# taz.de -- Fotografie im Kunstmuseum Wolfsburg: Ein Maler des modernen Lebens | |
> Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt „Robert Lebeck 1968“. Und damit Arbeiten | |
> des berühmten Fotojournalisten, die bislang meist unbekannt sind. | |
Bild: Ausschnitt aus Robert Lebeck, Wolfsburg, 1968 | |
Den Auftakt macht ein Zitat Robert Lebecks: „Das Jahr der Studentenunruhen | |
fand ohne mich statt.“ Und dann steht man im Kunstmuseum Wolfsburg | |
einigermaßen verblüfft vor einer Aufnahme des Fotografen, auf der er im | |
Juni 1968 zwar keinen Studenten-, aber doch einen Jugendprotest gegen die | |
Vereidigung von 500 Bundeswehrrekruten des Panzergrenadier-Bataillons 312 | |
Wesendorf festhielt. | |
Die Vereidigung fand unmittelbar vor den Feierlichkeiten zum 30-jährigen | |
Stadtjubiläum von Wolfsburg statt, zu dem Lebeck im Auftrag der | |
Illustrierten Stern angereist war. Der Verdacht, dass das Jahr 1968 sehr | |
wohl mit Robert Lebeck, einem der wichtigsten Fotojournalisten der | |
deutschen Nachkriegsmoderne, stattfand, erhärtet sich im weiteren Rundgang | |
durch die Ausstellung, die genau dieses Jahr in seinem Werk in Augenschein | |
nimmt, wie ihr Titel „Robert Lebeck 1968“ besagt. | |
Aufregend daran ist, dass der Großteil seiner Bilder dieses Jahres − da im | |
Stern nie veröffentlicht − bislang völlig unbekannt ist. Und es zeigt sich: | |
Gerade in den Bildern, die für die Veröffentlichung als nicht schlagkräftig | |
genug betrachtet wurden, wird das Jahr 1968 atmosphärisch komplex fassbar. | |
Für Eva Windmöllers Serie „Die geschiedene Frau“ dokumentiert Lebeck den | |
Alltag eigentlich braver, bürgerlicher Frauen, wie sie sich allmählich | |
emanzipieren − und damit eine der grundstürzenden politischen Bewegungen | |
der jüngsten Zeit. In den USA sieht er, wie die Trauer um Robert Kennedy | |
die Menschen aus politisch, ökonomisch und ethnisch getrennten Milieus | |
eint, die während der Überführung seines Leichnams von New York auf den | |
Nationalfriedhof Arlington entlang den Bahngleisen stehen, um dem | |
Politiker, der den Vietnamkrieg beenden wollte, einen letzten Gruß zu | |
erweisen. | |
## Trübselige Retortenstadt im Zonenrandgebiet | |
Die Bilder fanden ebenso wenig Aufnahme im Bericht „Robert Kennedys letzte | |
Reise“ wie die Fotografie der protestierenden Jugendlichen im Aufmacher | |
„Wehe, wenn der Käfer stirbt. Seit dreißig Jahren lebt Wolfsburg vom VW“, | |
in dem Georg Würtz’ Text das ganz konträre Bild einer durchweg trübseligen | |
Retortenstadt im Zonenrandgebiet beschwor. | |
Dazu passte es, den Jugendlichen in einer Bildunterschrift zu unterstellen, | |
sie kümmerten sich um die Gräber der nationalsozialistischen Gründerväter | |
der Stadt. Stattdessen hatte Lebeck sie am zweiten Tag ihrer Protestaktion | |
dabei beobachtet, wie sie auf dem sogenannten Ausländerfriedhof die Gräber | |
der NS-Opfer, also der Zwangsarbeiter, der sowjetischen Kriegsgefangenen | |
und der KZ-Häftlinge pflegten. | |
Weil der Großteil der Bilder der Ausstellung nie veröffentlicht wurde, | |
mussten von Lebecks Negativen erst Abzüge erstellt werden, zwangsläufig | |
ohne die Autorisierung durch den vor drei Jahren verstorbenen Fotografen, | |
wenn auch beraten durch seine Witwe Cordula Lebeck, die sein Archiv | |
