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# taz.de -- Kulturbotschaft Lichtenberg vor dem Aus: Bürokratie legt Kunst lahm
> In Lichtenberg waren viele der geräumten Tacheles-Künstler*innen
> untergekommen. Scheitern sie wegen bürokratischen Klein-Kleins?
Bild: Die drei von der Kulturbotschaft Lichtenberg: (v. l. n. r.) Lucas Böttch…
Ein bisschen stolz ist Lucas Böttcher schon, wenn er davon erzählt, was er
sich hier im Industriegebiet in Lichtenberg gemeinsam mit ehemaligen
Künstler*innen des Kunsthauses Tacheles aufgebaut hat. „Viele, die
hierherkommen, fühlen sich an die alten Tacheles-Zeiten erinnert, für sie
ist das ein unvergessliches Erlebnis.“
Nachdem das legendäre Kunsthaus in der Oranienburger Straße 2012 geräumt
wurde und Böttcher mit seinen Kolleg*innen gehen musste, haben sie vor fast
einem Jahr eine neue Initiative gegründet: die [1][Kulturbotschaft
Lichtenberg in der Herzbergstraße 53]. Es sollte, wie damals in Mitte, ein
kreativer Freiraum entstehen, den Künstler*innen aus aller Welt nutzen
können, um ein genreübergreifendes und begehbares Gesamtkunstwerk zu
schaffen. In gewisser Weise ist das bis dahin auch gelungen.
Doch jetzt stehen sie wieder kurz davor, ihre Sachen packen zu müssen. Denn
die im April 2018 beantragte Nutzungsänderung in eine Produktionsstätte
wurde vom Stadtentwicklungsamt abgelehnt. Damit aber wäre die
Kulturbotschaft eine Kunstwerkstatt, in der keine Kunst produziert werden
darf.
Für die Künstler*innen ist diese Absage unbegreiflich. Im April letzten
Jahres hatte man ihnen noch an einem runden Tisch mündlich die Möglichkeit
zugesichert, in dem neuen Gebäude produzieren zu dürfen. Anwesend waren
damals neben Bezirksbürgermeister Michael Grunst und Kultursenator Klaus
Lederer (beide Die Linke) auch die Bezirksstadträtin der Abteilung
Stadtentwicklung, Birgit Monteiro (SPD).
## Bürokratische Schikanen
Während sich Grunst und Lederer nach wie vor für das Projekt aussprechen,
erteilte Monteiro den Künstler*innen nun die Absage. Die Gründe für diese
Entscheidung entzweien die Gemüter. Im offiziellen Schreiben des
Bezirksamtes heißt es, das ehemalige Fabrikgebäude in der Herzbergstraße
befinde sich in zweiter Reihe und sei nur über eine Zufahrt auf dem
angrenzenden Flurstück erreichbar.
Für die Nutzung dieser Zufahrt hätten die Künstler jedoch kein Wegerecht,
weil sie sich auf dem Grundstück des Vermieters befinde und somit zu dessen
Eigentum zähle. Außerdem füge sich die angegebene Teilnehmendenzahl von
maximal 70 Personen bei möglichen Veranstaltungen hinsichtlich der
baulichen Nutzung nicht in das gewerblich geprägte Umfeld ein.
Für Lucas Böttcher ist die Begründung reine Schikane: „Wenn der Besitzer
des Grundstückes uns dieses Gebäude vermietet, ist es doch
selbstverständlich, dass wir auch die dazugehörige Zufahrt auf dem
Grundstück mitnutzen dürfen.“
Außerdem sei aus dem Antrag klar hervorgegangen, dass im Normalfall und
ausschließlich zu Produktionszwecken wesentlich weniger als 70
Künstler*innen und Helfer*innen gleichzeitig im Haus vorgesehen sind.
