| # taz.de -- Verleger Hannes Wanderer ist gestorben: Ein großzügiger Mensch | |
| > Er hat alles richtig gemacht, seine renommierten Fotobücher entstanden | |
| > mit viel Leidenschaft: Ein Nachruf auf den Berliner Verleger Hannes | |
| > Wanderer. | |
| Bild: Hannes Wanderer im Jahr 2014 beim Fotoshooting in seinem Buchladen | |
| Obwohl Fotobücher oft nur in einer Auflage von wenigen hundert Exemplaren | |
| erscheinen, werden jedes Jahr Hunderte von ihnen veröffentlicht. Die | |
| Fotobuch-Szene ist relativ klein und einigermaßen überschaubar. Und in | |
| dieser Szene ragen Persönlichkeiten umso mehr heraus. Eine dieser | |
| Persönlichkeiten war Hannes Wanderer, der am 9. September 2018 im Alter von | |
| nur 60 Jahren unerwartet in Berlin verstarb. | |
| Wanderer war sowohl Verleger ([1][Peperoni Books]) als auch Buchhändler | |
| (sein „25 Books“ ist weltweit als einer der besten Fotobuchläden bekannt). | |
| In öffentlichen Vorträgen verwies er stets als Erstes auf die Tatsache, | |
| dass er in einer Druckereifamilie aufgewachsen sei – die Liebe für das | |
| gedruckte Bild habe ihn seither nicht mehr verlassen. Und so war es auch. | |
| Bei Wanderer gaben sich einige der bekanntesten Namen der Fotografie die | |
| Klinke in die Hand. Mit Thomas Hoepker, Mitglied der renommierten Magnum | |
| Fotoagentur, produzierte er Bücher mit Arbeiten aus dem Archiv des | |
| legendären Fotografen, darunter dessen Bilder von Muhammad Ali. [2][Michael | |
| Wolfs „Tokyo Compression“] erlangte in der Fotoszene schnell Kultstatus und | |
| wurde mehrfach nachgedruckt – in einer Welt, in der sich oft selbst die | |
| wenigen hundert gedruckten Exemplare eines Buchs nicht verkaufen lassen, | |
| eine kleine Sensation. | |
| Und in den letzten beiden Jahren kümmerte sich Wanderer darum, dass die | |
| lange vergessenen Arbeiten der [3][amerikanischen Fotografin Mary Frey] | |
| endlich einem großem Publikum bekannt wurden. Zur Eröffnung einer | |
| Ausstellung Freys in Köln Anfang September konnte er bereits nicht mehr | |
| kommen. Am Telefon ließ er verlauten, es ginge ihm nicht gut. Das Buch, das | |
| sie zusammen gemacht hatten, lag natürlich vor Ort aus. | |
| ## Ein hartes Geschäft | |
| Aber es waren nicht ausschließlich die großen Namen, die ihn | |
| interessierten. Solange jemand auch nur ein kleines Interesse am Fotobuch | |
| hatte, war er bei Wanderer an der richtigen Adresse. Und wer noch kein | |
| Interesse hatte – na, die würde er auch noch bekehren. In den letzten | |
| Jahren hatte ich oft die Gelegenheit, Wanderer dabei zuzusehen, wie er sich | |
| mit Studenten oder möglichen Kunden über Bücher unterhielt. Seine | |
| Leidenschaft war offensichtlich und für manche Leute fast ein wenig | |
| überwältigend. Man muss ja auch eine Menge Leidenschaft mitbringen, wenn | |
| man Bücher in so kleiner Auflage für einen so begrenzten Markt verlegen | |
| will. Das ist ein hartes Geschäft, wie Wanderer selbst immer wieder | |
| betonte. | |
| Leidenschaft allein reicht natürlich nicht aus, wenn man Fotobücher machen | |
| möchte. Obwohl sie auf einer höheren Ebene operieren, haben sie vieles mit | |
| Kinderbüchern gemeinsam. Beide erzählen Geschichten mit einer sehr kleinen | |
| Anzahl von Zutaten, eben Bilder/Fotos und dazu eventuell ein wenig oder | |
