstler aus dem Tacheles darf am Freitag zur | |
| > 11. Langen Nacht der Bilder öffnen – für nur einen Tag. | |
| Bild: Werkeln am Zufluchtsort in Sachen Kunst: Lucas Böttcher (li.) und Tim Ro… | |
| Noch ist der Bauzaun, der die Zufahrt zum Hof der [1][Kulturbotschaft | |
| Lichtenberg] versperrt, mit einem Vorhängeschloss versehen, das Unbefugte | |
| am Betreten des Geländes hindern soll. Genauso wurde es vom zuständigen Amt | |
| angeordnet, denn eine Nutzungsgenehmigung für das Haus gibt es noch nicht. | |
| Einst thronte das dreistöckige Backsteinhaus eindrucksvoll auf der | |
| weitläufigen Industriefläche der Herzbergstraße 53. Hier wurden früher | |
| Autos repariert und Tierhäute gegerbt. Nun verfällt das Gebäude hinter der | |
| improvisierten Absperrung. Die Fassade hat ihren ursprünglichen Farbton | |
| verloren, hier und da schwarze und vergilbte Flecken, einige Fenster sind | |
| vermauert, an manchen Ecken verlieren die Steine an Substanz. | |
| Nur ein beschriftetes Klebeband auf dem Briefkasten deutet darauf hin, was | |
| seit über einem halben Jahr hier entsteht. Es ist die neue Heimat der | |
| [2][ehemaligen Tacheles-Künstler Tim Roeloffs] und Lucas Böttcher und | |
| letzter Zufluchtsort für rund ein Dutzend Kunstschaffende aus aller Welt, | |
| die noch immer vom ausschweifenden Künstler*innen-Dasein in der freien | |
| Szene träumen. Doch diese Zeiten sind vorbei. | |
| Tim Roeloffs erscheint am Zaun und öffnet das Schloss. Er trägt | |
| Militärjacke und Trucker-Cap. Die Schuhe verschwinden in den weiten, | |
| abgelatschten Beinen der hellen Camouflagehose. Das Wort Atelier hört er | |
| nicht gerne, „Werkstatt“ nennt er die Räume, in denen er und seine | |
| Kolleg*innen arbeiten. | |
| ## Früher eine Garage | |
| Zeitungen, Kartons und Werkzeuge liegen auf dem Boden und den Tischen. Eine | |
| rote Hebebühne zeugt von der einstigen Nutzung als ehemalige Garage. „Die | |
| müssten wir mal verkaufen“, sagt Roeloffs beiläufig, „funktioniert ja | |
| noch.“ Unter den opulenten Kunstwerken und zufälligen Gegenständen fällt | |
| sie trotz ihrer wuchtigen Gestalt kaum auf. An den Wänden hängen bunte | |
| Gemälde – Papierschnipsel, Fotos und Buchstaben formen großflächige | |
| Kompositionen, die Themen wie Antikapitalismus, Antifaschismus, Wohnungsnot | |
| und Gentrifizierung vermitteln. Collagen, die Roeloffs einst zum | |
| Erfolgskünstler machten. | |
| Anfang der 90er Jahre zog der Niederländer in das vom Umbruch gezeichnete | |
| Berlin und fand Anschluss in einem besetzten Kaufhaus in der Oranienburger | |
| Straße, das fortan zum Mittelpunkt der autonomen Kunstszene werden sollte. | |
| Das Kunsthaus Tacheles wurde zu einer Institution, und mit ihm seine | |
| Künstler*innen. „Kommunistisches Disneyland“ nennt er die Zeit, in der | |
| nichts bedeutungsvoll erschien, außer der Kunst und dem leichtblütigen | |
| Streben nach Freiheit. Der Traum ging weiter, als unter den Scharen von | |
| Touristen*innen, die in dieser Zeit in das Kunsthaus strömten, plötzlich | |
| Donatella Versace auftauchte und vor Roeloffs Collagen stehen blieb. Auf | |
| der Suche nach Inspirationen für ihre neue Kollektion schien sie die | |
| richtigen Motive gefunden zu haben und beauftragte Roeloffs mit weiteren | |
| Arbeiten. | |
| Das brachte ihm nicht nur Geld und die Aufmerksamkeit der Szene, sondern | |
| auch die der Politik. Der damalige Bürgermeister Klaus Wowereit lud ihn ins | |
| Rathaus ein und machte ihn zum Kulturbotschafter Berlins. Man wusste das | |
| Erfolgsimage der Kunstszene für die Stadt zu nutzen. Die Marketingkampagne | |
