# taz.de -- Wenn das eigene Kind volljährig wird: Ein fettes „Happy Birthday… | |
> Der Nachwuchs wird 18. Eine Rückschau auf kleine und große Ängste, | |
> durchwachte Nächte und Wochenenden auf Fußballplätzen. Hat es sich | |
> gelohnt? | |
Bild: Kinder hebeln etwas aus, etwas das mit Eigenliebe und Selbsterhaltungstri… | |
Heute wird mein ältestes Kind 18 Jahre alt. Mir wäre es überhaupt nicht | |
peinlich, wenn auf dieser Seite einfach ein großer Blumenstrauß abgebildet | |
wäre, mit einem fetten „Happy Birthday, Großer!“ So viel und so ein Vater | |
bin ich dann schon. | |
Aber als ich im Vorfeld dieses Festtages unter Kolleginnen und Kollegen mal | |
den – nicht mal – Vorschlag, eher: die Eingebung äußerte, ob ich nicht zu | |
diesem Anlass einen Text „Kinder – hat sich das eigentlich gelohnt?“ | |
schreiben sollte – da gab es Interessierte, insbesondere bei denen, die | |
gerade Eltern geworden sind. Und als ich dann kürzlich mit fast | |
gleichaltrigen Freunden zusammensaß, die jetzt in die Lebensphase | |
einsteigen, wo sie Kinder bekommen möchten – da kam ich mir, mich freuend, | |
erläuternd, ermutigend, aber eben auch vor falschen Erwartungen warnend, | |
schon so vor, als liege nun etwas Großes hinter mir (was natürlich nicht so | |
ist, ich habe ja noch mehr entzückende Kinder). | |
Ich. Habe. Kinder. Sehr merkwürdige semantische Konstruktion. Es | |
unterstellt Besitz, ich habe ein Haus, eine Versicherung etc. Und doch | |
wirkt „ich habe Kinder“ immer noch angemessener als etwa das „ich habe ei… | |
Freundin“. Denn zweifellos gibt es eine Spanne, in der die Kinder von ihren | |
Eltern beziehungsweise von Erwachsenen abhängig sind. Aber jetzt, wo mein | |
Sohn volljährig wird, habe ich ihn doch immer noch. Und im Gegenteil habe | |
ich gerade in jüngster Zeit im Freundeskreis die Erfahrung machen müssen, | |
dass man sich nie mehr Sorgen um ein Kind machen muss, als wenn es gerade | |
volljährig geworden ist: und orientierungslos und traurig schwerste Fehler | |
macht. | |
Ich bin mit Kindern aufgewachsen, mit meinen Brüdern vor allem, in der | |
Schule, in einer Nachbarsgruppe, die sich jeden Tag nach der Schule draußen | |
traf. Und als ich wieder Kinder um mich hatte, erst in Ferienjobs, dann zu | |
Hause – da kam mir das, obwohl ich mich nicht danach gesehnt hatte, ganz | |
natürlich vor. | |
Aber das stimmt so nicht. Ich habe ja gesagt: Ich warne! Kinder – ja; Babys | |
– na ja. Es war ein Schock, ein Baby zu bekommen, die bis heute größte | |
Einschränkung meiner Freiheit. Es war ein großartiger Anfang – aber es war | |
auch ein sehr hartes Ende, wie wenn man am letzten Tag des Skiurlaubs | |
abschwingt, die Bindung öffnet, noch mal hinaufschaut und sagen muss: Das | |
war’s dann. | |
## Bis in eine elfte Dimension | |
Es war so, wie ich es kürzlich in einem Science-Fiction-Roman gelesen habe. | |
Da werden Protonen aufgefaltet, bis in eine elfte Dimension. Kleinste | |
Teilchen werden riesig. So riesig wie die Dimension der Verantwortung, die | |
ich seit der Geburt meines Sohnes mit mir herumschleppe. Mal ist sie | |
winzig, ich vergesse sie. Mal türmt sie sich gewaltig auf. Ich schrecke | |
nachts hoch und sehe meinen doch so großen Sohn in Schwierigkeiten, | |
irgendwo da draußen – und ich kann nichts tun, außer nicht dem Impuls | |
nachzugeben, ihn sofort anzurufen. Ich gehe tagsüber so für mich hin, | |
plötzlich rauscht ein Lkw an mir vorbei und ich erstarre, ich sehe mein | |
Kind unter den Rädern liegen, der Schweiß bricht mir aus und ich gehe | |
weiter, als könnte ich jemals noch einfach so weitergehen. | |
Kinder hebeln etwas aus, etwas das mit Eigenliebe und Selbsterhaltungstrieb | |
zu tun hat. Mit dem Kind wird das Andere wichtiger als das Eigene. Und das | |
führt natürlich manchmal geradewegs in die Melancholie, sogar in die | |
Depression. Der Mensch mag das nicht, auf Dauer, dass ein anderes Leben | |
