Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Foto-Messe Unseen Amsterdam: Traut nicht allem, was ihr seht
> Unseen Amsterdam versteht sich als Plattform für aufstrebende
> Fotokünstler. Mit denen konnte man in der siebten Ausgabe ins Gespräch
> kommen.
Bild: Zeitgenössische Fotografie wie diese hier gab es bei Unseen Amsterdam
Dass Menschen, die eine Begeisterung für Fotografie hegen, gerne
stilbewusst auftreten, ist keine Überraschung. Dass sich die Kunstwelt
dabei so gelassen gibt, wie sie es [1][am Wochenende in Amsterdam] tat,
fällt hingegen auf: Möglich, dass das an dem sie umgebenden Parkidyll lag,
oder an den Fritten vorm Eingang, die zum nassen Meereswind nicht besser
hätten schmecken können.
Oder aber, hier geht schlichtweg ein Konzept auf: Unseen Amsterdam hat vom
21. bis 23. September zum siebten Mal auf das historische Industriegelände
der Westergasfabriek geladen, um das Neue in der Fotografie der Gegenwart
aufzuspüren – neue Entwicklungen, neue Namen, neue Werke bekannter Größen.
Als Messe für zeitgenössische Fotografie wollen die Veranstalter Geld
fließen lassen, als Plattform für aufstrebende Künstlerinnen und Künstler
möchte Unseen Amsterdam dabei aber zugänglich bleiben. „The photo fair with
festival flair“: So lautete schon 2012, als der Startschuss fiel, das
Motto.
Damals habe dem Kunstmarkt schlichtweg gefehlt, nach links und rechts neben
das Etablierte zu schauen – „weil sich immer alles um die gleichen Namen
drehte“, sagt Emilia Van Lynden, künstlerische Direktorin von Unseen
Amsterdam. Außerdem sei immer das gleiche Publikum mit den immer gleichen
Sammlern zusammengekommen. „Was fehlte, sei der Blick nach vorn, und unsere
Generation – in all diesen Rollen“, sagt die 1989 geborene Niederländerin.
## Osteuropa sehr präsent
Wie das Unseen Amsterdam dieses Jahr angepackt hat, wollten gut 25.000
Menschen sehen. Im kreisrunden Gasometer, der die Messe beherbergte, waren
die Ausstellungswände wie zu einem Lamellenfilter zusammengestellt.
Arbeiten von mehr als 140 Künstler*innen aus 35 Ländern waren dort zu
sehen, unter ihnen etwa Weronika Gęsicka aus Polen oder der in Israel
geborene Wahlberliner Benyamin Reich.
Ausgestellt hatten rund 50 Galerien, auch aus Ländern wie dem Libanon,
Katar, dem Iran und Japan – die meisten allerdings waren westeuropäisch
oder nordamerikanisch. „Nicht nur einzelne Talente, sondern auch Teile
dieser Erde für den Kunstmarkt sichtbar zu machen, versuchen wir intensiv“,
sagt Van Lynden.
Osteuropa sei in den letzten Jahren sehr präsent geworden, dasselbe gelte
für Afrika und den asiatischen Raum. „Weiterkommen müssen wir, was Künstler
aus Südamerika, Australien und Ozeanien angeht“, sagt Van Lynden.
Zwischen Messe und Festival, wo Unseen Amsterdam sich also verortet, dehnt
sich das Programm von Jahr zu Jahr aus: Ein Büchermarkt kam hinzu, mehrere
Ausstellungen, Workshops und Diskussionsrunden. Um unentdeckte Talente zu
Tage zu fördern, werden mittlerweile fünf Auszeichnungen vergeben, und mit
diesen Stipendien, ein Preisgeld von 10.000 Euro oder der Vertrieb eines
Bildbandes im großen Stil.
## Fotografie als intimes Experiment
Kernstück von Unseen Amsterdam bleibt jedoch, Kunstschaffende und
Kaufwillige zusammen zu bringen. Seit vergangenem Jahr bietet die Fotoschau
auch Kunstkollektiven Raum dafür, „weil uns immer wieder Künstler
anfragten, die nicht von Galerien vertreten wurden, aber genauso mitmachen
wollten“, sagt Van Lynden.
So kamen dieses Jahr Arbeiten von insgesamt etwa 300 aufstrebenden wie
etablierten Künstlerinnen und Künstler bei Unseen Amsterdam zusammen. Dass
mehr als jede Dritte von ihnen angereist ist, ermöglicht, den White Cube
auch mal White Cube sein zu lassen und in der Westergasfabriek auf
Tuchfühlung mit zeitgenössischer Kunst gehen zu können.