Lediglich in „anlassbezogenen Ausnahmefällen“, wie etwa bei einer
Mitgliederversammlung, sei diese Anzahl von Personen geplant. In der
Ablehnungsbegründung ist stattdessen von „Präsentationen und
öffentlichkeitswirksamen Terminen mit bis zu 70 Teilnehmern“ die Rede.
Böttcher fühlt sich bewusst missverstanden.
## Eine „politische Sache“
Auch für Tim Roeloffs, einer der Mitgründer der Kulturbotschaft, ist die
Argumentation der Bezirksstadträtin nicht nachvollziehbar. „Das ist ein
Schlag ins Gesicht für alle Künstlerprojekte, die mit Eigeninitiative
versuchen, Berlin und die Kunst attraktiv zu halten.“ Die Entscheidung,
ihnen das Produktionsrecht in der Kunstwerkstatt zu verwehren, sei eine
„politische Sache“. Die abgewählte Bezirksbürgermeisterin Monteiro, die n…
das Amt der Bezirksstadträtin inne hat, versuche damit, ein Wunschprojekt
des Kultursenators Lederer und jetzigen Bürgermeisters Grunst zu
verhindern.
Monteiro zeigte sich auf Nachfrage der taz verwundert über diese Art der
Interpretation. Die Belege, die Flurstücke des Geländes mitnutzen zu
dürfen, hätten die Künstler*innen nicht eingereicht. Außerdem ließen sie
eine zweiwöchige Frist, sich zu den Umständen zu äußern, verstreichen.
Sollten tatsächlich weniger als die angegebenen 70 Personen bei der
Mitarbeit der Projekte beteiligt sein, hätten sie das in einer Antwort
richtigstellen können.
„Eine solche Anhörung ist auch immer eine Einladung für die Betroffenen,
sich zu der Sachlage zu äußern. Diese Möglichkeit haben sie nicht genutzt,
stattdessen sind sie in die Öffentlichkeit gegangen“, so Monteiro. Den
Vorwurf, die Angelegenheit für politische Zwecke zu instrumentalisieren,
wies sie ebenfalls zurück. „Das bringt mir persönlich überhaupt nichts.
Hauptansatz ist es, nichts zu verhindern. Ich finde es toll, dass Kultur
produziert wird.“
Dennoch bleibt es vorerst bei der Absage, wenngleich Monteiro die
Produktion von Kunst grundsätzlich befürworte und auch für die
Kulturbotschaft noch eine Chance sehe.
## Auch Kunstsammler betroffen
Einer ähnlichen Situation sah sich Mitte vergangenen Jahres das
Kunstsammlerehepaar Barbara und Axel Haubrok ausgesetzt, welche das
benachbarte Grundstück um das Gelände der Herzbergstraße besitzt. Die
„Fahrbereitschaft“ sollte sich als große, international bekannte Kunsthalle
mit wechselnden Ausstellungen verstehen.
Bislang wurde das immer wieder für einzelne Ausstellungen geduldet, nie
aber genehmigt, bis das Amt eine Untersagung der Ausstellungstätigkeit
allgemein aussprach und die Haubroks ihren Antrag zurückzogen. Wieder war
es Monteiro, die eine Nutzung für Ausstellungszwecke ablehnte.
Auch wenn die Ausgangslage bei einer solch angesehenen Kunsthalle mitten im
Industriegebiet eine andere ist als bei der Kulturbotschaft, schmerzt die
Absage und geht zu Lasten des Standortes Lichtenberg. Ein erneuter Versuch,
die Fahrbereitschaft mit neuen Projekten zu reaktivieren, sei vorerst nicht
geplant, ließ Karin von Hülsen, Vertreterin der Haubrok Foundation
mitteilen. Ob es dann demnächst überhaupt noch Kunst in der Herzbergstraße
geben wird, bleibt damit fraglich.
29 Jan 2019
## LINKS
[1] https://de-de.facebook.com/KulturbotschaftLichtenberg/
## AUTOREN
Leonard Laurig
## TAGS
Kunst Berlin
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Lichtenberg
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