| # taz.de -- Ausstellung zu fotografischen Porträts: Weder Geniekult noch simpl… | |
| > Das Künstlerporträt zeichnet eine heilige Einfalt aus. Die Staatlichen | |
| > Museen zu Berlin sehen das etwas anders. Nämlich komplex. | |
| Bild: Der Maler als Modell: Brassaï (Gyula Halász), Henri Matisse, 1934 (Auss… | |
| Um ehrlich zu sein: Schaut man sich nicht lieber Matisse’ Porträts von | |
| Lydia Delectorskaya an als die, die ihn selbst zeigen? Nicht lieber die | |
| Porträts ihrer Modelle als die der Künstler selbst? Sind Erstere doch meist | |
| jung und attraktiv, während es sich bei Letzteren hauptsächlich um alte | |
| weiße Männer handelt, die als solche nicht gerade der Knüller sind. | |
| Sie sind eben Genies. Schöpfer von einzigartigen Meisterwerken und dank | |
| diesem Vermögen, das leider bei jungen Menschen kaum, bei nichtweißen | |
| Männern und Frauen egal welcher Hautfarbe gar nicht zu beobachten ist, | |
| geradezu Gott gleich. Weshalb das Künstlerporträt auch eine heilige Einfalt | |
| auszeichnet. | |
| Die Staatlichen Museen zu Berlin, die dem Künstlerporträt im Fotomuseum | |
| derzeit eine Ausstellung widmen, sehen das naturgemäß etwas anders. Nämlich | |
| komplex. Dazu bemühen sie Carl Gustav Jung im Ausstellungstitel „Künstler | |
| Komplex. Fotografische Porträts von Baselitz bis Warhol. Sammlung Platen“. | |
| So hoffen sie dem Anachronismus des Geniekults einerseits zu entkommen und | |
| andererseits den Eindruck simplen Fantums zu vermeiden. | |
| ## Das gesellschaftliche Gesicht des Menschen | |
| Von C. G. Jung stammen die Begriffe „Komplex“ − als psychisch bedeutendes | |
| Gefühls-, Gedanken- und Erinnerungsgefüge, das aus dem Unbewussten wirksam | |
| wird – und für das erste Ausstellungskapitel „Persona“. Damit ist das | |
| gesellschaftliche Gesicht des Menschen gemeint, die soziale Rolle – | |
| abgeleitet von der Maske im griechischen Drama, durch die der Schauspieler | |
| hindurchspricht, abgeleitet von „personare“, hindurchtönen. Laut Wandtext | |
| gelingt mit Hilfe dieses Jung’schen Instrumentariums „gleichsam eine Schau | |
| in den Kopf der Künstlerinnen und Künstler“. | |
| Nun ja. Eigentlich genügte es ja, von den Mühen des Porträts zu sprechen, | |
| für das zu sitzen oder zu stehen in der modernen Welt unumgänglich ist – | |
| wer dem Gebot trotzt, wird allein deshalb noch um Potenzen berühmter, man | |
| denke nur an Thomas Pynchon oder Martin Margiela. Es reichte von den | |
| Erwartungen zu sprechen, mit denen es befrachtet wird: etwa gleich in den | |
| Kopf und nicht nur auf den Kopf zu schauen, in jedem Fall aber an seine | |
| komplexe Wahrheit, die es über die Abgebildeten aussagen soll. | |
| All das fordert sowohl die Porträtierten wie die Porträtisten heraus und | |
| überfordert sie oft genug. Liegt darin nicht genug Rechtfertigung, sich | |
| einmal genau anzuschauen, wie sie das machen, die Künstler und | |
| Künstlerinnen und die Fotografen und Fotografinnen, wenn sie sich zur | |
| Porträtsitzung treffen? | |
| ## Für ihre Künstlerporträts bekannt | |
| Angelika Platen, die selbst für ihre Porträts von Künstlern wie Gerhard | |
| Richter, Sigmar Polke oder zuletzt von Monica Bonvicini oder Julian | |
| Rosefeldt bekannt ist, hat das getan. Ihre Sammlung von Künstlerporträts | |
| umfasst inzwischen rund 700 Arbeiten. Daraus werden in Berlin nun 180 meist | |
| schwarzweiße Porträts, aber auch einige Farbfotografien von 2000 bis zurück | |
| ins Jahr 1910 gezeigt. | |
| Da steht Franz von Stuck einem nicht genannten Fotografen Porträt, ganz wie | |
