# taz.de -- Gedenken an das Massaker von My Lai: Der Junge und der Fotograf | |
> Duc Tran Van überlebte vor 50 Jahren das Massaker. Heute kämpft er mit | |
> einem früheren US-Armeefotografen für ein angemessenes Gedenken. | |
Bild: Ronald Haeberle und Tran Van Duc am Ort des Massakers vor 50 Jahren | |
Duc Tran Van gibt es zweimal. Einmal als heute 56-jährigen Schlosser mit | |
Schnauzbart, der in Remscheid lebt und seit 1990 im benachbarten Wuppertal | |
arbeitet. Und das zweite Mal aus Stein, überlebensgroß, in der Form eines | |
vermeintlich getöteten Jungen, auf dem Boden liegend und über seine kleine | |
Schwester gebeugt. | |
Die Skulptur ist Teil eines Mahnmals im südvietnamesischen Küstendorf My | |
Lai in der Provinz Quang Ngai. Dort massakrierten am 16. März 1968 | |
US-Soldaten ein ganzes Dorf. Sie vergewaltigten Frauen, erstachen Babys, | |
schlitzten Körper auf, schnitten Ohren und Köpfe ab, verbrannten Hütten, | |
Vorräte und Haustiere. Nach vietnamesischen Angaben starben 504 Menschen, | |
nach US-Angaben 347. | |
Der US-Armeefotograf Ronald L. Haeberle hat das damals dokumentiert. In | |
offiziellem Auftrag begleitete er die Soldaten der Charly-Kompanie bei | |
ihrem Einsatz gegen angebliche Vietcong. „Glückwünsche den Offizieren und | |
Mannschaften zum ausgezeichneten Gefecht“, telegrafierte damals William | |
Westmoreland, der Oberbefehlshaber der US-Truppen in Vietnam. Dabei hatten | |
die Soldaten nicht einen Vietcong angetroffen, die Informationen über das | |
Dorf waren falsch gewesen. | |
Anfangs vertuschte das Militär das Massaker. Doch Haeberle versteckte einen | |
Teil der Fotos; dank seiner Zivilcourage und den Recherchen des später mit | |
dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Journalisten Seymour Hersh kamen die | |
Taten ab Sommer 1969 trotzdem ans Licht. Der Mythos, die USA würden Vietnam | |
die Demokratie und die Freiheit bringen, war damit zerstört. My Lai wurde | |
so zu einem Wendepunkt des Krieges. | |
## Eine Skulptur und ein Altar | |
Es war auch Haeberle, der fotografierte, wie Duc sich schützend über seine | |
14 Monate alte Schwester geworfen hatte. In der seit 1976 bestehenden | |
Gedenkstätte in My Lai sind viele seiner Fotos zu sehen. Zu „seinem“ Bild | |
erklären sie dort, es zeige getötete Kinder, sagt Duc heute. Deshalb nahm | |
es ein Bildhauer später als Vorlage für einen Teil der großen Skulptur, vor | |
der ein kleiner Altar für Räucherstäbchen steht. | |
„Besucher beten jetzt zu mir,“ sagt Duc. „Dabei bin ich doch gar nicht | |
tot.“ In der Gedenkstätte stieß er auf weitere Fehler. „Ich bin sehr | |
unzufrieden damit, wie mit den Opfern vor Ort umgegangen wird,“ sagt Duc, | |
der während des Massakers seine Mutter und zwei Schwestern verlor. | |
„GIs trieben uns aus dem Haus, unsere Nachbarn standen schon auf der | |
Straße“, erinnert er sich. „Die Dorfbewohner wurden auf einer Kreuzung | |
zusammengetrieben. Dann schossen die Soldaten direkt in die Menge. Um uns | |
herum fielen die Menschen um, überall war Blut.“ Seine Mutter habe seine | |
kleine Schwester Ha auf dem Arm gehalten und ihn in einen Graben neben ein | |
Reisfeld gezogen. | |
„Meine Mutter legte sich auf mich und meine Schwester. Mit ihrem Strohhut | |
deckte sie uns zu. So blieben wir liegen, während die Soldaten weiter | |
schossen.“ Als die GIs weitergezogen waren, habe seine Mutter zu ihm | |
gesagt, er solle Ha zu seiner Großmutter ins Nachbardorf bringen, sagt Duc. | |
Sie drehte ihren Körper zur Seite, damit er Ha nehmen konnte. Dabei sah er | |
ihre Wunden. Sie starb. | |
## Keine Entschuldigung | |
Haeberle fotografierte ihre gekrümmte Leiche neben dem Strohhut. Er traf | |
auch Duc und seine kleine Schwester auf der Flucht. Als der Junge einen | |
Hubschrauber über sich hörte, warf er sich auf den Boden, um die Kleine mit | |
seinem Körper zu schützen – so, wie es zuvor seine Mutter getan hatte. Da | |
drückte Haeberle auf den Auslöser. Jahrzehnte später treffen sich die | |
beiden wieder. Duc kann sich genau an die Bemalung des Hubschraubers | |
erinnern. Da gibt es für Haeberle keinen Zweifel mehr: Duc ist der Junge | |
von damals. 2011 stellen die beiden das Foto an der historischen Stelle | |
nach. | |
Die USA haben sich für das Kriegsverbrechen nie entschuldigt. Der 20.000 | |