wichtiger ist als das eigene. Ich erinnere mich an einen jammerigen Abend | |
mit einem Vater, der trotz Bier gar nicht darüber hinwegkam, dass sein lang | |
gebuchtes und dringend gebrauchtes Wellness-Wochenende an der Krankheit | |
seines Kindes scheitern würde. So ist der Mensch. Und Kinder sind so – sie | |
schicken einen immer mal wieder in die Isolation, in eine Art Kloster: und | |
gerade wenn man alleinerziehend ist, auch in die richtige, echte | |
Verzweiflung. | |
Ohne diese kinderkrankheitsbedingten Zwangspausen wäre ich vielleicht schon | |
tot – weil ich meinen Appetiten zu gnadenlos gefolgt wäre; oder vor | |
Langeweile gestorben. | |
## Meine Kinder schulden mir nichts | |
Immer, wenn ich das in diesem Jahr erschienene Buch „Warum wir unseren | |
Eltern nichts schulden“ in die Hand nahm, legte ich es gleich wieder weg: | |
Es kam mir vor wie ein Buch mit dem Titel „Warum Bayern wieder Meister | |
wird“ oder „Warum Merkel nicht weg muss“. Nein, meine Kinder schulden mir | |
nichts, sie sollen nicht mal darüber nachdenken. Aber was und wie viel und | |
vor allem wie lange schulde eigentlich ich etwas meinen Kindern? Spontan | |
sage ich: Alles und immer auf ewig. Es gibt in meiner näheren Umgebung | |
andere Perspektiven – und ich weiß, dass das bei vielen Paaren ein Konflikt | |
ist. Meiner Erfahrung nach hat das nichts mit dem Geschlecht, aber viel mit | |
der Sozialisierung zu tun. Ich bin gespannt, wie sich das entwickelt, wenn | |
es in Deutschland keine Kinder mehr gibt, die von einer Fulltime-Mutti | |
betreut wurden. | |
Es ist so: Meine Kinder geben meinem Leben einen Sinn. Ich weiß nur nicht | |
immer, ob es der richtige ist. | |
Es gibt eine Fotografie meiner beiden Söhne, da sind sie so zwölf und acht | |
Jahre alt. Es ist Herbst, wir steigen einen Berg hoch, sie sind | |
zurückgeblieben, sie machen Quatsch, es ist langweilig im Forst, ich | |
fotografiere sie im Rückwärtsgehen. | |
Immer wenn ich dieses Bild anschaue, öffnet sich mein Herz wie ein | |
Mantarochen. Die beiden tollen rum, sie haben eine wilde, sinnlose | |
Fröhlichkeit an sich, die mich glücklicher macht als fast alles andere auf | |
der Welt. Ist es meine eigene, vergangen-verlorene Kindheit, die mich hier | |
so rührt? Ist alles nur Projektion? Kann sein. Ohne die Kinder hätte ich | |
die aber jedenfalls nicht, nicht so konkret, hätte ich nicht mal die. Ich | |
glaube an die Kindheit, ich liebe meine Kinder, aber nicht zuletzt liebe | |
ich durch sie alle Kinder. Und das klingt jetzt schon sehr nach Papa Wutz. | |
## Die Sonne schien golden, wir hatten Bier in der Hand | |
Es war letztes Wochenende, an einem prächtigen Spätsommernachmittag, als | |
ich mir ein A-Jugendspiel meines Sohnes anschaute, was ich fast nie tue, | |
ich kenne die Fußballplätze Berlins von F- und E- und D-Jugend-Zeiten, das | |
reicht für ein Leben. Auf einmal sprach mich jemand an, es war ein Vater, | |
dessen Sohn einst mit meinem angefangen hatte zu spielen, der dann den | |
Verein gewechselt hatte – aber nun kickten sie wieder zusammen im selben | |
Team. Fast ein Dutzend Jahre rissen plötzlich vor uns auf, aus Kindern, die | |
wir pro Training zweimal hatten trösten müssen, waren Spieler geworden, mit | |
denen wir nicht mehr mithalten konnten. | |
Wir umarmten uns, plauderten entspannt, während unsere Jungs verloren; die | |
Sonne schien golden, wir hatten ein Bier in der Hand, vom Platz kam | |
Kampfgeschrei rübergeweht, es war der Moment, an den man sich vielleicht | |
später erinnert: Da, an diesem Tag, da hat sich alles genau die Waage | |
gehalten, unsere Kinder waren groß, wir waren noch nicht ganz alt, sie | |
wollten losziehen, wir konnten sie gehen lassen, sie waren jung und | |
hungrig, wir hatten uns ein Durchatmen verdient. | |
Happy Birthday, Großer! | |
17 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
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