Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kommentar World Press Photo Award: Das Geschäft mit dem Leid ander…
> Pressefotografie ist nötig, um auf Misstände aufmerksam zu machen. Sie
> kann aber auch abstumpfen. Vielleicht gäbe es einen anderen Weg.
Bild: Wieviel Leid kann der Mensch sehen, bis er blind dafür wird?
Sie tun weh, die Bilder. Leid, Blut, Elend. Tote Kinder, weinende Eltern.
Dramatischer geht es kaum noch. Ein Großteil der mit dem World Press Photo
Award, dem wichtigsten Preis für Fotojournalismus, ausgezeichneten Bilder
erzählt schreckliche Geschichten, jedes Jahr aufs Neue. Auch unter den
diesjährigen Gewinnern und Finalisten – die Auszeichnung fand am Donnerstag
in Amsterdam statt – sind auffallend viele Bilder, die Schrecken, Terror
und Gewalt zeigen.
Die Aufnahme, die zum Bild des Jahres gekürt wurde, geschossen hat sie der
AFP-Fotograf Ronaldo Schemidt, zeigt einen jungen, Gasmaske tragenden
Venezolaner, der bei Protesten gegen den Präsidenten Nicolás Maduro in
Brand geraten ist. Er scheint um sein Leben zu rennen, während Flammen von
seinem Körper aufsteigen. Es ist ein Bild, das man nicht vergisst.
Auf vielen weiteren Fotografien geht es kaum weniger drastisch zu. Da sind
Leichen von Rohingya-Flüchtlingen, eine bei dem Anschlag in Westminster
schwer verletzte junge Frau, die in einer Blutlache liegt, noch mehr schwer
Verletzte beim Anschlag auf ein Musikfestival in Las Vegas – darunter ein
Mann im Rollstuhl – , ein erschossener Iraker, der ein Selbstmordattentat
verüben wollte, und ein Mädchen, das von Boko Haram entführt worden war und
ein Selbstmordattentat verüben sollte, im letzten Moment aber fliehen
konnte. Manche Aufnahmen sind so grausam, dass man sie sich kaum ansehen
kann, ohne die Augen zusammenzukneifen oder direkt wegzuklicken.
Das stört viele, und die Kritik an dem Preis ist groß. Letztes Jahr
distanzierte sich der Jury-Präsident Stuart Franklin im Guardian von der
Wahl des Siegers: Gewonnen hatte ein Bild, das den erschossenen russischen
Botschafter in Ankara neben seinem Mörder zeigte. Er streckt breitbeinig
und mit weit aufgerissenem Mund die eine Hand in die Höhe, die andere mit
der Pistole nach unten, als sei er Darsteller in einem James Bond-Film.
## Nötig oder pietätlos?
Die Frage ist: Muss das sein? Oder vielleicht sogar eher: Darf das sein?
Die Debatte ist schon viele Jahrzehnte alt. Die einen finden, der Zweck
rechtfertigt die Mittel: Weil Fotojournalismus die Aufgabe habe, auf
Missstände aufmerksam zu machen, um die Welt zu einer besseren zu machen,
seien brutale Bilder erlaubt, ja vielleicht sogar nötig, um die Menschen
wachzurütteln.
Die anderen finden es gewaltsam, unsensibel und pietätlos, in die
Intimsphäre von Menschen einzudringen, sie zu Objekten zu degradieren und
sie – meist ungefragt – in all ihrem Schmerz und Leid abzubilden.
[1][Stuart Franklin schrieb im Guardian], die Ermordung des russischen
Botschafters abzubilden und dann auch noch zum Gewinnerbild zu küren sei
nicht weniger schlimm als die Hinrichtung eines Terroristen zu zeigen. Die
fänden so potenzielle Nachahmer, fürchtet Franklin.
Nach dem Attentat von München entschieden sich verschiedene Medien, das
Bild des Amokläufers nicht abzudrucken. Die B.Z. titelte gar mit „Dein Foto
kommt nicht auf den Titel!“. Anstelle des Fotos erschien ein leerer Kasten.
Schwieriger ist es beispielsweise mit Fotos aus dem Foltergefängnis Abu
Ghraib. Klar, erst durch sie sind verheerende Missstände und
menschenverachtende Praktiken aufgeflogen und die Betroffenen wurden zu
Rechenschaft gezogen, aber demütigt man die nicht Opfer zusätzlich, indem
man diese schrecklichen Szenen einem Massenpublikum zur Verfügung stellt?