Seiten umfassende Untersuchungsbericht des US-Militärs legt nahe, dass | |
solche Massaker nicht ungewöhnlich waren. An My Lai besonders waren die | |
Fotos. Ein US-Kriegsgericht klagte 26 Soldaten an, verurteilte aber nur den | |
damals 24-jährigen Leutnant William Calley. Er hatte den hundert Soldaten | |
befohlen, alle Bewohner zu töten, und wurde wegen 22-fachen Mordes zu | |
lebenslänglicher Haft verurteilt. Nach 3,5 Jahren im Hausarrest wurde er | |
von Präsident Richard Nixon begnadigt. Calley brauchte 41 Jahre für eine | |
sehr allgemeine Entschuldigung. Duc findet sie enttäuschend. | |
Eine dreiköpfige Hubschrauberbesatzung um den US-Soldaten Hugh Thompson | |
hatte das Massaker aus der Luft beobachtet und dann ihren Chopper zwischen | |
Dorfbewohnern und mordenden eigenen Truppen gelandet. Mit der Bord-MG | |
wurden die Soldaten in Schach gehalten, bis Opfer ausgeflogen werden | |
konnten. Für ihre Heldentat wurden die drei erst 1998, also 30 Jahre | |
später, geehrt. | |
Die Überlebenden wurden von den USA nie entschädigt. Dem Waisenkind Duc | |
wurde von der Regierung in Hanoi die Aufnahme auf eine Schule in der | |
Hauptstadt angeboten. Doch seine Oma wollte ihn nicht verlieren. Ein | |
Hilfsangebot gab es dann nie wieder. | |
## Falsche Anerkennung | |
„Manche Opfer wurden von Vietnams Behörden nicht als solche anerkannt, | |
andere wurden anerkannt, waren aber gar keine Opfer,“ sagt Duc. 1983 wurde | |
er Vertragsarbeiter in der DDR, 1990 fand er in Wuppertal eine Stelle. „Ich | |
brauche keine Anerkennung, denn ich lebe in Deutschland“, sagt er. „Aber | |
ich will Gerechtigkeit.“ | |
Die Gedenkstätte in My Lai besuchte Duc erstmals 1976. Er wohnte damals mit | |
seiner Schwester sieben Kilometer entfernt bei seiner Großmutter. Die zog | |
die Kinder groß, nachdem auch der Vater, der für Nordvietnam als Sanitäter | |
gearbeitet hatte, getötet worden war. | |
In der Gedenkstätte sah Duc erstmals Haeberles Foto der toten Mutter. Doch | |
auf der Gedenktafel mit den Namen aller Opfer fehlte sie. Es sollte Jahre | |
dauern, bis Duc ihre Eintragung erreichen konnte. Bei dem Bild, dass Duc | |
und seine Schwester zeigt, gelang ihm bis heute keine vollständige | |
Korrektur. „Der falsche Name unter meinem Bild wurde inzwischen | |
gestrichen“, sagt er. „Mein Name fehlt aber weiterhin.“ | |
Bei späteren Besuchen, inzwischen von Deutschland aus, suchte er Zeugen und | |
Überlebende, sammelte Beweise und schrieb an Ministerien. Er wollte sogar | |
gerichtlich klagen, aber kein Anwalt wollte ihn vertreten. Mehrfach traf er | |
Haeberle, der seine Angaben bestätigte. Die beiden sind heute befreundet. | |
Haeberle schenkte ihm seine Kamera von damals; sie steht jetzt auf Ducs | |
Ahnenaltar in seinem Haus in Remscheid, vor einem Foto seiner Mutter. Die | |
Kamera ist die letzte Verbindung zu ihr. | |
## Friedenspark geplant | |
„Es wurde so viel geschlampt, dass niemand verantworten will, das zu | |
korrigieren“, vermutet Duc. Dahinter vermutet er keine politischen Gründe, | |
sondern den mangelnden Willen zu Korrektur. Er selbst gelte heute als | |
„reaktionärer“ Auslandsvietnamese; und dem wolle man ungern recht geben. | |
Die Menschen in My Lai selbst trauten sich nicht, Kritik zu üben. | |
Die Behörden der Provinz Quang Ngai kündigten vergangene Woche den Bau | |
eines Friedensparks in My Lai an. 15 Millionen Dollar soll er kosten und | |
mit ausländischen Spenden finanziert werden. Der Gedenktourismus ist | |
lukrativ. Verbitterung über die USA gibt es in Vietnam kaum, vielmehr sind | |
sie dort so beliebt wie in keinem anderen asiatischen Land. Dagegen wird | |
der auftrumpfende Nachbar China mit Argwohn betrachtet. Auch deshalb durfte | |
Anfang März erstmals seit dem Krieg wieder ein US-Flugzeugträger Vietnam | |
besuchen. | |
Haeberle, inzwischen Ende 70, genießt in Vietnam hohes Ansehen. Doch | |
bisher konnte auch er Duc nicht dabei helfen, Korrekturen in der | |
Gedenkstätte durchzusetzen. An diesem Freitag treffen sich die beiden | |
wieder in My Lai. Es ist der 50. Jahrestag des Massakers. Duc wird dort | |
wieder auf sein kindliches Ebenbild aus Stein treffen. | |
16 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Sven Hansen | |
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