Und so erfahren Besucherinnen etwa, dass Pixy Liao, in New York lebende
Fotografin aus Shanghai, ihre Fotografie als intimes Experiment nutzt, um
ihrer Identität und ihren Sehnsüchten auf die Schliche zu kommen, wie sie
sagt. Liaos inszenierte Bilder zeigen eine dominante Frau, die sich
selbstbewusst dem Blick des Betrachters stellt, während sie ihren Freund
etwa übers Knie legt.
An der Grenze zwischen dokumentarischer und konzeptioneller Fotografie
bewegt sich die südafrikanische Künstlerin Alice Mann. Ihre Serie
„Drummies“ – ausschließlich weibliche Sportgruppen zwischen Marching Ban…
und Cheerleading – zeigt schwarze Mädchen und junge Frauen in grauen rauen
Umgebungen Kapstadts. Sie selbst leuchten in knallpink-, lila- und
türkisfarbenen Uniformen.
## Grafische Elemente
Das Licht, das auf sie fällt, schleudern Pailletten in alle Richtungen.
„Eine Drummy ist halb Athletin, halb Prinzessin“, sagt Mann, die 1991 in
Südafrika geboren wurde und das Apartheidsystem also kaum miterlebte, das
im ganzen Land Townships ohne Strukturen hinterlassen hat. „Der Sport macht
die Mädchen stark“, sagt Mann.
Und wohin bewegt sie sich also, die Fotografie der Gegenwart? „Am
deutlichsten beobachte ich, dass unterschiedliche Arten von Medien immer
mehr ineinanderfließen“, sagt Van Lynden.
Grafische Elemente gelangen an Fotografien, die neu sein können oder aus
Archiven stammen, die mit den Ideen von Konzeption und Dokumentation
jonglieren. „Diese Grenzen werden immer mehr verschoben“, sagt Van Lynden.
„Rafał Milachs Arbeiten sind dafür das beste Beispiel.“
## Phasen des Aufbruchs
Der polnische Fotograf und Grafikdesigner setzt sich seit Jahren mit den
postsowjetischen [2][Entwicklungen in Osteuropa] auseinander. Der „Schwarze
Protest“ der Frauen im Jahr 2016, der sich gegen eine Verschärfung der
Gesetze zur Abtreibung richtete; die Massenentlassung von
Fernsehjournalisten, die Justizreformen: „eine ressourcenreiche Zeit“, sagt
Milach.
In „The First March of Gentlemen“ brachte er historisches Bildmaterial
unterschiedlicher Phasen des Aufbruchs in der polnischen Geschichte
zusammen – für eine Parabel des Protests, die Lehren der Vergangenheit mit
der verwirrten Gegenwart verknüpft.
In Zeiten des Schwarz-Weiß-Zeichnens „verstehe ich das als die Botschaft
der zeitgenössischen visuellen Künstler“, sagt Emilia Van Lynden: „Traut
nicht allem, was ihr seht – nehmt euch Zeit und schaut genauer hin“.
24 Sep 2018
## LINKS
[1] /Tourismus-Experte-ueber-Amsterdam/!5467418
[2] /Politologe-ueber-Europas-Osten-und-Westen/!5445105
## AUTOREN
Natalia Bronny
## TAGS
Fotografie
Kunstmarkt
zeitgenössische Kunst
Ausstellung
Großer Tiergarten
Kunst Berlin
Erziehung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Große Bruegel-Ausstellung in Wien: Der Meister der Handelsmetropole
Pieter Bruegel d. Ä. wurde viel zu lange auf Genrebilder reduziert. In Wien
gibt es nun die Gelegenheit, den Maler neu zu entdecken.
Einheitsfest in Berlin: Streetart für die Massen
Zur Feier des 3. Oktober wird eine riesige Fotocollage am Brandenburger Tor
aufgestellt. Über die Ausschreibung hatte sich der Veranstalter in
Schweigen gehüllt.
Verleger Hannes Wanderer ist gestorben: Ein großzügiger Mensch
Er hat alles richtig gemacht, seine renommierten Fotobücher entstanden mit
viel Leidenschaft: Ein Nachruf auf den Berliner Verleger Hannes Wanderer.
Wenn das eigene Kind volljährig wird: Ein fettes „Happy Birthday, Großer!“
Der Nachwuchs wird 18. Eine Rückschau auf kleine und große Ängste,
durchwachte Nächte und Wochenenden auf Fußballplätzen. Hat es sich gelohnt?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.