Und damit womöglich noch die Schaulust einiger verirrter Seelen bedient, ja
vielleicht sogar Gewaltfantasien anregt? Und was, wenn es gar nicht so
wenige „verlorene Seelen“ gibt, ja die Schaulust eher in der Natur des
Menschen liegt? Schon Sokrates und Platon sprachen von einem „Verlangen
nach dem Anblick von Erniedrigung, Schmerz und Verstümmelung“.
## Bilder von Frauen sprechen eine andere Sprache
Die US-amerikanische Publizistin Susan Sontag sah in ihrem Essay „Regarding
the Pain of Others“ vor allem die Gefahr, dass Menschen abstumpfen, wenn
man sie zu vielen Gewaltbildern aussetzt. Der französische Fotograf Roland
Barthes fand gleich die Fotografie selbst gewaltsam, „weil sie bei jeder
Betrachtung den Blick mit Gewalt ausfüllt“.
Auffällig ist, dass ein Großteil der beim World Press Photo Award
ausgezeichneten und Gewalt abbildenden Fotos von Männern aufgenommen wurde.
Die Bilder der wenigen prämierten Frauen sprechen eine andere Sprache. Sie
zeigen in einem österreichischen Ökodorf aufwachsende Schwestern, verwaiste
Elefantenbabys und in langen Kleidern im Meer badende Musliminnen auf
Zanzibar – „Im Wasser Freiheit finden“ ist der Titel der Serie.
Auch „harte“ Themen sind darunter: junge Russinnen, die sich prostituieren,
und eine kamerunische Mutter, die ihren Töchtern die Brüste abbindet,
massiert und mit erhitzten Steinen „bügelt“, um deren Wachstum zu
unterdrücken. Sie tut das in der Hoffnung, ihre Töchter somit vor sexueller
Ausbeutung schützen zu können, was laut der ägyptischen Fotografin Heba
Khamis scheinbar eine weit verbreitete Praxis in Kamerun ist. Die Bilder
sind respektvoll, diskret und sensibel. Weder verherrlichen sie Gewalt noch
machen sie die abgebildeten Personen zum Objekt oder Opfer. Und dennoch ist
ihre Botschaft eindeutig. Das zeigt, dass man Missstände auch in einer
weniger grellen, drastischen Bildsprache anprangern kann. Und dies damit
vielleicht umso wirkungsvoller tut.
Es wäre interessant zu sehen, inwiefern sich der World Press Photo Award,
oder auch der Fotojournalismus insgesamt, veränderte, wenn mehr Bilder von
Frauen gezeigt würden. Es gibt sie bestimmt! Suchen wir nach ihnen.
Fotojournalistinnen stärker zu fördern und vielleicht bei der Preisvergabe
eine Quote einzuführen, könnte auch ein Ansatz sein. Zumindest einen
Versuch wäre es wert.
13 Apr 2018
## LINKS
[1] https://www.theguardian.com/commentisfree/2017/feb/13/world-press-photo-yea…
## AUTOREN
Lea Wagner
## TAGS
Presse
Fotografie
Roland Barthes
Nairobi
Fotojournalismus
Fotografie
Kunst
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kolumne Macht: In aller Unschuld
Die „New York Times“ veröffentlicht ein Foto von den Opfern der jüngsten
Terrorattacke in Nairobi. Ist das geschmacklos? Oder notwendig?
Fotografie im Kunstmuseum Wolfsburg: Ein Maler des modernen Lebens
Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt „Robert Lebeck 1968“. Und damit Arbeiten
des berühmten Fotojournalisten, die bislang meist unbekannt sind.
World Press Photo Award: Ein Preis mit Aufregerpotenzial
Kein Fotojournalismus-Preis ist renommierter, keiner kontroverser. Dabei
fing alles ganz einfach an. Der World Press Photo Award und seine
Geschichte.
Irakischer Fotograf über Kunstfreiheit: „Ich bin hier ganz frei“
Der Fotograf Raisan Hameed kam 2015 aus dem Irak nach Deutschland. Ein
Gespräch über seinen Alltag in Leipzig und Unterschiede im
Kunstverständnis.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.