| es sich für einen Malerfürsten gehört: Vor der Staffelei mit dem unfertigen | |
| Gemälde hält er sich im weißen Kittel sehr aufrecht und die Farbpalette in | |
| der Hand. | |
| So sieht sie aus, die heilige Einfalt des Künstlerporträts. Und gerade | |
| deshalb betrachtet man ein großartiges Bild. Es steckt eben auch viel Demut | |
| darin, wie sich Stuck und sein Fotograf der Rollenvorgabe fügen. Nach dem | |
| Krieg wird es gleich viel theatralischer, bei August Sander, der 1924 den | |
| jungen(!), rheinischen Künstler Gottfried Brockmann versonnen in die Leere | |
| blickend vor der Staffelei fotografiert. Und 1928 rückt Emil Bieber dem | |
| 35-jährigen George Grosz so auf den Pelz beziehungsweise die Palette, dass | |
| der Eindruck intimster Vertrautheit mit dem Maler unvermeidlich scheint. | |
| ## Nah dran vs. Blick von Ferne | |
| Imogen Cunningham, die − 1975 von Ara Güler fotografiert − erklärend mit | |
| den Händen gestikuliert, ist als Fotografin zu erkennen, hängt ihr doch | |
| ihre zweiäugige Kamera um den Hals. Ihr Porträt vom türkischen | |
| Magnum-Fotografen hat viel Charme. Vielleicht mehr als Cunninghams Close up | |
| von Frida Kahlo, das eher wie ein Passfoto wirkt. | |
| Sind also die einen gern nah dran, schauen die anderen lieber von Ferne. | |
| Berühmt ist Cartier-Bressons Bild, das Alberto Giacometti im Regen auf der | |
| Straße zeigt, er hat seinen Trenchcoat über den Kopf gezogen und wird | |
| dadurch selbst zu einer dünnen, hoch aufragenden Figur ähnlich seinen | |
| Skulpturen. | |
| Nicht weniger berühmt das Selbstporträt mit Kamera, das Ilse Bing von sich | |
| und ihrer Kamera im Spiegel einfing. Überraschend sind dann einige | |
| selbstkarikierende Porträts: Salvador Dalí zeigt sich als Meerjungfrau und | |
| Otto Dix als vergnügter Bacchus. Aber solche Bilder sind die Ausnahme, die | |
| Regel ist der Künstler in Aktion. | |
| ## Der Goldstandard des Künstlerporträts | |
| Raffiniert die Aufnahme von August Sander, der den Maler Heinrich Hoerle | |
| porträtiert, während dieser den Boxer Hein Domgoergen porträtiert. Die | |
| Aufnahme des Künstlers mit dem Handwerkszeug, sein Bild bei der Arbeit und | |
| das Foto im Atelier, das ist der Goldstandard des Künstlerporträts. Und | |
| viel mehr zu versuchen, ist dann auch riskant, denn schnell droht die | |
| Gefahr allzu großer Originalität und Prätention. | |
| Besonders da, wo man abweichen und Klischees brechen will, hilft es, wenn | |
| der oder die Porträtierte bei der Aufnahme mitdenkt und mitspielt. Manchmal | |
| reicht es aber, den Mann oder die Frau nur gut zu erwischen. Irving Penn | |
| etwa trotzt dem sich verweigernden Picasso in wenigen Minuten ein | |
| ikonisches, einäugiges Porträt ab. Das Bild findet sich zwar nicht in der | |
| Sammlung Platen, trotzdem erinnert man es gut, hing es kürzlich doch noch | |
| bei C/O Berlin. | |
| Es liegt letztlich beim Fotografen und der Fotografin, das Modell aus der | |
| Routine oder der Scheu herauszulocken. Die Künstlerin Vera Isler | |
| (1931–2015) setzte in den 1990er Jahren Jeff Koons wie Pipilotti Rist mit | |
| einer guten Portion Selbstironie derart treffend in Szene, dass Werk und | |
| Auftritt der Künstler wirklich zur Einheit werden. Isler verstand eben Werk | |
| und Person. Und so schaut man bei den großen Porträts weniger in den Kopf | |
| der Aufgenommenen als in den der Fotografierenden. | |
| 14 Sep 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Brigitte Werneburg | |
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