| halt kein Text. | |
| Dieser Ansatz ist seit den Jahren des klassischen Fotojournalismus, ob nun | |
| bei LIFE oder im Stern, bekannt. Dort wurde durch die Auswahl und | |
| Reihenfolge und Kombination der Fotos mit sehr spezifischen | |
| Bildunterschriften die gewünschte Botschaft übermittelt. Im Bereich des | |
| Fotojournalismus werden auch heutzutage noch solcherlei Bücher produziert. | |
| Das Künstlerbuch aber macht es sich zumeist schwerer. Auf erklärende | |
| Bildunterschriften wird verzichtet. Es wird nicht erklärt, es wird nur | |
| gezeigt. Aus dem Gezeigten ergibt sich die Geschichte, vorausgesetzt, man | |
| macht es richtig. Ebendieses Richtigmachen ist die große Kunst des | |
| Fotobuchs, eine Kunst, für die Wanderer ein erstaunliches Gespür entwickelt | |
| hatte: einem Buch die richtige Form zu geben. Und das heißt, die Fotos und | |
| die Grundmaterialien des Buchs selbst auszuwählen (Umschlag, Papier, die | |
| Art zu drucken etc.) – all dies beherrschte er wie kaum ein anderer. | |
| ## Dann ging es ans Eingemachte | |
| Zu Wanderers Leidenschaft gesellte sich ein Ausmaß an Großzügigkeit und | |
| Uneigennützigkeit, das in der Welt der Fotografie, gerade im Bereich der | |
| Kunst, alles andere als gang und gäbe ist. Da wurde der interessierten | |
| Kundin einfach eine Flasche Bier oder eine Limo angeboten – „25 Books“ w�… | |
| ohne dies undenkbar gewesen. Und dann ging es ans Eingemachte, dann | |
| demonstrierte Wanderer, warum genau das Buch, das er in kürzester Zeit auf | |
| einem der unzähligen Regale gefunden hatte, genau das wäre, das der Kundin | |
| gefallen könnte. | |
| Es ging ihm dabei nicht darum, ein Buch zu verkaufen. Der Verkauf, so er | |
| denn stattfand, war mehr so etwas wie die Teflonpfanne in der Raumfahrt: | |
| Das ergab sich nebenher. Stattdessen ging es Wanderer immer darum zu | |
| zeigen, wie man Geschichten nur mit Fotos erzählen kann, ob es nun um einen | |
| Boxweltmeister ging, um Pendler, die wie Sardinen in U-Bahn-Wagen | |
| gequetscht sind, oder um das an sich belanglose und gerade deshalb so | |
| erstaunliche Leben in einer amerikanischen Kleinstadt. | |
| Aus dem Jiddischen hat das amerikanische Englisch das Wort „Mensch“ | |
| übernommen. Ein „Mensch“ ist nicht nur einfach, was das Wort im Deutschen | |
| bedeutet, ein Mensch. Ein „Mensch“ ist eine besonders herausragende Person, | |
| eine, die sich durch all die Eigenschaften auszeichnet, die Hannes Wanderer | |
| zu eigen waren. Würde ich jemandem in meinem amerikanischen Alltag erklären | |
| wollen, wer Hannes Wanderer war, dann würde ich sagen, dass er ein „Mensch“ | |
| war – und mein Freund. | |
| Hannes, die Lücke, die du in Berlin und weit darüber hinaus hinterlassen | |
| hast, werden wir nicht füllen können. Hannes, mein Freund, du wirst uns | |
| allen fehlen. | |
| Der Autor lehrt Fotografie an der Kunsthochschule in Hartford (USA), | |
| schreibt über Fotografie auf [4][CPhMag.com] und für internationale | |
| Fachzeitschriften. | |
| 17 Sep 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.peperoni-books.de/ | |
| [2] http://photomichaelwolf.com/# | |
| [3] https://www.maryfrey.com/ | |
| [4] https://cphmag.com/ | |
| ## AUTOREN | |
| Jörg Colberg | |
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