betreut. Damit ist das Ausstellungsprojekt „Robert Lebeck 1968“ auch ein | |
Experiment. Freilich gut verankert in einer Museumsarbeit, die sich durch | |
die Notwendigkeit ästhetischer Entdeckungen definiert – und die Lust daran | |
– statt durch Kunstmarktinteressen. | |
Robert Lebecks Aufnahmen zeigen ihn als „Maler des modernen Lebens“, als | |
den Baudelaire den großen Künstler definierte. Und er ist es besonders | |
dort, wo er sagt: „Als in Paris die Barrikaden brannten, arbeitete ich in | |
Florida an einer Serie über zwei ermordete Studentinnen; während Studenten | |
vor dem Springer-Hochhaus demonstrierten, fotografierte ich die Taufe von | |
Hildegard Knefs Kind; und als die Russen in Prag einmarschierten, begleitet | |
ich gerade den Papst nach Bogotá.“ | |
## Rudi Dutschke und seine Frau Gretchen im Cabriolet | |
Nur im Kunstmuseum kann Lebecks hinreißendes Porträt von Rudi Dutschke und | |
seiner Frau Gretchen, wie sie auf der Rückbank eines schicken Cabriolets | |
durch Prag gefahren werden, verstanden werden: als ein Bild aus dem Roman | |
der jungen BRD, in den Tagen einer neuen, noch unbegriffenen | |
internationalen Solidarität. | |
Dutschke – und Lebeck – waren eben schon im Frühling, zu der Jahreszeit | |
also in der tschechischen Hauptstadt gewesen, die dem demokratischen | |
Aufbegehren dann den Namen gab. Dutschke kam einer Einladung nach, über | |
Ziele und Strategie des SDS zu sprechen, was er auch – wie Lebecks | |
Aufnahmen von seinem Auftritt im historischen Saal der legendären Prager | |
Karls-Universität zeigen – in gewohnt heftiger Art tat. | |
Die Stadt im Aufbruch, die Lebeck festhält, kommt im Stern nicht vor. | |
Einzig das Porträt des Paares illustrierte im September 1968 einen | |
Leserbrief. Die Schreiberin freut sich über die Genesung Dutschkes, nachdem | |
er im April niedergeschossen worden war. Die bewusst irreführende | |
Bildunterschrift lautete: „Rudi Dutschke mit seiner Frau im Urlaub“. | |
Und dann steht da segnend im Flugzeug Papst Paul VI., den Lebeck so | |
aufnimmt, dass ihn ein Kreiselement der Flugzeugdecke wie ein | |
Heiligenschein umgibt. Auch dieses Bild veröffentlichte der Stern nicht. | |
Fürchtete man eine Karikatur zu sehen, die das Bild gar nicht ist? Es | |
bringt nur das kirchen- wie gesellschaftspolitische Vermögen und Unvermögen | |
der katholischen Kirche im Porträt ihres Oberhauptes sehr präzise zum | |
Ausdruck: im Bild des offenkundig der Welt entrückten alten, weißen Mannes, | |
der sich gleichwohl als Pilger aufmacht, den kaum beachteten Gläubigen in | |
Südamerika erstmals die lange geschuldete Anerkennung zu geben. | |
Gleichermaßen verwunschen und latent geschichtsträchtig ist auch die | |
Aufnahme von der Beerdigung des VW-Generaldirektors Heinrich Nordhoff, die | |
Lebeck bei seinem ersten Wolfsburgbesuch im April machte. Aus der | |
Froschperspektive aufgenommen, sieht man das Rudel gewichtiger Trauergäste: | |
mit dunklen Sonnenbrillen gewappnete Männer in schwarzen Anzügen oder gar | |
im Cut, unter ihnen gut erkennbar Hanns Martin Schleyer. Der Stern | |
verzichtete dann auf einen Bericht. Und damit auch auf dieses Foto. Das | |
Jahr 1968 mit Robert Lebeck gesehen, nicht dem Stern, ist ein Erlebnis. | |
13 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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