| „be Berlin“ entstand, dessen Urheber, nach eigenen Angaben, Roeloffs ist. | |
| Heute kann er sich davon nichts mehr kaufen. Zu den jährlichen Empfängen im | |
| Rathaus gehe er nicht mehr. „Da gibt es kein Bier, nur Sekt“, resümiert | |
| Roeloffs die Sinnlosigkeit dieser Veranstaltungen. | |
| ## Motorradclub als Nachbarn | |
| Dass er und seine Kunst heute in ein Industriegebiet in Lichtenberg | |
| ausweichen müssen, hätte er damals nicht gedacht. Die Bedingungen seien | |
| nicht optimal, aber man versuche sich zu arrangieren. „Wir sind froh, | |
| überhaupt hier zu sein“, sagt Lucas Böttcher, der gemeinsam mit Roeloffs | |
| die Kulturbotschaft gegründet hat. | |
| Anfang des Jahres einigte man sich mit dem Eigentümer auf einen für vier | |
| Jahre befristeten Mietvertrag, der eine zehnprozentige Mitnutzung des | |
| Objekts durch den Motorradclub „Wolfsritter“ vorsieht. Die Unterschied | |
| zwischen den beiden Mietparteien könnte nicht größer sein. Man missfällt, | |
| aber toleriert sich. Die Biker seien außerdem immer nur freitags in ihrem | |
| Clubraum, beschwichtigt Roeloffs. | |
| Nun steht er mit Böttcher in einem heruntergekommenen Raum, der bald | |
| Ausstellungsfläche für hochkarätige Gemälde, Videoinstallationen und | |
| ausgefallene Performances sein soll. „Ziel ist es, aus dem Haus ein | |
| begehbares Gesamtkunstwerk zu gestalten“, so Böttcher. | |
| Doch noch stehen sie mit diesem Vorhaben am Anfang. Aus der maroden | |
| Holzdecke ragen lose Bretter hervor, Kabel hängen von der Wand, der | |
| löchrige Fußboden wurde zum Teil mit schwarz-weißen Platten bedeckt. Alles | |
| ist angefangen, noch nichts fertig. | |
| ## 500.000 € Strafe angedroht | |
| Bedenken, dass sie bis zur offiziellen Eröffnung am Freitag (dem 14. | |
| September) nicht fertig werden, haben sie aber nicht. „Wir werden in den | |
| nächsten vier Jahren nicht fertig sein, alles so zu gestalten, wie wir | |
| wollen“, scherzt Böttcher. „Kunst entsteht eben aus dem Chaos“, fügt | |
| Roeloffs hinzu. Eine Einstellung, die sie aus Tacheles-Zeiten mitgenommen | |
| haben und nun im Industriegebiet von Lichtenberg weiterleben. | |
| In einigen Ecken des Hauses lassen sich die ambitionierten Pläne bereits | |
| erkennen. Bis zum Freitag wird sich in den Räumen der Kulturbotschaft noch | |
| einiges getan haben. Denn dann findet hier die erste Werksausstellung | |
| statt, unter anderem mit Werken des Regisseurs Jürgen Böttcher, Vater von | |
| Lucas Böttcher und als Maler unter dem Pseudonym Strawalde bestens bekannt. | |
| Das zuständige Amt hatte eine öffentliche Nutzung des alten | |
| Industriegebäudes bisher untersagt, weil keine Nutzungsgenehmigung | |
| vorliegt. Jetzt darf das Kunsthausprojekt im Rahmen der 11. Langen Nacht | |
| der Bilder für Gäste öffnen, aber eben nur für diesen einen Tag. Unter dem | |
| Motto „500.000 Euro“ – das ist die absurde Strafandrohung des Amtes bei | |
| Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen – wird es ab 15 Uhr eine offene | |
| Malaktion für Kinder geben, anschließend weitere Performances mit Musik und | |
| Film und um 19 Uhr die offizielle Ausstellungseröffnung. | |
| Wie es nach diesem Tag weitergeht, wissen Roeloffs und Böttcher noch nicht. | |
| Fest steht: sie wollen erst mal hier bleiben. Ob sich das Amt davon ärgern | |
| lassen wird, oder am Ende nur der ansässige Motorradclub, bleibt | |
| abzuwarten. Der 14. 9. ist nämlich ein Freitag. | |
| 12 Sep 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Leonard Laurig | |
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