| # taz.de -- Ausstellung „Günter Franzkowiak: Arbeit“: Der Blick des Werkze… | |
| > Eine eigene Form der Arbeiterfotografie: Der langjährige VW-Beschäftigte | |
| > Günter Franzkowiak fing mit intuitiver Leichtigkeit Momente abseits der | |
| > Produktion ein. | |
| Bild: Wolfsburger Arbeiter bei der Frühstückspause mit Vorzugsmilch (1953) | |
| Wolfsburg taz | Gleich zwei Mal sind derzeit in Wolfsburg Fotografien aus | |
| dem Automobilwerk zu sehen. Zum einen Auszüge aus einer 38-teiligen Serie | |
| des US-Amerikaners James Welling, erstellt 1994 als Auftragsarbeit zur | |
| Eröffnung des Kunstmuseums Wolfsburg. Zum 25-jährigen Jubiläum des Hauses | |
| flankieren sie nun den Steg des Obergeschosses. Sie sind eine Annäherung an | |
| die Wurzeln der Stadt in der NS-Zeit und der Produktion im VW-Werk, der | |
| wirtschaftlichen Grundlage Wolfsburgs. In beiden Motivgruppen sind Menschen | |
| rar, was den Aufnahmen eine geradezu surreal entrückte Dramaturgie | |
| verleiht. | |
| Fast wie ein Gegenprogramm zeigt der örtliche Kunstverein nun 27 Szenen aus | |
| der tagtäglichen Arbeit im Werk. Aufgenommen hat sie der gelernte | |
| Werkzeugmacher Günter Franzkowiak während seiner 39-jährigen Tätigkeit, | |
| genauer zwischen 1952 und 1975. Anders als Wellings Aufnahmen spiegeln | |
| diese Bilder die Realität einer – zudem noch irritierend reinen – | |
| Männergesellschaft im Produktionsprozess wider, konzentriert auf Halle 8, | |
| Franzkowiaks Stammplatz im Werkzeugbau. | |
| Für heutige Blicke wirkt die Arbeitsrealität im damals bereits kräftig | |
| international mitmischenden Konzern geradezu improvisiert, durchdrungen von | |
| hohem Selbstorganisierungsgrad – und fast meditativ entspannt. Abseits | |
| heutzutage relevanter Restriktionen, man denke an Betriebsgeheimnisse und | |
| Persönlichkeitsrechte, die derartige Interna gar nicht mehr an die | |
| Öffentlichkeit gelangen ließen, werfen Franzkowiaks Einblicke Fragen auf: | |
| zu den modernen Arbeitsformen unserer Selbstoptimierungsgesellschaft etwa, | |
| die so gern auf die hohen Eigenverwirklichungsangebote in flexiblen | |
| Arbeitswelten verweist. | |
| Das fotografische Werk Franzkowiaks – insgesamt über 6.000 | |
| Schwarz-Weiß-Negative und Farbdias – wurde per Zufall entdeckt, erzählt | |
| Alexander Kraus vom kommunalen Institut für Zeitgeschichte und | |
| Städtepräsentation, das im vergangenen Jahr zusammen mit dem Wolfsburger | |
| Kunstmuseum einen großen Rückblick auf das Protestjahr 1968 bestritt, mit | |
| zumeist unveröffentlicht gebliebenem Material von Robert Lebeck. | |
| Dabei seien die Beteiligten erstaunt gewesen, dass der Stern-Fotograf in | |
| jenem Jahr neben seinen weltweiten Zielen gleich dreimal Wolfsburg | |
| angesteuert hatte: unter anderem für eine Reportage zum 30-jährigen | |
| Stadtjubiläum, die seinen Magazin-Kollegen zu bitterbösen Worten über die | |
| „Retortenstadt“ veranlasste. Demgegenüber vermochte Lebecks empathischer | |
| Blick durchaus ansehnliche Momente aufzuspüren. Dieser wohl immanente | |
| Widerspruch bewegte die Veranstalter der damaligen Schau, die | |
| Wolfsburger*innen zu einem Fotowettbewerb aufzufordern: Einreichen konnten | |
| die Teilnehmenden je drei Aufnahmen zu „ihrem“ Wolfsburg. Auch Günter | |
| Franzkowiak ergriff die Gelegenheit und beteiligte sich – mit einem ganzen | |
| Album. | |
| Das so an die Öffentlichkeit drängende Konvolut begeisterte auch Justin | |
| Hoffman, Leiter des Wolfsburger Kunstvereins, der zusammen mit Kraus nun | |
| die Ausstellung kuratiert hat. Hoffmann sieht in Franzkowiaks Bildern nicht | |
| nur Zeitzeugnisse, sondern eine besondere, lokal spezifizierte Variante der | |
| Arbeiterfotografie. | |
| ## Intuitive Leichtigkeit | |
| Dieses Genre war in den Zwischenkriegsjahren zur Hochform aufgelaufen und | |
| hatte, sozialkritisch und emanzipatorisch intendiert, häufig politisch | |
| agitatorische Zwecke zu bedienen. Derartige Ausrichtung liegt Franzkowiaks | |
| Fotografie fern. Sie weiß den arbeitenden Kollegen als Individuum | |
| wahrzunehmen, nicht als Teil einer stilisierten Masse heroisch Werktätiger. | |
| Zugute kam Franzkowiak dabei das vertrauliche Miteinander, er war ja einer | |
| der ihren, kein Fotograf von draußen, geschickt mit irgendeinem Auftrag. | |
| Das Interesse Franzkowiaks galt auch nicht der Magie produzierender | |
| Wertschöpfung, wie sie die klassische Industrie-Fotografie der Neuen | |
| Sachlichkeit, etwa eines Alfred Renger-Patzsch, in strengen, ornamentalen | |
| Reihen schier endloser Materialreservoire beschwor. Oder eines Peter | |
| Keetmann und seiner 1953 – also zeitgleich – während dreier Tage im VW-Werk | |
| verfassten Serie: Das waren grafisch hoch ästhetische Detailstudien von | |
| bereitstehenden Karosserieblechen, Türen, Kotflügeln, Radkappen oder | |
| Stoßstangen. | |
| Mit intuitiver Leichtigkeit blickte Franzkowiak lieber auf die Momente | |
| abseits der Arbeit: die Pausen mit Zeitungslektüre, Vorzugsmilch oder auch | |
| mal einem Bier, das informelle Gespräch an der Werkbank oder auch den | |
| gemeinsamen Abgleich der damals zweimal monatlich ausgehändigten | |
| Lohnzettel. | |
| Technisch und kompositorisch wollen seine Fotos nicht brillieren, | |
| Franzkowiak ist stolzer Autodidakt. Noch vor seinem ersten VW-Käfer hatte | |
| er sich eine „Exakta“-Spiegelreflexkamera aus DDR-Produktion geleistet, er | |
| erzählt, wie ihn ein Nachbar lediglich in die Grundlagen der | |
| Filmentwicklung und Vergrößerung eingeweiht habe. Der Rest war permanentes | |
| Training in der Praxis, das seine Kollegen zusätzlich beförderten: Über | |
| ausgehängte Listen bestellten sie gern Abzüge bei ihm. Dieses nicht durch | |
| falsche Ambitionen oder eine bewusste „Handschrift“ verbogene Verständnis | |
| einer offenen, situativen Fotografie ließ auch zu, dass durchaus mal jemand | |
| anderes sich die Kamera greifen durfte. So ist auf drei der Fotos nun | |
| Franzkowiak selbst zu sehen – Urheber: unbekannt. | |
| 26 Apr 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Bettina Maria Brosowsky | |
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