Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Irakischer Fotograf über Kunstfreiheit: „Ich bin hier ganz frei�…
> Der Fotograf Raisan Hameed kam 2015 aus dem Irak nach Deutschland. Ein
> Gespräch über seinen Alltag in Leipzig und Unterschiede im
> Kunstverständnis.
Bild: Ein Bild aus Raisan Hameeds Serie „Riga“
taz: Herr Hameed, Sie studieren seit Oktober 2016 an der Hochschule für
Grafik und Buchkunst in Leipzig. Wie sieht Ihr Alltag aus?
Raisan Hameed: Ich stehe gegen 8 Uhr auf, frühstücke und dann fahre ich in
die Hochschule. Zweimal wöchentlich treffen wir uns den ganzen Tag mit
unseren Professoren im Grundstudium Fotografie und sprechen über unsere
Arbeiten. Dazu kommen mein Sprachkurs und verschiedene Kurse in den
Werkstätten der Hochschule. Manchmal habe ich auch Aufträge als Fotograf,
dokumentiere Veranstaltungen oder habe Fotoshootings.
Wie kommen Sie an die Aufträge?
Die ergeben sich über Kontakte, über Bekannte.
Das heißt, Sie haben eine Steuernummer?
Natürlich. Ich stelle Rechnungen und muss eine Steuererklärung machen. Das
ist ganz neu für mich.
Wie finanzieren Sie sich?
Ich bin seit einem Jahr Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung. Da habe
ich mich beworben.
Die Kunsthochschule hat einen Sprachkurs eingerichtet für alle, die in der
Akademie studieren.
Wir treffen uns zweimal in der Woche, in den Semesterferien gab es einen
Intensivkurs. Ich bereite mich jetzt gerade auf den Sprachtest TestDaF
(Deutsch als Fremdsprache) vor. Beim ersten Versuch habe ich nicht
bestanden. Im Mai ist die nächste Prüfung.
Der Test ist die Voraussetzung, um aus der Akademie in das reguläre
Kunststudium wechseln zu können. Sie sprechen fließend, machen kaum Fehler,
suchen nur selten nach Worten.
Sprechen, Lesen und Verstehen habe ich bestanden. Mein Problem ist das
Schreiben. Da muss ich im Test eine Grafik beschreiben und auswerten, zum
Beispiel zur Klimaentwicklung in Afrika. Das ist sehr schwer.
Im Irak haben Sie als Pressefotograf gearbeitet und Malerei studiert. Was
ist der größte Unterschied zwischen den Kunsthochschulen?
Die Freiheit. Ich bin hier ganz frei. Im Irak hieß es immer: „Du musst das
so und so machen.“ Da ging es eher darum, dass die Studenten machen, was
der Professor sagt. Und Ästhetik war wichtiger als Konzepte.
Was beschäftigt Sie gerade künstlerisch?
Im Sommer habe ich die beschmierten Wahlplakate in Deutschland
fotografiert. Das hat mich fasziniert: Im Irak gibt es auch Wahlplakate,
aber die sind chaotisch gehängt, werden kaputt gemacht und das Papier
fliegt durch die Straßen. Im Oktober haben wir eine Studienreise nach Riga
gemacht, uns mit der Stadt auseinandergesetzt. Da bin ich zum ersten Mal
geflogen. Als Fotograf war es toll, die Welt von oben zu sehen. Es regnet
viel in Riga. Ich habe Menschen durch die beschlagenen Scheiben einer
Straßenbahn fotografiert. Ich habe auch Menschen mit Regenschirmen
fotografiert, denn in Riga hatte jeder einen dabei.
Sie haben das große Interesse im positiven Sinne genutzt, in den
vergangenen Monaten an vielen Ausstellungen und Projekten teilgenommen. Im
Museum der bildenden Künste haben Sie einen Workshop zum Thema Kamera
gegeben. Ist es eher Ihre persönliche Geschichte als Ihre Kunst, die andere
interessiert?
Viele kamen am Anfang und sagten: Ich solle da mitmachen, das sei eine gute
Chance. Die hatten aber gar kein Interesse an meiner Arbeit. Nach dem
Motto: „Der arme Raisan aus dem Irak.“ Das mochte ich nicht.
Haben Sie für sich einen Weg gefunden, damit umzugehen?
Ich schaue mir die Personen und die Projekte sehr genau an. Auch die
Tatsache, dass ich jetzt Rechnungen stellen kann, hat das verändert. Am
Anfang habe ich immer erzählt, dass ich aufgrund von Isis fliehen musste,
weil ich Künstler und Journalist bin und zwei Freunde von mir auf der
Straße hingerichtet wurden. Aber ich will jetzt nach vorne sehen. Ich bin
hier sehr zufrieden und glücklich. Dafür bin ich der Hochschule, den
Professoren und dem Land Deutschland sehr dankbar
Fühlen Sie sich in Leipzig zu Hause?
Ja, es ist mein Zuhause. Zuerst war ich in Hamburg, und dann in Owschlag.
Da gibt es eine Freundin, die mir am Anfang viel geholfen hat. Sie wohnt
da mit ihrer Familie und ich besuche sie, wenn ich Zeit habe. Ich habe da
auch noch viele Freunde, auch weil ich dort am Theater gearbeitet habe und
für ein Magazin geschrieben habe. Ich mag den Norden. Ich komme ja aus
Mossul, einer Stadt im Nordirak, in der ich 1991 geboren bin.
Haben Sie in Leipzig Anfeindungen aufgrund Ihrer Herkunft erlebt?
Nein. Bevor ich hierher zog, haben viele Freunde im Norden gesagt: In
Sachsen musst du nachts auf der Straße aufpassen. Dort sind ja auch viele
Sachen passiert. Mir zum Glück nicht. Ich bin viel unterwegs, auch alleine.
Könnten Sie sich vorstellen, irgendwann in den Irak zurückzugehen, auch um
Ihre Erfahrungen von hier weiterzugeben?
Natürlich, das ist meine Heimat, da habe ich Freunde und Familie. Heimat
ist für mich nicht nur ein Begriff, sie bedeutet mir viel. Mit dem, was ich
hier lerne, würde ich irgendwann, wenn ich die Möglichkeit habe, im Irak
etwas aufbauen, an der Hochschule in Mossul. Vielleicht in zehn Jahren. Wer
weiß, was die Zukunft bringt.
Was vermissen Sie am meisten?
Meine Eltern und meine Geschwister, gerne hätte ich sie hier, damit sie
sehen, was ich mache. Aber am meisten wünsche ich mir, dass sie in Frieden
leben können.
Wie halten Sie den Kontakt?
Über Facebook und Skype.
Wie verfolgen Sie das politische Geschehen im Irak und in Deutschland?
Ich sehe natürlich die Veränderungen seit der Wahl, verfolge, was in
Sachsen passiert. Das spielt für mich eine Rolle, denn in zwei Jahren endet
mein Aufenthaltsstatus. Ich verfolge auch, was im Irak passiert.
8 Apr 2018
## AUTOREN
Sarah Alberti
## TAGS
Kunst
Fotografie
Leipzig
zeitgenössische Kunst
zeitgenössische Kunst
Presse
Fotografie
Geflüchtete
## ARTIKEL ZUM THEMA
Was Kulturschaffende in Chemnitz sagen: Den Diamanten schleifen
Die Stadt vor ihren vermeintlichen Verteidigern retten: Das wollen Ingrid
Mössinger und Frédéric Bußmann von den Kunstsammlungen Chemnitz.
Fall Schabas Al-Aziz auf Berlin Biennale: Selbstjustiz oder Courage?
Mario Pfeifer beleuchtet in „Again/Noch einmal“ den Fall eines Geflüchteten
in Sachsen. Der Film ist eine Produktion der 10. Berlin Biennale.
Kommentar World Press Photo Award: Das Geschäft mit dem Leid anderer
Pressefotografie ist nötig, um auf Misstände aufmerksam zu machen. Sie kann
aber auch abstumpfen. Vielleicht gäbe es einen anderen Weg.
World Press Photo Award: Ein Preis mit Aufregerpotenzial
Kein Fotojournalismus-Preis ist renommierter, keiner kontroverser. Dabei
fing alles ganz einfach an. Der World Press Photo Award und seine
Geschichte.
Geflüchtete an Leipziger Kunsthochschule: Jeder Tag ist heute
Seit Oktober sind zehn Geflüchtete immatrikuliert – eine Herausforderung.
Vom Wirrwarr der Bürokratie und von Menschen, die ankommen wollen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.